Transit Zürich
Wer einen Teil seiner teuer erkauften Reisezeit im Transitbereich eines Flughafens absitzen muss, kennt das Gefühl der trägen Langeweile. Eine Langeweile, die selbst aufregende Groschenromane in den Händen welken lässt.
Vier Stunden Aufenthalt auf dem attraktionslosen Flughafen Zürich zwingen mich dazu sinnlos auf Sitzen zu sitzen, die dafür nicht gemacht wurden. Sobald ich versuche, ein wenig Bequemlichkeit einzufordern rutsche ich weg. Ich klemme meine Oberarme zwischen die benachbarten Lehnen, um nicht abzurutschen. Die undankbaren Dinger beschweren sich daraufhin mit massivem Kribbeln über die mangelnde Durchblutung. Der Versuch mich quer über die Sitze auszubreiten und zu schlafen scheitert an meiner Angst, jemand könne im vorübergehen mein Handgepäck mit kleinen Tütchen bestücken. Außerdem fürchte ich zu verschlafen.
“Mr. Abu Zeta Transitreisender mit dem Ziel Abu Dhabi, bitte umgehend zum Fluggate vierundzwanzig kommen” schnarrt es aus den Wänden. Solche Ansagen, die Personen namentlich auffordern endlich in die Spur zu kommen und ihr Flugzeug aufzusuchen, klingen immer etwas streng. Ich möchte mich nicht so anmeckern lassen. Es ist als bekäme man öffentlich einen Tadel wegen zu spät kommens. Schlafen kommt also nicht in Frage.
Vor meinem Zwischenlager schiebt das Transportband Reisende zwischen den Fluggates hin und her. Die meisten Leute stehen nur rum und lassen sich verschicken, andere eilen an ihnen vorbei, was bei dem relativ hohen Tempo des Transportbandes den gleichen Effekt hat, als renne man zu seinem Anschluss. Dabei kommt man jedoch nicht so ins Schwitzen. Als das Band für einen Moment leer ist, surrt ein Junge mit einem Roller durch mein Sichtfeld.
“Mr. Abu Zeta, aus Abu Simbel” wird nun auf Englisch aufgefordert, sein Fluggate zu catchen. Vielleicht hört er ja irgendwo den Ruf und kann nicht weg von dort, wo er sich aufhält. Ich stelle mir vor, wie er von innen an einer abgeschlossenen Klotür ruckelt, die sich nicht mehr öffnen lässt. Vielleicht plagt ihn Durchfall oder er sieht der Flughafenpolizei verdächtig genug aus, um ihn ein paar brisante Fragen zu stellen, mit einer Lampe auf sein Gesicht gerichtet. Vielleicht hat sich auch sein Kaftan in der Rolltreppe verfangen und ihn in die moderne Züricher Technik geschlonzt. Es kann einem viel passieren in der Fremde. Auch auf die Englische Version des Rufes scheint Abu Zeta nicht zu hören. Deshalb versucht man es wenig später auf Französisch.
Dem Personal des Flughafens scheint langweilig zu sein. Sie karren leere Rollstühle hin und her. Dabei entwickeln die Angestellten erstaunliche Fantasie bei der Transportmethode. Einer fährt auf dem Gepäckträger eines Elektrokarrens mit, zieht dabei den Rollstuhl hinter sich her. Er zwinkert mir zu, um zu zeigen, was er doch für ein pfiffiges Kerlchen ist. Ein weiteres Duett transportiert den Rollstuhl mit dem Laufband. Eine junge Angestellte sitzt im Stuhl, während ein Mann schiebt. Jüngere Leute neigen gern dazu, es mit der Geschwindigkeit ein wenig zu übertreiben. Er rennt. Sie erreichen das Ende des Laufbandes und pfeifen mit einem Affenzahn über den blank gebohnerten Züricher Flughafenfußboden. Mit viel Mühe kann der Mann den Rollstuhl kurz vor einer Treppe abdrehen und kippt die Frau in einen indischen Gepäckberg. Glück gehabt. Es wäre eine besonders blöde Situation für die Frau geworden, hätte sie später auf die Frage, seit wann sie im Rollstuhl sitze antworten müssen, seit sie mit einem Rollstuhl die Treppen runtergestürzt ist. Ein Lehrling schiebt ein leeres Exemplar vorschriftsmäßig und langsam den Gang lang. Zwei Frauen in Flughafenkleidung tuscheln.
“Mr. Abu Zeta” kann offensichtlich auch kein Italiensich.
Ein Rudel herumstreunender Sicherheitsbeamter erreicht meinen Sitzplatz. Bedeutungsvoll bewaffnet lassen sie ihre Blicke durch die schmalen Schlitze ihrer Augen hinter den stark verspiegelten Brillen über die ganzen Verdächtigen gleiten. Alle drei sehen mit ihren Schnauzbärten und den runden Köpfen aus, wie Charles Bronson. Vielleicht hatten sie sich in Angedenken an den Hollywoodbullendarsteller alle geschminkt. Er war kürzlich gestorben und ein Radiosender sprach davon, er habe an Alzheimer gelitten. Ein anderer Sender wusste von einer Lungenkrankheit. Vermutlich kam beides zusammen. Er hatte einfach vergessen zu atmen. Auch in dieser Hinsicht folgen die Beamten ihrem Vorbild. Alle drei ziehen ihren sichtlich vorhandenen Bauch ein und halten die Luft an, als eine Wolke vorbeischwebt, die eine ziemlich adrette Frau beinhaltet. Mich ereilt derweil ein Hustenanfall, was die Beamten aufhorchen lässt. In Zeiten, da man mit den vier Buchstaben S, A, R und S schnell hysterische Momente hervorrufen kann, ist es genauso gefährlich mit einem Schnupfen auf einem Flughafen zu sitzen, wie sich als Araber im Transitbereich mit einem Obstmesser die Nägel zu maniküren.
“Mr. Abu Zeta” bekommt noch eine letzte Verwarnung. Die klingt jetzt aber wirklich streng.
In der fahren vorbei. Männer in Anzügen, Frauen in Saris. Schöne Frauen, die lächeln und bunte Flecken auf der Stirn tragen. Ich schaue ihnen hinterher, bis einer der Männer streng zurückblickt. Die Durchsage erwartet, dass man auf sein Gepäck aufpassen soll und keine Koffer ohne Aufsicht stehen lassen darf, bzw. alleinstehendes Gepäck sofort dem Sicherheitspersonal zu melden habe. Ich erinnere mich dabei an die schöne Geschichte, bei der auf einem Flughafen der Schminkkoffer von Marianne Rosenberg aus Sicherheitsgründen gesprengt wurde.
Ein paar Sitze neben mir schläft eine junge Frau auf dem Bauch liegend über drei Sitze verstreut. Ich weiss nicht wie sie das schafft. Sie sieht recht massiv aus. Vermutlich füllen ihre Rundungen die unbequemen Stellen der Sitze aus und sie ist in die Übergängen zwischen den Sitzschalen einfach hineingequollen. Das gibt Halt. Vorbeifahrende technische Mitarbeiter mit Ölflecken auf dem Overall kauen auf Zahnstochern herum und grinsen anzüglich.
Das Laufband ist vollgestellt mit der ganzen flugfähigen Welt. Japanerinnen schnattern vorbei, das Laufband ruckt kurz, sie kreischen und schnattern anschliessend um so lauter. Ein älterer Mann watschelt hinter einer jüngeren Frau her, die er Mutti nennt. Um sein Hals hängt ein Schlüsselband, wie es Schulkinder tragen, denen man noch hinterherruft, sie sollen nicht trödeln beim Nachhausekommen und sich die warmen Kartoffeln aus der Bettkiste holen. In Lettern, wie sie Fussballclubs benutzen steht “Jesus” auf dem Band. Statt eines Schlüssels baumelt ein Handy am unteren Ende. Schliesslich beruhigt sich das Band. Es wird richtig leer. Das beunruhigt mich wiederum und ich frage mich, ob irgendwo was passiert ist, von dem ich wissen sollte. Aus dem Fenster beobachte ich, wie eine türkische Maschine zügig aus dem Flughafenbereich rollt, mit einem Schwanz von sieben Feuerwehrfahrzeugen hinter sich. Ein einzelner verdächtig wirkender Araber treidelt über das Laufband, einen verdächtigen braunen Umhang tragend, mit langem verdächtigem Zottelbart und einem verdächtigen Ding auf dem Kopf, das aussieht, als habe er sich letzte Woche die Haare gewaschen und vergessen das Handtuch abzuwickeln. Er sieht abgekämpft und müde, aber auch ein wenig verdächtig aus. Ob das Abu Zeta ist, der seinen Flug verpasst hat? Vielleicht hätte man ihn ja auf Arabisch ausrufen sollen.
Wenige Minuten später rollt ein weiterer Abu Zeta in die andere Richtung. Er trägt ein sauberes Hemd, gebügelte Hosen, einen gestutzten Bart und verfügt über kein Gepäck, dafür über eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Abu Zeta von vorhin. Er sieht irgendwie … Arabisch aus. Ich finde das verdächtig. Die Passagiere des Fluges nach Tel Aviv werden gebeten sich umgehend zum Sicherheitsterminal zu begeben. Jetzt geht’s los, denke ich. Ich sitze jetzt seit zwei Stunden an der selben Stelle und beobachte alles sehr genau. Wieder schleichen die Sicherheitsbeamten vorbei und mustern mich kritisch.
“Mr. Abu Zeta” ist nicht mehr aktuell. Die Durchsage hat sich auf Senhora Dona Miranda de Lima Algarosa Jimenz eingeschossen. Sie solle sich beim Bodenpersonal melden. Was für ein klangvoller Name. Bestimmt eine Schönheit aus Malaga mit maurischem Einschlag. Ich versuche sie mir vorzustellen. Dunkels Haar, dunkler Teint, dunkle Augen, dunkler Schleier. Eine schwarzgekleidete kleine ältere Dame mit Kopftuch und Oberlippenbart hutzelt an mir vorbei, ihren Stock in die Bodenfliesen rammend, meidet sie das Rollband. Ich versuche meine Gedanken auf ein anderes Feld zu verlagern, aber mein Magen, der übellaunige Sack übernimmt die Führung. Also mache ich mich auf den Weg zum Flughafenrestaurant. Zwei Kinder sitzen im Restaurant und trinken Dosenbier. Restaurant ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck, es ist eher ein Bistro mit Restaurantpreisen. Wenn ich innerhalb des Gastronomiebereichs esse kostet das Baguette mehr, als wenn ich es mit in den Wartebereich nehme. Ich entscheide mich für den Wartebereich und bezahle für zwei schrumplige Baguettes und eine Flasche Mineralwasser mehr, als ich monatlich für meine Altersvorsorge aufwende. Ich weiß nicht genau, welcher der beiden Preise nicht stimmt.
Die Sitzgruppen sind überfüllt. Einige Leute haben ihre Wanderschuhe ausgezogen., wie man riecht und liegen quer über den Sitzen, Bänker telefonieren, das Wall Street Journal vor sich ausgebreitete, als wollten sie die Decke tapezieren. Mit meinen Baguettes promeniere ich nun durch die Transitshops. In der Parfümboutique probieren Damen alle Testfläschchen aus. Eingesprühte Handrücken wedeln durch die Luft. Wenn man hier ein Sprengstoffattentat beginge, hätte es zumindest einen Hauch von Chanel. Ich begutachte die Auslagen in den anderen Geschäften. Rolexuhren, ein Füllfederhalter in Tarnfarbe, der exakt den selben Preis hat, wie das Auto, das ich mir vor zwei Monaten gekauft habe. Schwere Schweizer Taschenmesser in allen Größen. Eines weist sogar ein Fischmesser und eine Zahnbürste auf und verfügt über eine eigene Umhängetasche. Mach das mal dem Beamten beim Sicherheitscheck klar, der schon rummosert, wenn man einen Nagelknipser und eine Schachtel Zahnstocher bei sich trägt. Als könne man ein Flugzeug entführen, in dem man androht der Stewardess die Nägel zu maniküren und dem Piloten die Zähne zu reinigen.
Fliegen in den Zeiten des Terrors ist kein angenehmes Reiseerlebnis, aber vermutlich war es das vorher auch nicht. Ständig muss man sich anschauen lassen, als wäre man Mr. Al Kaida . Die Beamtin, die meine Bordkarte durch den Häcksler schiebt, lässt auch meine Vermutung neu aufkeimen, dass der Grundsatz einer gewissen gepflegten Attraktivität beim Flughafenpersonal nicht wichtig ist, solange die entsprechende Angestellte in der Lage ist, den grundsätzlich verdächtigen Gast solange in den Schwitzkasten zu nehmen, bis Charles Bronson kommt.
Mein Flug steht endlich bereit. Ein bisschen Geduld noch, wird gefordert und sich für das Verständnis bedankt, das man ohne zu fragen voraussetzt. In der Abfertigungshalle lungert ich eine Gruppe Menschen in einer Ecke herum, die Köpfe zusammen steckend. Es sind Raucher, die sich gegenseitig Feuer geben und in ihrer Raucherecke stehen. “Diskriminierung” murmeln sie verbittert. Ich halte das für eine moderne Form der Apartheid und begrüße es.
Allerdings begrüße ich nicht die völlig idiotischen Preise im Alkoholregal das Dutyfreeshops. Fliegen macht Angst, da braucht man Hilfe. Ich würde mir gern Mut antrinken. So muss ich bis nach dem Start warten, um dann der Stewardess, wie einer Comicfigur auf die Frage: “Sekt, Wein, Wodka, Whisky, Rum?” zu antworten: “Ja, und ein Bier dazu!”