Über Norwegen muss man nicht viele Worte verlieren.
Allerdings wären ein paar “Ahs” und “Oooh’s” oder auch “Du meine Güte” ganz angemessen.
Man muss aber auch erstmal ankommen, denn auch Norwegen wirkt um so größer, umso geringer die Geschwindigkeit ist, mit der man sich auf den langen Straßen bewegt. Und zu den imposanten Ecken des Landes ist es oft ein weiter Weg.
Die letzte Straße, die wir in Schweden benutzen ist schnurgerade und geht langsam durch ein Waldgebiet bergauf. Irgendwann gibt es ein unbedeutendes Hinweisschild, das mich nach links weist. Ein kurzes Stück von etwa einem halben Kilometer Länge bleibt die Straße auf einem Höhenniveau, dann weist mich ein weiteres Hinweisschild wieder nach links. Ich bin in Norwegen, wie ich am durchgestrichenen O auf dem Verkehrsschild entnehme. Die Straße führt mich nun wieder bergab, schnurgerade. Sie läuft parallel zu der, die ich in Schweden gerade hochgefahren bin. Außer, dass die wenigen Autos andere Nummernschilder tragen, sieht es nicht viel anders aus. Die Bäume sind hoch, die Wälder sind dunkel und es gibt keine Elche. Allerdings beginnt es jetzt zu regnen. Dafür, das Norwegen kein Land der europäischen Union ist, läuft der Übertritt ziemlich unspektakulär. An der Grenze befindet sich keine verwaiste Zollstation, keine Wechselstelle und auch keine Tankstelle. Nichts weist darauf hin, das Land gewechselt zu haben.
An einer Haltbucht am dunklen Wald teste ich ein norwegisches Klo. Es ist ein umweltverträgliches Holzhäuschen, das zwei Türen besitzt. Hinter jeder verbirgt sich ein Plumpsklo mit Plastedeckel. Das linke ist Unisex, also für weiblich, männlich und besonders. Das rechte ist das Behindertenklo. Beide sind innen identisch. So geht Gleichberechtigung in Norwegen.
Das Tagesziel heißt Hamar, ein größerer Ort von der Attraktivität Hannovers. Wir halten vor dem First Hotel Victoria, welches unser Nachtdomizil sein soll. Direkt vor der Tür ist ein Parkplatz frei, der von 17.00 Uhr bis 9:00 Uhr kostenfrei ist. Es ist jetzt sechs Uhr abends und morgen wollen wir früh weg. Ich glaube das entspricht im Lotto dem Gewinn bei einer richtigen Endziffer im Spiel 77. Kein wirklicher Gewinn, aber über zweifuffzich freut man sich auch. Das Hotel Victoria ist gemacht für Geschäftsleute und Reisegruppen auf der Durchreise bei der Skandinaviendurchquerung. Es ist ein geschäftstüchtig wirkender Laden mit moderner Rezeption, die uns gleich auf englisch anspricht, bevor wir auch nur auf die Idee kommen, den Rezeptionisten mit französisch oder altgriechisch oder vielleicht sogar deutsch durcheinander zu bringen. Unser Zimmer befindet sich im siebenten Geschoss. Der Fahrstuhl, eine Blechbüchse aus Edelstahl, die mit dem großen Spiegel an der Wand vorgibt, größer zu sein, als sie ist, katapultiert uns nach oben. Aus dem Lautsprecher im Fahrstuhl schnattert ein Computer auf Norwegisch, einer Sprache die für mich so klingt, als würde man sich mit einem Kleinkind auf Brabblisch unterhalten.

Das Zimmer bietet einen weiten Ausblick auf den Mjøsasee, den flächenmäßig größten See Norwegens. Weit hinten führt eine imposante Brücke hinüber zu einer Insel. Zahlreiche Segelboote liegen in einem Yachthafen, der direkten Anschluss an den städtischen Bahnhof besitzt. Wolken ziehen grau über den See und die dahinter aufsteigenden Berge. Auf der Straße stehen Radfahrer mit viel Gepäck auf der Suche nach einer Bleibe für den Abend. Sie schauen am Hotel hoch und fahren dann weiter. Eine Busladung Japaner wird ausgekippt. Munter schnattern sie sich zum Hoteleingang.

Hamar war während der Olympischen Winterspiele 1994 in Lillehmmer ein wichtiger und zentraler Punkt für Sportler und Medien, da Lillehammer (z.dt. Klein-Hamar) auf Grund dem Naturschutz geschuldeter Baubeschränkungen nicht alle Sportstädten und Quartiere vor Ort stellen konnte und wollte. Die Spiele galten als maßvoll und ökologisch durchdacht, was im Olympiazirkus eher die Ausnahme ist.
Hamar ist ganz angenehm angelegt. Es besitzt große Plätze, viele Springbrunnen und bietet von vielen Stellen aus

einen Blick auf den See. Trotzdem ist die Form der modernen Architektur im Ort eine weitgehend hässliche. Kantige Bauten mit bei Nässe dreckig wirkender Fassade beherrschen die Fußgängerzone.
Es ist Freitag nach 18:00 Uhr. Während in ganz Schweden gerade zahllose Mittsommernachtspartys ihren Höhepunkten zustreben, schwingt in Hamar der Heilige Schnarchsack das Zepter. Ein paar Gaststätten haben noch auf und Hunger macht sich bemerkbar. Es gibt Steakbars und Pizza-Grills. Ich betrachte die Preise an den Auslagen und überschlage den Umrechnungskurs. Dann überlege ich, wann ich das letzte mal hungrig ins Bett gegangen bin und ob das einen Alternative wäre. Letztlich landen meine Herzdame und ich in einem Container, der sich als Pizza-Grill herausstellt. Wir betrachten die Pizzasorten auf der Speisekarte. Die sind ganz abwechslungsreich. Meine heißt Moby Dick. Ich hoffe, da ist kein Wal drin. Ein Knoblauchbaguette vorher und ein Wein und ein Bier sowie zwei Pizzen kosten uns dann am Ende ca. 60 Euro. Der Preis scheint hier normal zu sein. Ich fürchte, die finanzielle Seite des Norwegenurlaubs wird eine schmerzliche.
Die Hotelbar hat zu. Vielleicht auch gut so. Auch das angepriesene Sushirestaurant des First Hotel Victoria kann uns nach der Pizzaerfahrung nicht mehr auf einen Nachtsnack locken.
Aus dem Fahrstuhl sind Brabbelgeräusche zu hören, noch bevor er angekommen ist und ich erwarte eine Schar schnatternder Japaner aus dem Blechkasten trällern. Doch der ist leer und schnattert nur elektronisch und auf norwegisch Ansagen, die dem internationalen Gast Hilfestellung und Wegweiser zugleich sein sollen.
Der Regen tropft lautstark auf das schräge Blechdach vor unserem Fenster. Wir löschen das Licht und freuen uns darauf, morgen weiter fahren zu dürfen.
Das Frühstück im Hotel findet im dritten Stock statt. Man kann also auf den See gucken, wenn man einen Tisch in der Nähe der Glasfläche findet.
Es ist voll. Japaner besitzen hier das gästemäßig größte Kontingent. Ein drahtiger, aber sehr kleiner, europäischer Mann Mitte Fünfzig mit modernem Bart sitzt in Blickrichtung. Er redet vor sich hin und ich denke mir, er telefoniert. Er guckt immer mal hin und her. Ein Telefon kann ich nicht entdecken. Ein bisschen gnatzig sieht er aus. Seine Sprache ordne ich ins skandinavische ein. Norweger. Sieht sogar echt griesgrämig aus, der Bursche. Es gibt da den Weltglücksbericht, der seit fünf Jahren als öffentliche Studie grassiert. Seit 2017 besetzen die Norweger Platz eins. Wiedereinmal bin ich mir nicht sicher, wie weit man Google vertrauen sollte.
Kurze Zeit später erscheint eine junge Trainingswäscheträgerin, die eine Sporttasche mit der norwegischen Flagge auf einen freien Platz schleudert. Klar. Olympiastützpunkt.
Die Japaner machen Witze, über die verhalten gekichert wird und über die man in Europa selten lachen kann, selbst wenn man Japanisch versteht. Aber es genügt schon einem norwegischen Fahrstuhl zuzuhören, um sich wie in “Lost uin Translation” zu fühlen. Eine arabische Familie am Nachbartisch albert mit den Kindern rum. Wenigstens das sieht normal aus. Geschirr klappert und ganz leise hört man die Werbung eines norwegischen Radiosenders aus den Boxen in der Decke kleckern. Frühstück im Hotel einer gewöhnlichen Stadt in Innern Norwegens.
Wir checken aus und machen uns auf den Weg Richtung Sognefjord.