Mai 2012
Direction Belle Île
Die interessantesten Ecken Frankreichs liegen an seinen Rändern.
Bisher besuchten wir fast ausschließlich Gegenden, die als trotzig gelten und eine gewisse Vorliebe zur Separation aufweisen. Meistens Randgegenden. Die Bretagne beispielsweise. Ein imponierender Landstrich. Französisch, aber mit einer Neigung zur regionalen Unabhängigkeit. Oder das Roussillon, katalanisch im Wesen und Barcelona näher als Paris. Der Elsass, eine Region, die so oft von Frankreich nach Deutschland verschoben wurde und wieder zurück, um sich beiden Seiten zu entziehen. Dabei versteht sich der Elsass sehr wohl als das Herz Europas. Die Provence. Nicht so aufsässig, wie die anderen erwähnten Regionen, aber auch lieber für sich, da die Provence im Wissen um ihre Schönheit deutlich die eigene Eitelkeit pflegt. Interessant an den halbherzigen Souveränitätsbestrebungen der angeführten Randgebiete ist, dass wenn man die Sache gründlich durchleuchtet, diese Regionen ziemlich stolz darauf sind, Franzosen zu sein und bei aller Nörgelei jederzeit eine isolierte Eigenständigkeit ablehnen würden.
Die Korsen waren da lange radikaler drauf. Heute gewinnen die Nationalisten auf der Insel erneut zunehmend an Einfluss. Gewalt gegenüber Touristen gibt es dennoch nur selten. Denn selbst die kaltschnäuzigsten unter den korsischen Unabhängigkeitskämpfern wissen, dass Tourismus eine der wenigen konstanten Finanzquellen für die Insel ist. Und die Touristen kommen gern und in Mengen, denn Korsika besitzt beinahe ausnahmslos schöne Ecken.
Ein guter Grund für uns, auch mal auf die schöne Insel, die Belle Île, zu fahren. Meine Herzdame packt ein paar Taschen und ich werfe sie in unser altes Auto. Die Taschen, jetzt.
Challes les Eaux - Zwischenstopp in den Alpen
Lange Anfahrten stören uns selten, solange sie in mehrere kurze Teilabschnitte gehackt werden können. Unsere Fähre legt in Ligurien ab. Wir stoppen zunächst noch einmal in den Alpen.
In der Nähe von Chambery steigen wir in einem Wintersporthotel ab, das im Sommer nur das Nötigste anbietet, also Nachtlager und Frühstück. Der an den Alpenhängen gebettete Ort heißt Challes les Eaux und besitzt anmutige Bauten. So das am Ende eines Parkes mit langer Promenade gelegene Thermalbad mit Casino, das damit angibt, frisch renoviert zu werden. Ebenfalls verlockend wirkt ein altes Schloss. Heute ist das Chateau des Comtes ein Hotel mit Restaurant, umgeben von einem prachtvollen Schlossgarten, von dem man einen ausschweifenden Blick in den Ort und zu den nahen Alpenmassiven genießen kann. Die Sonne verabschiedet sich während unseres Besuches und tiefe Schatten durchziehen die Bergmassive. Die Empfangsdame im vereinsamten Skihotel hatte uns empfohlen, das Schlossrestaurant aufzusuchen, falls Hunger unsere Schritte lenken würde. Tatsächlich beginnt mein Magen zu knurren, als wir in die Nähe der Schlossgaststätte gelangen. Wir betreten den Hof der ehemaligen Adelsimmobilie durch einen steinernen Torbogen. Ein Blumenkübel aus Granit ist üppig mit rotblühenden Blumen bepflanzt, die wiederum umschlossen werden von einem schmiedeisernen käfigartigen Pavillon. So ist man sich sicher, dass die Blumen nachts keinen Unfug anstellen. Weiße Stühle umringen runde Tische. Grüne Sonnenschirme flankieren die adretten Sitzgelegenheiten, die auf feingeharktem Kies platziert sind. Ich fürchte, die Kellner sind hier alle besser gekleidet als ich. Wahrscheinlich verdienen sie auch mehr. Das Preisniveau auf der aushängenden Karte lässt darauf schließen. Hunger haben wir, das ist richtig. Trotzdem lassen wir die pochierten Kalbsbäckchen an Vanille-Risotto-Gratin lieber links liegen und spazieren ortswärts. Der Skiort verwandelt sich von mondän zu eher mittel. Ein paar Neubauten langweilen den Anblick an einer schlecht gepflasterten Straße. Dann erscheinen etwas ältere, einfache Bauten, denen man das Ältere genauso gut ansieht, wie das Einfache. Aus einer PMU-Bar scheppert Heavy-Metal. Die ortsansässigen Rüpel flegeln auf einer Holzbank herum. Tütendrehend rülpsen sie in akzentfreiem Französisch. Restaurants sind im Sommer eher Mangelware. Wir landen bei einem mit authentischem Chinakram, alles Made in China, vollgerümpelten Chinesen, der für einen angenehmen Preis ein stark sättigendes Essen herstellt, wie man es so vermutlich nur in Europa bekommt. Außer uns mampft eine Familie mit zwei wuseligen Kindern lautstark in der kleinen Klause, sowie und ein steifes, fast bewegungsloses Paar, bestehend aus einem sehr großen, aber dafür sehr dünnen Mann und einer sehr viel kleineren und dafür sehr viel umfangreicheren Frau, die allerdings nicht mampfen, sondern geziert dinieren. Langsam und wortlos. Der chinesische Kellner schwirrt um sie herum, wie eine begeisterte Biene. Nach dem Bistrobesuch wandern wir den Weg zurück zu unserem Hotel, zappen noch ein bisschen durchs Fernsehprogramm und bleiben beim Schrecken des Eurovisionsvorentscheids satt und bewegungslos hängen. Durch das abgedunkelte Hotelzimmer, in dem nur die Scheinwerfer des Schlagersupergaus blitzen, surrt melodiös eine Fliege.
Am nächsten Morgen, nach einem passablen Frühstück fahren wir weiter. Kaum eine halbe Stunde später halten wir vor einem Schlagbaum. Hier, oder besser in der Nähe von hier, endet Frankreich und beginnt Italien. Die Grenze verläuft innerhalb eines Bergmassivs, das von einem unsympathisch wirkenden und auch unsympathisch teuren Tunnel, dem Tunnel de Fréjus durchquert wird. Bei seiner Eröffnung im Jahre 1882 war er mit seinem knapp 13 Kilometer messenden Durchstich, einer der längsten Tunnel der Welt. Heute zählt er immerhin noch zu den Schmalsten. Nur jeweils eine Spur führt in jede Richtung. Der Großteil, der Verkehrsteilnehmer fährt mit dem LKW. Am Rande erwähnt sei hier der Brand von 2005, als im Tunnel ein LKW Diesel verlor und seine Ladung mit Autoreifen Feuer fing.
Durch Tunnel wie diesem fahren nicht gern. Aber über den Pass wären wir einen halben Tag unterwegs.
Wir wechseln feuerfrei und zügig von Frankreich nach Italien. Innerhalb einer knappen Stunde Fahrt haben wir die Alpen längst im Rücken.
Und dann geht es supito und rapidamente über die italienische Autobahn zum Fährhafen von Savona.
Vado Ligure - Fährhafen in der Mittagssonne

Wie sich herausstellt, befindet sich der Fährhafen gar nicht in Savona, sondern in einem Hafenkaff, das man in würdevollem Abstand zur Stadt errichtet hat. Wir erreichen den Ort gegen Mittag. Die Fähre legt erst abends um acht ab. Der Aufstellplatz für die übersetzenden Autos ist leer. Ich suche mir umständlich eine Stellfläche mitten drauf. Die vielen Markierungen machen mich ganz wuschig. Ich habe freie Auswahl und kann mich kaum entscheiden. Als ich mich schließlich für ein besonders attraktives Fleckchen Beton entschieden habe, lassen wir das Auto für den Nachmittag in der Sonne stehen und laufen los, um uns Vado Ligurie, wie man diesen Vorort benannt hat, anzusehen. Das Nest bietet nicht ein Mindestmaß an Unterhaltung. Ein kleiner Tabacchiladen für Getränke und Zigaretten hat offen. Ein obskurer Händler für gebrauchte Telefone und überalterte Computerspiele, die so wertvoll sind, dass sie hinter einem vergitterten Schaufenster in der Sonne vergilben, befindet sich in erster Reihe, direkt an der Hauptstraße. Die kleineren Häuser sind alt. Manche verlieren den Putz. Andere, neuere Häuser sind groß, kastenförmig, funktionell und wirken seelenlos. Vor den Häusern faulenzen deutlich gebraucht wirkende Autos und Dutzende Mopeds.
Zwischen dem Hafengelände und der Straße grenzt ein kleiner Park die beiden Extreme ab. Ein paar nicht zu deutende Skulpturen, Steine und ein quer gelegter Anker sind umringt von Bäumen und Sträuchern mit knallroten Blüten, die wie die Flaschenbürsten in unserer Küche aussehen. Ich dachte immer, die würden industriell gefertigt werden, doch offensichtlich wachsen sie an Bäumen. Der karminrote Zylinderputzer ist ursprünglich an den sonnigen Stränden Australiens zu Hause. Mittlerweile hat ihn die Globalisierung über die Welt gejagt. Wenn der provenzalische Lavendel in deutschen Schrebergärten, die Luft schwängert und das Vereinsmitglied dazu animiert, träumerisch den Rosé aus dem Kühlschrank zu holen, warum soll die australische Flaschenbürste nicht in italienischen Hafenkäffern die Hummeln verführen.
Bleibt die Frage, womit vertreiben wir uns in diesem Hafenkaff die Zeit, außer mit Architekturbetrachtungen, botanischen Erkundungen, Wasser trinken und schwitzen?
Richtig! Mit Fernsehen.
In einem klimatisierten Bistro auf dem Hafengelände hängt ein Fernsehbildschirm in einer Ecke. Davor sitzen Italiener die dem italienischen Kommentar zur aktuellen Etappe des Giro d'Italia auf italienisch lauschen. Ich nehme mir eine herumliegende italienische Gazzetta della Sport vom Tresen und setze mich dazu, um linguistisch rein gar nichts zu verstehen. Dank meines langjährigen Radsportenthusiasmuses kann ich die Fahrer anhand ihrer Trikots und ihrer Haltung auf dem Rad unterscheiden. Ich weiß also wer da fährt und wer da wie aussieht. Eine spannende Bergetappe kann ich auch ohne den Fernsehkommentar verstehen und schlimmstenfalls selbst analysieren. Ich fühle mich prächtig unterhalten, weil die drei Italiener nicht so recht wissen, was da gerade abgeht. Und der Angeber in mir kann sich auch nicht zurückhalten. Ich werfe mindestens zweimal klugscheißerisch den Namen des aktuell Führenden in den Raum. Der Tscheche Roman Kreuziger gewinnt dann auch, wie ich voraus zusehen in der Lage war, die Etappe. Was bin ich doch für ein Auskenner.
Nach dem Zieleinlauf muss ich mich erstmal orientieren. Wo war unser Auto? Mittags stand es einsam auf dem Parkplatz. Inzwischen ist es eines von vielen in einem Pulk von Fährwilligen. Eine große Anzahl Anreisender haben sich dazu gesellt, vor, neben, hinter uns.
Ein Fährhafendirigent drängelt sich durch die Reihen. Zur Identifizierung der Wagen und Reisenden bekommt jedes Auto einen Aufkleber auf die Frontscheibe gepappt, den der Dirigent aus einem mobilen Scanner schnurren lässt. Das Gerät hängt an seinem Gürtel und die Papierschlange der abgezogenen Klebeschilder baumelt herunter, wie Skalps an der Hose eines erfolgreichen Indianers. Für die Heckscheibe gibt es noch einen gelben Sticker, der uns als Fährbenutzer der Corsica Ferris 2012 ausweist.
Corsica Ferries - Im Innern des Walfisches
Nach den üblichen Rangierspielchen auf dem Parkdeck, stehen meine Herzdame und ich auf dem Oberdeck und schauen auf einen leeren Parkplatz. Die Hunderte von Autos und Lkws verstecken sich mehrere Etagen unter uns im Bauch des Schiffes, das langsam aus dem Hafen gleitet. Es erstaunt mich immer wieder, was für eine ungeheure Last sich innerhalb einer solchen Stahlkiste befindet, die dann trotz des Gewichts scheinbar mühelos auf dem Wasser schwimmt. Ich kenne die physikalischen Zusammenhänge von Raum und Verdrängung. Trotzdem erscheint es mir immer wieder wie ein Wunder, dass so viel Eisen nicht bereits im Hafenbecken absäuft.
Der Pool auf dem Oberdeck ist verdeckt. Eine Cocktailbar hat aber offen und in den Liegestühlen lümmeln cocktailschlürfende Gäste, die aussehen, als lümmelten sie hier schon länger. “Seht her”, bekunden sie. “Das ist unsere Art zu leben.” Auch sie sind frisch zugestiegen, haben ein Familienmitglied mit den Reisetaschen in die Kabine geschickt und eilten selbst im Sprint an die Tränke. Oder sie fahren immer hin und her. Ist auch möglich. Der Cocktailkellner hat ordentlich zu tun.
Ein Gong und eine Ansage, teilen uns mit, dass die Restaurants geöffnet sind. Wir tauchen ab ins Innere des Walfisches.
Die Atmosphäre an Bord übermannt mich mit widersprüchlichen Eindrücken. Ich komme mir vor, wie in einem Gemisch aus edler Hotellobby und Bahnhofsvorhalle. Wir lassen uns von Pianomusik ködern und landen unter einer Wendeltreppe, neben der eine Bar aus nobel dekoriertem Holzimitat angesiedelt ist. Aus deren Regalen blicken geistvoll verschiedene Getränke auf uns herab. Neben der Bar steht ein Piano. Eine junge, blonde Pianistin klimpert Bar-Lounge-Stücke. Seicht, wie klappernden Eiswürfel in meinem Drink. Sie spielt in der Zeit unserer Anwesenheit an der Bar drei Stücke mit hohem Wiedererkennungswert. Zumindest erkenne ich im dritten Stück das erste wieder. Um uns herum strolchen Deutsche, Franzosen, Italiener und einige Leute vom Balkan herum. Manche mit sauberen Schuhchen und Handtasche, andere mit Wanderschuhen und Rucksack. Wir stellen einem vorbeiflitzenden Kellner die leeren Gläser aufs Tablet und suchen uns ein richtiges Restaurant.
Das finden wir im Heckbereich der aktuellen Ebene. Es thront etwas erhöht in der Mitte zwischen Luv und Lee oder Backbord und Steuerbord oder meinetwegen in der Mitte des Decks zwischen rechts und links.
Vom etwas erhöhten Aussichtsposten des Restaurants kann man prima auf die Menschen herabsehen, die sich mit Picknickdecke und Brotbüchse unter den Plastetischen ausbreiten, die an der Bordwand montiert sind. Sie bieten ihren Kindern und Haustieren Wurstbrote und Limonade an und bereiten sich auf eine gesellige und vergleichsweise kostenarme Überfahrt vor.
Wir sitzen derweile zwischen weißen Tischdecken auf denen adrett gefaltete Servierten, verschiedenen Sorten von Besteck und eine Menge an verschiedenen Weingläsern angerichtet sind. Es sieht aus wie ein kompliziertes Brettspiel. Das kampferprobte Bedienungsensemble der Bordgaststätte besteht aus drei Protagonisten. Der erste Kellner, ein Schnösel mit dicker Brille, der aussieht wie Buddy Holly, serviert uns ungefragt einen Aperitif, bestehend aus Brot, Appetithäppchen und zwei Gläsern Sekt. Dabei räumt er schon mal den halben Tisch von den Gläsern frei und nimmt zudem ein bisschen was vom Besteck mit. Wir hatten noch keine Gelegenheit etwas zu bestellen, werden aber schon bedient. Ist das vorausschauende Dienstbarkeit oder einfach nur dreist? Der Kellner sieht allerdings nicht aus, als würde ihn Widerspruch zur ungefragten Vorverköstigung interessieren. Aber ich bin ja hier, um zu essen, nicht um zu ningeln. Der zweite Kellner, der uns besuchen kommt, unterstreicht dieses Sujet, dass man mit Kellner nicht diskutieren sollte. Er sieht aus wie Vin Diesel und hat hier in der Restaurantebene das Kommando. Er nimmt unsere Bestellung – ein komplettes Menü - entgegen, strotzend vor Autorität. Die Bestellung drückt er einem dritten Kellner in die Hand. Das ist wiederum ein kleiner Mittelamerikaner, der uns an Freddy Rodriguez erinnert, ebenfalls ein amerikanischer Schauspieler, der uns in Serien und Kinofilmen ans Herz gewachsen ist und meistens den unterdrückten lateinamerikanischen Einwanderer gibt. Die Rolle des etwas geknechtet wirkenden Untergebenen füllt er auch hier exzellent aus.
Das Menü, das wir uns aussuchen, ist üppig und nicht für einen schmalen Taler zu haben. Der Rosé ist korsisch, die Vorspeise macht Lust auf mehr und der Teller, den ich vorgesetzt bekomme, ist gut gefüllt, wenn auch mit etwas anderem, als ich bestellt habe. Ich denke mir, Fisch muss ja vielleicht auf Korsika aussehen, wie gebratenes Schweinefilet und spieße das erste Stückchen auf. Da sehe ich Vin Diesel aufgeregt vom Rand der Szene mit den Armen gestikulieren. Ich stecke mir das Fleisch in den Mund, winke zurück und recke den Schmeckt-Spitze-Daumen in die Luft. Vin Diesel stürzt durch den Raum und untersagt uns weiteres Essen. Sein Freund Freddy sammelt unsere Teller ein und keine dreißig Sekunden später steht mein Fisch vor meiner Nase. Nach einer höflichen Zeitspanne von einer gefühlten Minute kommt das Essen für den Englisch sprechenden Nachbartisch. Schweinefilet, perfekt angerichtet. Fast wie neu.
Unten, im Parkett schauen junge Leute auf Laptops und Telefonen Filme. Wasserflaschen und Kekse werden hin und her gereicht. Ein Mops rollt sich in der Kniekehle eines Mädchens ein. Wir sind bereits satt. Doch es gibt noch einen weiteren Gang. Wir wollen schon resigniert ablehnen, aber Vin Diesel schüttelt leicht den Kopf und weist auf die Karte. Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt. Und es kommt auf den Tisch, was bestellt wurde. Also essen wir brav weiter, was wir bestellt haben. Das anschließende Dessert möchte schon nicht mehr freiwillig ins Innere. Bevor ich einen Eimer für Monsieur ordern muss, lasse ich doch lieber die Hälfte stehen. Ich fühle mich fett und aufgedunsen. Missbilligend lässt Vin Diesel abräumen und serviert uns zum Schluss die fette und aufgedunsene Rechnung.
Wir schleppen uns erneut zur Pianobar. Ein Whisky tut jetzt not. Aber der Barkeeper albert mit der Pianomaus herum und hat im Moment kein Auge für Gäste. Wir setzen uns und warten geduldig. Nach kurzer Zeit klimpert es wieder. Ein Kellner bringt uns Verdauungsgetränke. Ich habe mich überraschenderweise für einen Fernet Branca entschieden, bedaure diese Entscheidung aber beim ersten Schluck. Draußen ist es mittlerweile dunkel. Entfernt schimmern die Lichter an der italienischen Küste. Wir lassen uns auf dem Oberdeck die kühle Seeluft um die Nase wehen und steigen schließlich hinab in unsere Kabine. Das gleichmäßige Brummen der Schiffsmotoren lullt uns schnell ein.top
Bastia

Die Sonne hat sich vor einer knappen Stunde rot leuchtend aus dem Meer erhoben. Links von meinem derzeitigen Standpunkt kann ich in einiger Entfernung schemenhaft die Insel Elba erkennen. Eine Katze putzt sich auf der Kaimauer, die spiegelnde Wasseroberfläche im Hintergrund. Hinter mir türmen sich die baufälligen Häuser des alten Bastia auf. Im Segelhafen kommt ein einzelner Bootsbesitzer gähnend aus seiner Kajüte gekrochen, einen Kaffeebecher in der Hand, einen Morgenmantel umgeworfen, der ihm um die nackten Beine schlägt.
Ich sitze auf einem Plastestuhl vor einem Bistro, beobachte die Szenarien, die Bastia um 7:00 Uhr morgens bietet und warte auf den ersten Kaffee. Meine Herzdame sitzt mir gegenüber und gähnt mitreißend. Die Nacht auf der Fähre endete abrupt mit der Ansage des Bordstewards, dass wir angekommen wären. Draußen, vor dem Kajütenfenster, warf ein Matrose einen armdicken Tampen um einen Kaipoller. Hinter der Uferlinie türmten sich beidruckende Felsen in den Himmel. Ich schaute noch fasziniert hinaus, als die Ansage erneut zum Verlassen des Schiffes aufforderte. Ab da wurde es hektisch. Beim Auschecken von einer Fähre, will jeder der Erste sein, selbst wenn sein Auto in einer Reihe anderer Wagen tief im Inneren des Fährbauches eingekeilt ist.
Aber hier, morgens auf der Terrasse eines Hafencafés ist Hektik ein Wort, das weder in meinem Wörterbuch steht, noch in dem der Bedienung.
Der Kellner, der sich uns zögernd nähert, sieht aus, als hätte ich ihn auf dem Weg ins Bett aufgehalten. Müde gammelt er aus seinem kleinen Caféstübchen auf uns zu und hört sich uninteressiert unseren Wunsch nach einem Café au lait und einem kleinen Frühstück an. Was er davon alles auf dem Rückweg vergessen hat, erkenne ich eine gefühlte halbe Stunde später, als er mit Espresso schwarz ankommt und je einem Keks. Ein Stück Zucker vervollständigt das Arrangement. In der Zwischenzeit hat die Katze ihre Wäsche beendet und stolziert zu einem nahegelegenen Müllbehälter, um ihrerseits ein üppigeres Frühstück zu sich zu nehmen, als wir es bekommen. Die Fähre, die vor einer knappen Stunde angelegt hat, verlässt frisch gefüllt wieder den Hafen Richtung italienische Küste und serviert seinen Gästen sicher ein komfortables Frühstück.
Irgendjemand hat dem Kellner ein Teller mit Brot und Marmelade in die Hand gedrückt, ihm mit dem Finger die ungefähre Richtung gewiesen, die er abzulaufen hat und dann auf die Straße geschickt. Obwohl der Tisch, an dem wir sitzen, in seinem Bedienbezirk der einzige ist, an dem sich jemand aufhält, guckt er suchend um sich. Er trägt eine Sonnenbrille, um sich vor den kopfschmerzfördernden Sonnenstrahlen zu schützen und vielleicht auch, um den auffordernden Blicken weiterer Gäste zu entgehen. Die es aber in seinem Bewirtungsdistrikt nicht gibt. Schließlich findet er die Idee, den Teller mit dem Brot und unseren Tisch in einen Zusammenhang zu bringen ganz traumhaft und taumelt auf uns zu. Und es gelingt ihm sogar den Teller, ohne nennenswerten Verlust abzustellen, bevor er wieder abdriftet, um wie es scheint sicher in einem Winkel des Kaffees verstaut zu werden. Das Brot hat die Konsistenz eines Knochens, aber dafür hat Gott ja den Kaffee erfunden. Nach dem Einditschen gehts. Dem nächstgelegenen Straßencafé, das genaugenommen, direkt an meiner Rückenlehne beginnt, ist da mehr Glück beschieden. Ein betagter Kellner schreitet eifrig von Tisch zu Tisch, wuselt in den Eingang seines Kaffees zurück und kommt Sekunden später bepackt mit Dingen wieder heraus, die einem Frühstückstisch, der es wirklich ernst meint, würdig sind. Die Gäste an den gut gedeckten Tischen bekommen Kaffeetassen, die so groß sind, dass sie in ärmeren Gegenden als Badewannen durchgehen, gefüllt mit Kaffee auf dem Schaum schäumt. Kokosstreusel schaukeln in den Schaumblasen, wie kleine Boote in der Brandung. Statt alten Baguettes glänzen dort drüben fettige Croissants und statt kleinen Mikroportionen in Plaste eingeschweißter Marmeladentöpfchen haben die Nutella! Und alles ist nur einen Mindestabstand entfernt. Ich erspare mir hier weitere Ausführungen über die Gerechtigkeit in der Welt. Aber eine Welt, in der vertrocknete Baguettes und fettige Croissants nur 1,5 Meter voneinander entfernt für denselben Preis angeboten und beide als gleichwertig angesehen werden wollen, kann nicht gerecht sein.
Zum Kassieren kommt eine ausgeschlafene Blondine an unseren Tisch. Sie erkundigt sich, ob alles in Ordnung sei.
Den Hinweis darauf, dass ein Espresso genau betrachtet kein Café au Lait ist, honoriert sie mit einer hochgezogenen Augenbraue. Sie bietet an, sofort einen richtigen Milchkaffee zu bringen, was ich doch dankend und ein bisschen trotzig ablehne. Da offensichtlich nur von der Fähre gejagte Touristen auf die Idee kommen, um 7 Uhr dreißig in ihrem Café frühstücken zu wollen, versucht sie gar nicht erst auf Französisch mit uns zu reden. Allerdings bin ich auch nicht willens in Frankreich Englisch zu sprechen. Und während sie sich bemüht, englisch auf uns einzureden, antworten wir brav auf Französisch, und zahlen .
Moriani-Plage
Inzwischen ist es 10 Uhr. Wir halten auf dem Parkplatz eines Supermarktes im Ort Moriani-Plage, an der Ostküste Korsikas. Vor uns die verlockende Aussicht, gleich in diesen Supermarkt zu schreiten und uns mit Käse, krümelnden Baguettes und allerhand in Dosen abgefüllten aufs Brot streichbaren Tieren einzudecken. Mit angemessener Ruhe und Entspanntheit lasse ich die Tür des Autos ins Schloss fallen, atme tief ein und kann unter den Abgasen, der auf der Hauptstraße vorbeifahrenden Urlauberautos und Tanklastern das Meer riechen. “Schön! Endlich da”, denke ich und atme wieder aus.
"Ey!” röhrt es neben mir. “Von Berlin mit dem Auto bis Korsika? Ne do! Ick bin mitm Flieger 2 Stunden unterwegs und Zack am Strand. Mit dem Auto nach Korsika. Da müsst mir ja ‘n Fuß fehlen.”
Ich versuche, mich ganz entspannt umzudrehen, atme dabei aber wieder viel zu kräftig ein und schaue einen kleinen leicht angebratenen Schmerbauchträger an. Der Bauch hängt über albernen Shorts, aus denen unten krumme Beine herausragen, die wiederum in Badelatschen enden. Unter seinen Achseln wird gerade eine Bildzeitung feucht.
"Da haben sie aber Glück, dass sie so ein ausgeschlafenes Bürschchen sind" antworte ich und schreite erhobenen Hauptes in den Supermarkt.
"Mann Mann Mann! Typen gibts!", höre ich es noch hinter mir gurgeln.
Da fährt man 2500 km nach Süden und trifft dann auf dieselben Pappnasen, die man eigentlich zu Hause gelassen zu haben glaubt, denke ich und atme wieder aus. Gut möglich, dass er dasselbe denkt.
Ich weiß nur nicht, warum er das auf einem Parkplatz auf Korsika, morgens um Zehn für erwähnenswert hält.
Nach dem Einkauf im Supermarkt habe ich Phantomschmerzen im Portemonnaie. Der Ersteinkauf für ein Ferienhaus benötigt viel Platz im Kofferraum und eine feuerfeste Kreditkarte. Und in französischen Supermärkten können wir uns immer nur schwer zurückhalten.
Sonst hat Moriani-Plage nicht viel zu bieten. Ein paar Bars, Friseure, Autoreparaturen, Strandbedarf. Am Strand befindet sich eine Pizzeria. Vor dem Laden stehen allerhand Vogelvolieren und es piepst und zappelt bunt hinter den Gittern. Ich hoffe, die sind hier nur zur Unterhaltung und nicht zur Verköstigung aufgestellt.


Gegen Mittag kehren wir in dem Laden ein und bekommen ausgezeichnete Pizza mit Format. Meine Fischpizza ist nicht nur maritim bestückt, sondern besitzt selbst die Form eines großen Fisches. Die Pizza meiner Herzdame weist die Umrisse Korsikas auf. Während wir essen, planscht im flachen Meerwasser ein Mann mit Tauchermaske und Harpune umher. Er taucht auf, schaut sich um, bestückt seine Harpune neu und verschwindet wieder im flachen Wasser. Mir fällt vor Schreck das Pizzamesser aus der Hand, als er jubelnd wieder aus dem Wasser schießt. Aufgeregt gestikuliert er Richtung Ufer und hält einen zappelnden Tintenfisch in der Hand. Stolz stapft er aus dem Wasser und präsentiert an Land seinen Fang. Der Koch der Pizzeria begutachtet den Fisch respektvoll. Auch ein paar Umstehende diskutieren den Fang. Letztlich landet die arme Kreatur in einer Plastetüte, die der Taucher an seinen Fahrradlenker hängt.
Über den Bergen krauchen dunkle Wolken aus dem Landesinneren der Küste entgegen. Es wird Zeit, unser Haus in den Bergen aufzusuchen.
Feldsteinhaus mit Blick aufs Meer


Das kleine Anwesen, in das wir uns eingemietet haben, gehört einem Ehepaar aus Deutschland. Das Nummernschild des Geländewagens vor der Tür weist auf Köln hin. Das Paar, das etwa zehn Jahre jünger zu sein scheint, als wir, spricht akzentfrei und wirkt auf mich nach alternativer Lebensphilosophie und biologischer Nachdenklichkeit. Alles in allem herrscht eine leichte Distanziertheit, wie sie zwischen Rheinanrainern und Spreeländern öfter zu bemerken ist.
Familie Droste wohnt im unteren Teil des Hauses. Wir dürfen den oberen Teil beziehen und residieren nun für eine Woche in einem geschmackvoll renovierten Adlerhorst. Der Blick schweift über den Osten Korsikas und das Mittelmeer bis hinüber zur italienischen Küste samt vorgelagerten Inseln. Auf der anderen Seite beeindrucken tief bewaldete Berghänge den Blick.
Die Wände in der Wohnung sind weiß verputzt, durchsetzt von durchbrechenden Feldsteinen. Die Zimmer sind nicht mit Möbeln überladen, schon gar nichts unpassend Modernes beleidigt die Innenarchitektur. Eine Couch, ein Eisenbett, ein Esstisch mit Marmorplatte, eine dunkle Anrichte aus Eichenholz und ein alter Kleiderschrank. Ein Fernseher gehört ebenso dazu, wie eine winzige Küche mit spartanischer Einrichtung. Lediglich eine Kaffeemaschine steht wie ein Fremdkörper herum. Eine von der Sorte, die man nicht ohne ausführliches Studium der Bedienungsanleitung in Betrieb nehmen sollte. Ein Wasserkocher hätte völlig genügt. Aber wir bekommen unser Wasser auch in einem Kochtopf warm und strafen dieses moderne Ungetüm die ganze Woche mit Missachtung.
Vor dem Haus stehen überall Blumen. An den Wänden, in Kübeln, aus dem Boden wachsend. Ein paar Meter unterhalb des Hauses bewirtschaften die beiden Besitzer einen bescheidenen Garten. Auf die Tomaten ist der Hausherr besonders stolz. Für die Gäste gibt es einen abgetrennten Pferch, in dem ein Gartentisch und ein paar Stühle stehen. Man kann von dort die Küstenlinie sehen, die sich ca. 700 Meter unter uns und nur wenige Kilometer entfernt entlangzieht. Von dieser Höhe aus ist die Fernsicht ein weiteres Mal überwältigend. Außerdem besucht uns hier eine rotgescheckte Katze und später auch noch ein Pferd mit einem befreundeten Esel.
Abends nachdem die Sonne sich hinter den Bergen verkrochen hat - wir blicken nach Osten und können uns also auf einen besonders frühen Sonnenaufgang freuen - versinken die Kastanien hinter dem Haus im Dunkeln. Wir schauen aus dem Fenster, staunen über unglaublich viele Sterne und hören in längeren Abständen ein kurzes “Ping” aus dem Wald. Nach reichlichem Zuhören klingt es dann doch eher wie ein “Djü”. Das Internet und später auch der Vermieter weisen das Geräusch als das Pfeifen der Zwergohreule aus. Der Ruf des korsischen Pingvogels bleibt für eine Woche das begleitende Nachtgeräusch.

St. Florent
Hat man die etwas wanzigen Dörfer und Gemeinden der östlichen Strandregionen Korsikas erstmal hinter sich gelassen, fährt man durch kurven- und bergreiches Land, das weitestgehend unbewohnt und auch unbewirtschaftet scheint. Von Bastia kommend schrauben wir uns entlang der letzten vergessenen Gehöfte durch eine geröllhaltige Landschaft, in der sich bestenfalls die Macchia ausbreitet. Der Himmel ist blau, die Berge kontrastrieren in grauen Felstönen oder mit grüngelb bewachsenem Pelz. Ginster sticht immer wieder vor. Selten mal, dass ein Tier über die Felsen huscht. Lange zeigt sich kein Ort. Und dann sehen wir einen, der klebt am Berg, wie Wachs einer heruntergebrannten Kerze. Oletta heißt die Gemeinde. Wir fahren durch den Ort durch, an kompliziert zu bebauenenden Weinhängen entlang.
Unser Ziel heißt St. Florent und befindet sich auf der anderen Seite einer Halbinsel im Norden der Insel. Nebbio nennt sich der Landstrich und sticht wie ein ausgestreckter Mittelfinger ins Meer Richtung Frankreich.
Der quirlige Sommerort St. Florent besitzt einen kleinen feinen Segelhafen. Zahlreiche Bistros und Gaststätten laden zum Herumsitzen ein, jedes zweite Kind trägt ein Eis in der Hand. Das Wasser schimmert wunderschön blau und türkis, die Berge steigen rundherum in beachtliche Höhen. Es riecht nach Sonnenöl und frisch geröstetem Kaffee. Wir nehmen das Angebot an - das mit dem Herumsitzen. Nahe des kleinen Hafens schauen wir erholt in den Sommertag und genießen den Moment.

Ein schweres Motorrad brummt heran, röhrt noch einmal kurz auf und verstummt dann. Zwei schwarze Gestalten in Leder sitzen auf der Maschine. Zuerst steigt der Vordermann ab und hilft dem Sozius galant vom Sattel. Langsam entfernen beide Fahrer ihre Helme. Der Sozius ist eine Frau, die sich ihr rot gefärbtes Haar sortiert. Der Mann schiebt seine grauen Strähnen nach hinten. Die Lederjacken werden ausgezogen, auch die Lederhosen verschwinden. So steht nach drei Minuten ein älteres Ehepaar - er in Jeans und buntem Hemd, sie in hellem Kostüm neben dem Kraftrad. Der Mann schiebt seine Sonnenbrille zurecht. Die Frau öffnet den Käfig, der sich auf dem Gepäckträger befindet. Kläffend hopst ein Spitz heraus, den sie noch schnell anleint. Ein rüstiges älteres Paar mit Hund und Sonnenhut spaziert durch die attraktive Fußgängerzone des Ortes.
Wir streifen auch ein wenig umher. Kaufen Ansichtskarten und Sonnenhüte, schauen uns die alten Häuser an und landen schließlich an einer alten Zitadelle. Mit tosenden Wellen rennt das Meer die noch immer wehrhaft trutzigen Mauern an. Es hat aufgefrischt. Das geht hier schnell. Noch ist der Himmel blau, auch wenn sich über den Gipfeln der Berge bereits die Wolken auftürmen.
Wir verlassen St.Florent in Richtung Norden.
Nach wenigen Kilometern erreichen wir die nächste Attraktion der Halbinsel. Dabei handelt es sich um den schwarzen Strand von Nonzo. Nonzo selbst ist kleiner Ort mit knapp 80 Einwohnern und in der Saison hunderten durcheilender Touristen. Eine schmale Durchgangsstraße teilt den Flecken. Schmale Durchgangsstraßen sollte man eigentlich frei halten, denke ich mir. Aber Tourismusveranstalter denken anders. Reisebusse voller Besucher, die den schwarzen Strand sehen wollen, rummeln am Straßenrand rum. Mangels Alternativen stellen wir uns dazu und laufen zu einer kleinen Anhöhe.

Von dort aus haben wir einen guten Blick auf diese Eigenartigkeit. Keiner liegt dort unten am Wasser mit Badetuch und Sonnenbrille herum. Es ist einfach nur ein großer leerer Strand in graugrünem Farbton. Ich tippe zunächst auf Lavagestein. Aber mit ein bisschen Recherche erfahre ich, dass der Kies die Farbe bekommen hat, weil in den dreißiger Jahren in der Nähe eine Asbestmine angelegt wurde. Bis in die sechziger Jahre war sie aktiv. Der ausgewaschene Abraum hinterließ diese Farbe. In älteren Reiseführern wird noch von einer Gesundheitsgefährdung beim Baden an diesem Strand gesprochen. Neuere Untersuchungen tourismusbegleitender Behörden geben allerdings Unbedenklichkeitsempfehlungen aus. Gefährlich bleibt der Strand trotzdem, da er bei Westwind von kräftigen Wellen und Brechern überrollt wird. Wir machen ein paar Fotos, bevor uns eine lärmende Touristengruppe von unserem Standort verscheucht.
Ich erinnere mich, diesen Strand bereits auf einem Plattencover der korsischen Polyphoniegruppe I Muvrini gesehen zu haben. Deren CDs stehen in den Souvenirshops in ausreichender Menge in den Auslagen herum.
Wir fahren noch ein bisschen durch die Gegend, finden einen einladenden Strand mit hellem Sand, der gut besucht ist. Das Wasser ist angenehm warm und flach. Danach zuckeln wir zurück und stauen uns an der Küstenstraße nach Süden bis nach Moriani-Plage, wo wir auf dem Parkplatz an der Pizzeria anhalten. Wir gehen noch einmal kurz baden, um den Schweiß vom langen Stau abzuspülen. Dann setzen wir uns in die Pizzeria, um jeweils eine Pizza in Form der korsischen Geografie zu verspeisen. Ich nehme mir die Halbinsel vor Kap Corse zuerst vor. Da wo Nonza sein müsste, steckt eine schwarze Olive.
Im Ascotal
Ein herausstechendes Merkmal der Korsen ist ihr kreativer Umgang mit der Schrotflinte. Geschickt durchlöchern sie auf den zweisprachig angelegten Straßen- und Wegweiseschildern den Teil, der französisch ist. Das wäre zu verschmerzen, wenn unser Straßenatlas die Ortsnamen ebenfalls zweisprachig abbilden würde. Tut er aber nicht. Die Karte ist französisch, die Straßenschilder nach der Behandlung ortsansässiger Separatisten nur noch korsisch. Unser Weg zur wunderschönen Asco-Schlucht ist also etwas mühselig, da wir uns ohne Navi fortbewegen und auf eine Karte angewiesen sind, die in dieser Gegend offensichtlich wenig Bedeutung besitzt. Dessen ungeachtet erreichen wir doch noch den Einstieg in das Tal. Wir fahren eine geschwungene Straße entlang, schmal und nur von Felsen und Abgründen begrenzt. In überschaubaren Abständen greifen Ausbuchtungen in den Fels. Nur hier kann man Ausweichen, wenn jemand entgegenkommt. Aber im Moment ist das Tal recht spärlich besucht. Die Straße steigt leicht an, die Landschaft ist karg, steinig und nur von ein paar zähen Buschgewächsen bewohnt. Der Fluss Asco begleitet uns rauschend. Manchmal können wir ihn dahinplätschern sehen, aber meist windet er sich unterhalb der Straße entlang und entzieht sich unseren Blicken. Im Ort Asco befindet sich an einem kleinen Restaurant ein Parkplatz, auf dem neben ein paar Eseln auch Autos abgestellt wurden, die keine hiesigen Kennzeichen besitzen. Wir gesellen uns dazu und machen uns wanderfein. Unser Wanderführer, den ich in der Hand halte, spricht Deutsch. Wir finden trotzdem einen einladenden Pfad, der hinunter zum Fluss führt und laufen entlang des nicht eben still dahinschießenden Gewässers flussaufwärts. Die Sonne brettert, als meine sie es ernst. Insekten brummen lautstark und stürzen sich auf alles, was blüht. Die Sträucher sind hier noch recht bunt und die Honigbeute der Bienen sollte üppig ausfallen. Das tut sie hier auch, denn Asco ist für seinen Wildhonig berühmt. Außer Bienen fliegen bemerkenswert große Hornissen herum. Die tun keinem was, aber ich habe trotzdem Respekt. Diese Hornissen sind ziemlich dunkel, haben nur am Hintern eine hellere Färbung und einen rötlichbraunen Kopf. Man hört sie schon von Weitem brummen, wie Motorräder, die auf einen zu kommen. An einer Stromschnelle machen wir eine Pause. Wir sind nicht allein. Zwei Männer stehen breitbeinig im flachen Gewässer und halten ihre Angeln fest. Die dazugehörigen Damen haben sich aus ihren Oberteilen geschält, liegen auf den warmen Steinen und lassen die Sonne in ihren riesigen Sonnenbrillen baden. Ich ziehe meine Stiefel aus und halte die Füße in den Fluss. Es ist so kalt, dass sich mir alles zusammenzieht. Als ich wieder in die Wanderstiefel schlüpfe, habe ich den Eindruck, sie wären zwei Nummern zu groß.
Nicht weit entfernt spannt sich eine besondere Brücke über den Fluss. Die Ponte Genuesa. Diese alte Steinbrücke wirkt wie eingeklemmt zwischen den steilen Hängen des Gorges d’Asco. Das Wasser ist hier tief, nicht so reißend und schimmert türkis. Dieser Bereich ist bekannt als eine besonders romantische Badestelle. Vereinzelt sollen schonmal Leute von der Brücke springen. Aus Spaß, nicht aus selbstmörderischen Beweggründen. Der Sprung geht dann vier Meter in die Tiefe. So etwas überlege ich mir gar nicht erst. Ich stelle mich auf die Spitze der Brücke, schaue hinunter ins klare Wasser und schüttele den Kopf. Jedem seinen Spaß.
Wir erreichen irgendwann am Nachmittag wieder den Ort Asco. Zwei schwere Motorräder halten vor dem kleinen terracottafarbenen Bistro, vor dem unser Auto steht. Was kommen da wohl jetzt für ältere Rocker an? Nachdem das Rummeln der Maschinen vorbei ist und die Motorräder aufgebockt sind, klettern zwei schmächtige Bürschchen aus der Lederkluft und giggeln etwas pubertär herum. Nicht was zu erwarten war.
Ich handle dem Bistrobesitzer zwei Getränke ab. Jean-Pierre identifiziert mich sofort als Tourist, weil ich auf sein “Ça va” nicht reagiere. Offensichtlich eine der Grundkenntnisse, die man im französischen Umgang drauf haben muss. War mir nicht bewusst, bis es mir meine Herzdame verdeutlicht. Ich nehme mir vor, in Zukunft drauf zu achten. Jean-Pierre und seine Nathalie sind trotzdem nett. Sie führen dieses Haus, das sich bei näherer Betrachtung als ein Restaurant entpuppt, das auch als Hotel dient und einen Pool besitzt. Das sieht man von der überdachten Terrasse nicht. Alles sieht sehr einladend aus. Ich betrachte den blauen Himmel, die kargen steilen Hänge der Schlucht und sehe in der Ferne etwas Schnee unterhalb der Spitze des Monte Cinto, der gar nicht so weit entfernt vom Ascotal als höchster Berg Korsikas ein beliebter Anlaufpunkt für Bergsteiger ist. Dies ist ein schöner Platz zum Verweilen, denke ich und stoße mit meiner Herzdame an. Die Orangina ist so kalt, wie das Wasser, in dem vorhin meine Füße standen.
Achtung Schildkröten
Auf Korsika steht die Schildkröte unter Naturschutz. Besonders angetan hat es den Korsen die griechische Landschildkröte, nach ihrem lateinischen Namen Testudo hermanni auch Hermannschildkröte genannt. Da sie so überaus selten sein soll, fahren wir nach unserem Ausflug ins Ascotal zur im Flyer angepriesen Schildkrötenfarm „Le Village des Tortues“.
Schildkröten sind bemerkenswerte Tiere. Nun, diese Aussage kann man auf nahezu jedes Tier anwenden, denn in der Tat gibt es kaum Tiere, die ich einfach nur als langweilig bezeichnen möchte. Die Evolution hat sich in ihrer Vielfalt eine Menge einfallen lassen. Manchmal fragt man sich, wieso. Vielleicht hat die Evolution einfach Spaß an kreativer Gestaltung, probiert aus, färbt nach Geschmack, konstruiert aus dem Bauch heraus? Doch genau das tut sie nicht, denn jede Entwicklung in der Biodiversität ist ein knallharter Kampf ums Überleben. Trotzdem fragt man sich, warum Eichhörnchen so süß sind und Nacktmulle nicht.
Aber zurück zu den Schildkröten. Sie sind bereits so lange auf der Erde, dass ihre frühen Vorfahren noch mit Sauriern spielten. Wissenschaftlich gesehen, sind sie selbst welche. Man ist sich unter professionellen Auskennern nur nicht einig, wie. Erbitterte Stellungskämpfe finden seit Jahrzehnten in den einschlägigen Forschungsinstituten statt, in denen ein Professor behauptet, Schildkröten gehören zu den Leptiosauriern und sind also unbestritten Reptilien, während sich ein anderer Professor wissend den Bart zwirbelt, seinen Blutdruck auf Touren bringt und erbost klarstellt: „... dass sich die Schildkröten die DNA mit den Archosauriern teilen und somit ganz selbstverständlich mit den Dinosauriern gleichzustellen sind. Das ist vollkommen unstrittig erwiesen, sie Wissenschaftswurm.“
Auf jeden Fall sind sie alt genug, damit auch die Weltreligionen ein Wörtchen mitreden möchten. In der asiatischen Mythologie ist die Schildkröte Träger der Erdscheibe. Klingt einleuchtend. Und wegen ihres langen Lebens, hält man sie auch für fähig, Wahrsagern erhellende Botschaften in den Mund zu legen.
Der Schildkröte selbst dürften all diese Kinkerlitzchen relativ Wurst sein. Alles, was sie benötigt, um ein ausgefülltes, langes Schildkrötenleben führen zu können, ist ausreichendes Fressen, ein bisschen Fortbewegung und ein erfülltes Liebesleben. Und die Möglichkeit, alles zu vermeiden, was dazu führen könnte, in einer Suppe zu landen. Am Mittelmeer zu leben, ist da bereits ein vernünftigerer Schritt, als beispielsweise in Südostasien.
Wir erreichen die Farm, zahlen Eintritt und betreten ein wenig spektakuläres Gehege aus Holz- und Gitterumfriedungen, die mit blanker Erde und geschreddertem Holz gefüllt sind. Hier und da versucht sich etwas Gras zu etablieren. Aber die Pflanzenfresser sehen das eher als kulinarisches Angebot, statt als designerische Niveauregulierung. Ein paar Hügel sind aufgeschüttet und zu Unterschlupfhöhlen umgestaltet worden, manche mit Holzbalken verstärkt. Es sieht aus, wie in Hobbingen, nur nicht so grün. Hier und dort bewegen sich ein paar Steine. Ach nee, das sind ja die kleinen Scheißer.
Schildkröten gibt es hier in verschiedenen Größen und Farben. Ausschließlich Landschildkröten. Ein paar sind wirklich riesig. Andere sind klein und für ihre Verhältnisse ziemlich flink. In einer der staubigen Umfriedungen liegen die Hermannschildkröten faul herum. Es ist heiß und obwohl die Tiere es gern warm mögen, vermeiden sie die direkte Hitze. Die hohen Bäume werfen wohltuende Schatten und Hermann hält sich lieber dort auf, wo die Sonne verdeckt ist. Bei der Populationsdichte im Gehege sind die Höhlen alle besetzt. Die meisten Hermänner dösen träge im Halbschatten. Ein paar der aktiveren Exemplare albern herum, indem sie versuchen, auf dem Weg zu einem attraktiven Schattenplatz über herumlümmelnde Artgenossen zu klettern. Das sieht unbeholfen aus, zumal rechts und links genug Platz wäre, um die Kumpels großräumig zu umrunden. Sonderlich helle sind die Viecher offensichtlich nicht.
Trotzdem muss ich sie bewundern, wie sie so einklemmt zwischen zwei Knochenplatten, mit vier Stummeln als Beine und einem eigenwilligen Kopf mit einem zahnlosen Maul, mühsam über den Erdboden schrubben. Man kommt unwillkürlich in die Versuchung, diese Tiere wegen ihrer Unbeholfenheit zu bedauern und sich zu fragen, warum die Evolution sie dermaßen benachteiligt hat.
Schildkröte und Evolution sehen das anders. Diese Spezies hat sich seit Jahrtausenden kaum verändert, kaum an die sich wandelnden Verhältnisse angepasst. Warum auch. Die Schildkröte kommt gut zurecht. Sie muss bereits sehr zeitig in der Entwicklung fast fehlerfrei konstruiert worden sein. Der Mensch hingegen, mit seiner kurzen Entwicklungsphase, seit der Zeit, als er sich vorsichtig von den Bäumen herunter wagte, hat sich immer wieder angepasst, gewandelt und versucht sich auf komplizierteste Weise zu vervollkommnen. Und nun, wo er sich als die Krone der Schöpfung, als Meisterwerk der Evolution brüstet, stolpert er über ein unscheinbares Virus, das das Bestehen einer angeberisch makellos designten Lebensform wie der des Menschen, deutlich in Frage stellt.
Ein Herrmann wuselt gemächlich zum Zaun, an dem ich stehe. Das Tier besitzt einen hübschen Panzer. Hellbraun gescheckt und glänzend, wie eine polierte Wurzelholzplatte. Es hebt den Kopf. Ich habe den Eindruck, die Schildkröte hypnotisiert mich, mit ihren weisen Augen, aus denen uraltes Wissen zu sprechen scheint. Vielleicht spricht aus dem Blick ja auch Verachtung, wegen meiner Arroganz und der Dämlichkeit, zu versuchen, mich auf lediglich zwei Beinen zu bewegen. So was geht doch nicht lange gut. Vermutlich will sie mir zu verstehen geben, dass nicht sie das bedauernswerteste Geschöpf auf dieser Welt ist. Viel wahrscheinlicher scheint es, dass der Mensch, in seinem eitlen Streben nach Perfektion, der eigentliche Witz ist, über den sich die Evolution schlapp lacht.