Wir entern in Bollnäs den örtlichen Lidl, damit wir wenigstens etwas Essbares im Gepäck haben, das wir unabhängig von der Sprache einer Verwendung zuordnen können – Butter, Brot, Marmelade, Mückenschutz ect. Danach machen wir uns auf den Weg in die Gemeinde Delsbo am Dellensee, wo ein schickes Ferienhaus auf uns wartet. Doch um dort hin zu gelangen, muss ein Hindernis überwunden werden und das ist die schwedische Art und Weise, mit Straßenreparaturen umzugehen.
In Mittelschweden sind die Winter lang und schneereich. Frost ist der natürliche Feind des Asphalts, wie wir ja aus den gemäßigten Winterperioden in Deutschland wissen. Straßenreparaturen kann man also nur sinnvoll durchziehen, wenn das Wetter einigermaßen trocken ist. Das ist in Mittelschweden meist im Sommer der Fall. Und da man nicht kurze Stellen repariert, die es nötig haben, sondern grundsätzlich ganze Strecken, werden regelmäßig Verbindungen zwischen größeren Orten und Verkehrsknotenpunkten komplett geschreddert. Bei laufenden Verkehr. Die Straße zwischen Bollnäs und Jarsvö ist zu zwei Dritteln verschwunden. Was übrig ist besteht aus grobem Splitt und Löchern. Erlaubt ist auf dem etwa 12 km langen Teilstück eine Geschwindigkeit von 50 km/h, die ich mir auf Grund des vollbeladenen, schon recht betagten Autos, in dem wir sitzen nicht recht zutraue. Andere Fahrer vor und hinter mir bleiben im Tempo ebenfalls moderat. Nur ein paar Hausfrauenpanzer schießen mit der ihnen eigenen Arroganz größere Splittsteine mit ihren fetten Reifen durch die Gegend. In Jarsvö findet die Tragödie vorerst ihr Ende und wir biegen auf eine attraktive kleine, gewundene Straße, die über ein paar Höhenzüge und entlang zahlreicher kleiner Seen und Bäche durch dicht bewaldetes Gebiet führt. Eigentlich die ideale Gegend, um auf Elche zu treffen. Der Art von Hoffnung beseelt, fahre ich aufmerksam in den Wald stierend, drauf los. Außer einer Fasanenfamilie, die die Straßenseite wechselt und dabei auf meine Bremsen vertraut, sind nur Kühe zu sehen. Ich ordne sie unter Milch-Elche ein und bin erstmal zufrieden.
Delsbo ist ein kleiner Ort an einem großen See. Der Dellensee besteht aus zwei großen Wasserflächen, dem südlichen und dem nördlichen Dellensee. Es ist sommerlich sonnig an diesem Tag und meine Befürchtungen im Hohen Norden mit Pudelmütze herumlaufen zu müssen, schwappen ins Leere. Es ist eher Wetter für leichte Sommerkleidung. Der Vermieter unseres Ferienhauses erscheint in Unterhemd und kurzen Arbeitshosen. Per-Anders spricht gut Deutsch. Er hat in Leipzig studiert. Er präsentiert das schöne
alte Bauernhaus fast mit einer entschuldigenden Zurückhaltung, für den Fall, dass nicht alles perfekt ist. Es ist komfortabel und stilvoll eingerichtet, groß, hell und sauber. Das Dachgeschoss ist ein in drei Segmente aufgeteilter Wohnbereich, in dem sich alles befindet, was man selbst im Urlaub nicht wirklich benötigt. Das beinhaltet fette Ledersessel, einen Globus, der als Tischlampe fungiert, einen hochmodernen Flachbildschirmfernseher und – ganz selbstverständlich – eine funktionierende Hammond-Orgel. Eine alte Singernähmaschine steht an der Treppe zum Erdgeschoss, als habe gerade jemand seine Arbeit unterbrochen, um sich einen Tee zu machen. Im gesamten oberen Wohnbereich stehen vier Couchen, ohne das man den Eindruck hat, hier wäre alles zugestellt. Das ebenfalls im Obergeschoss befindliche Schlafzimmer ist groß und wie ich im weiteren Verlauf, der Abende um den Mittsommer herum feststellen muss, sehr hell.
Im Erdgeschoss kann man zwischen zwei weiteren Schlafzimmern für Jungegesellen oder Kinder wählen. Diese sind ebenfalls hell, aber nicht so sehr, wie im Obergeschoss. Ein ausreichend ausgestattetes Bad mit Dusche ist zu finden, eine sehr große und mit allem Schnick und vor allem jedem Schnack beladene Küche lädt ein, den Ort zur Dauernutzung einzurichten. Bemerkenswert ist vor allem ein alter Feuerherd, der mehrere schwere eiserne Kochplatten aufweist, sowie einen angebauten Kupferbehälter, den man mit Wasser füllen kann. Wer immer ausreichend Holz in den alten Ofen wirft, hat auch immer ausreichend warmes Wasser für Tee und Kaffee zu Hand, dass er aus dem Messinghahn am Behälter abfüllen kann.
Es gibt noch ein weißes Esszimmer mit Anrichte, großem Esstisch, weißen Stühlen und einem weißen Kachelofen. Ein Zimmer, in dem ich nur Speisen möchte, wenn ein Butler serviert und abräumt und einen beim Teetrinken der kleine Finger vom Abspreizen schmerzt. Bilder von Elchen zieren den Wand. Wer weiß, wer sich diese Viecher ausgedacht hat.
Und was ist jetzt mit dem Untergeschoß? Ach naja. Pille-Palle. Noch ein kleines Wohnzimmer mit Bett und Couch und Sessel, eine Waschküche, eine Sauna und ein Whirlpool. Was man so reinstellt, wenn man genug Platz hat. Per-Anders entschuldigt sich, dass man den Whirlpool nur anschalten kann, wenn man sich flach auf den Boden legt und unter das Becken greift, wo dann ein Kippschalter zu finden ist. Schlimm diese Komforteinschränkung. Dann reden wir noch ein bisschen über den Außenbereich, den kleinen Pavillon und den Grill und die Sitzecke vor dem Haus und der beinahe unzumutbaren Situation, dass das W-Lan etwas schwach ist und man sich mit dem Telefon oder Rechner ein paar Meter vor das Haus begeben muss, um ins Internet zu gelangen. Ich fürchte, es gibt Leute, die das ernsthaft als Einschränkung ansehen. Ich bin ja auch gern gut vernetzt. Und wenn es nicht ganz perfekt klappt, mit dem Versenden von Informationen an die Daheim Gebliebenen, kann ich auch schon mal für ein paar Minuten ins Grummeln kommen. Allerdings hoffe ich, dass die Qualität der Arbeit am Heimatort nicht dadurch leidet, weil gewisse Kollegen ihre Gute-Nacht-Geschichte aus meinem Urlaub nicht rechtzeitig bekommen und deshalb schlecht schlafen.
Per-Anders wünscht uns schöne Tage und wandert auf ein entlegenes Gebiet seines Gehöftes, wo er an einem großen Bagger herumwerkelt, mit dem er einen Erdhügel abtragen will. Ein überdachter Arbeitsort, an dem er auch bei Regen arbeiten kann, soll dort hin. Eine Art Carport zum Holzhacken. Ich hoffe, in dem Hügel wohnen keine Elfen, die er stört. In Schweden kann man nie wissen.
Bevor ich ins Haus gehe, um mit unserem mitgeschleppten Kram, die vorherrschende Ordnung neu zu definieren, höre ich vom Nachbargrundstück noch das laute Anschlagen eines Bell-Elches.
Anzahl gesehener Elche: = 0
Milchelche: eine Herde
Bell-Elche: einen gehört.