Cardigan
Cardigan liegt im Norden von Südwales an einer großen Bucht, der sie ihren Namen verpasst. Eine mittelgroße, typische walisische Stadt mit Markt und Parkplatz, nebst angeschlossenem Einkaufscenter und einer alten Steinbrücke über den Fluss Teifi, der hier in die Cardigan-Bucht mündet.
Auf walisisch nennt sich die Stadt Aberteifi. Ich weiß, wie das geschrieben wird, aber nagelt mich bitte nicht auf die Aussprache fest. Das Walisische, auch als Kymrisch bezeichnet, ist eine ziemlich kuriose Sprache. Während ich durch Wales fahre, höre ich im Autoradio Radio Kymru, was soviel wie Radio Wales bedeutet.
Walisisch klingt, als wären alle Logopäden emigriert.
Eine fünfbögige Brücke führt über den Teifi. Die beiden Reiseführer, die ich mit mir führe sind sich nicht einig. Einer sagt fünf Bögen, der andere spricht von sechs. Genau zähle ich fünf, der Ansatz eines sechsten Bogens verwächst mit der Straße. So haben sie wohl beide Recht.
Es ist Mittag.
Das Wasser hat sich etwas zurückgezogen und ein paar Fischerkähne dümpeln im Brackwasser herum oder liegen auf dem Sand. Unweit der Brücke liegt das Wrack eines alten Seglers, das aussieht, wie aus der Zeit Francis Drakes. Der Hauptmast baumelt traurig auf halbmast, das Heck ist völlig verschwunden und der verbliebene Rumpf hat schon einiges an Sand geschluckt. Die Strömung ist leicht, was deutlich an der im Wasser schaukelnden Guinness-Dose zu erkennen ist, die gemütlich die Stadt verlässt.
Auf der Einkaufsmeile betrete ich einen Laden, um einen Film für meinen Fotoapparat zu kaufen. (Wir schreiben 1999). Ein kleiner, dunkelhäutiger Mann versucht mir, allerhand Keltenschnickschnack zu verkaufen. Authentische Silberringe, authentische Ohrringe, authentische Postkarten und authentische Kochbücher. Ich bedanke mich artig und schleiche mich rückwärts raus. Ich dachte, die Waliser sind zurückhaltend und schaue auf das Ladenschild. Inhaber Ranga Mukertjee, oder so ähnlich. Kam mir gleich indisch vor.
In Cardigan ist Viehmarkt.
In einer Seitenstrasße nahe der fünfbögigen Brücke über den River Teifi, befindet sich ein Tor, das sich selbst als Einfahrt zu einem Baumarkt ausweist. Dahinter verbirgt sich jedoch ein etwas verwegen wirkender Zugang zum Auktionsgelände.
Die Füße heben, sonst stolpert man!
Es muss wirklich ein alter Baumarkt gewesen sein. Paletten stapeln sich, Autoreifen liegen kreuz und quer und die Gebäude wirken, als hätten die letzten Besucher des Marktes auch noch versucht, die Farbe von den Wänden mitzunehmen.
Wer also das Gelände betritt, weiß, worauf er sich einlässt. Oder er ist kein Viehhändler und außerdem nicht aus der Gegend, was auf mich zutrifft.
Ich suche auch keinen Baumarkt, doch das Schafsblöken hinter dieser Mauer hat mich neugierig gemacht und da die Tür fast von allein aufging… Naja, sie wissen ja wie das ist.
Verschiedenen Gevierte, Verschläge und Gatter beherbergen Schafe, die gestern noch auf der grünen walisischen Weide standen und es mit etwas Glück morgen auch wieder tun, sofern sich ein Käufer findet. Kühe glotzen mich etwas ängstlich aus einem Unterstand heraus an. Keine Sorge, denke ich, ich kaufe Euch nicht. Zu kleine Wohnung.
Ein untersetzter Typ mit rotem Kopf und blauem Adernetzwerk auf den Wangen mustert mich kurz hilfesuchend. Er murmelt etwas und beschäftigt sich dann doch lieber alleine mit seinem Traktor.
Meine Ohren orten das schnarrende Geräusch einer schrecklichen Verstärkeranlage aus der unverständliches Gebrabbel kriecht. Es dringt aus der fehlenden Tür des Betonklopses, gleich neben den Kühen. Der bauliche Trauerfall entpuppt sich als die Auktionshalle. Rings um eine kleine Arena sitzen walisische Farmer und Viehzüchter, rauchend, kauend, spuckend. Sie betrachten zwei Kühe in der Mitte der Arena, die so tun, als schämen sie sich, weil sie das selbe Kleid anhaben. Stoisch schauen sie aneinander vorbei.
Ein dürres Männlein in einem glänzenden Anzug, der mich an das Schimmern der Fliegen auf einer Weide erinnert, hämmert auf ein Brett. Vereinzelt gehen Hände hoch. Auf der anderen Seite nestelt ein Mann nervös an seiner Mütze. Ich bin froh, das ich niemanden auf der anderen Seite kenne, den ich grüßen müsste. Schließlich hatte ich den Kühen versprochen, sie nicht zu kaufen.
Die Kühe gehen an den großen Bauern mit der Schiebermütze.
Es entsteht eine kleine Pause, in der leise getuschelt wird. Ich beschließe, mich dezent zurückzuziehen und trete auf einen Plastikbecher. Es wird erstaunlich still. Entschuldigend zucke ich mit den Schultern, hebe den Becher auf und tripple zum Ausgang. Gelächter.
Ich hätte den Becher liegen lassen sollen.
Bevor ich rausgehe, will ich noch eine kurze Spritztour aufs Klo machen. Ich habe es noch nicht ganz betreten, außer meiner Nase, die schon zehn Meter vorher das volle Aroma einstreichen konnte, als ich spontan entscheide, das ich doch nicht muss.
Ich streichle noch ein Schaf, das mich unverständlich anglotzt, dann verlasse ich den Viehmarkt.
Mein Magen knurrt irgendwas. Mangels Alternative lande ich bei Pizza-Hut, der örtlichen Austauschstelle für die Hausaufgaben der unteren Oberstufe. Eine der Schülerinnen hat ein Kleinkind bei sich. Höchstens ein Jahr oder anderthalb. (Das Baby – nicht die Schülerin). Das Kind wird erbarmungslos mit der englischen Haute-Cuisine bekannt gemacht. Doch irgendwie mag es keine Pommes.
Ich schaue mich noch ein wenig in Cardigan um, kann aber kaum etwas Sehenswertes entdecken. Also beende ich meinen Besuch, schlängle mich durch die chaotischen und engen Einbahnstrassen und fahre weiter Richtung New Quay.