Auf der Nachbarhalbinsel befindet sich eine landschaftliche Besonderheit: der Sillon de Talbert. Dabei handelt es sich um einen Strich in der Landschaft oder besser im Meer. Dieses Naturreservat ist eine kleine Erhöhung über Meeresniveau, das fast ausschließlich aus Steinen besteht. Es ist etwa neun Kilometer lang und kann bei Ebbe und Flut bewandert werden. Strandläufer nisten hier in den Steinen. Es gibt keinen fest markierten Wanderweg und man spaziert die ganze Strecke bis zu Ende der Welt auf rutschigem, steinigen Terrain. Bei Ebbe wird es zu einem Spaziergang auf dem Meeresboden.
Da wieder einmal der Küstennebel die Aussicht dämpft, ist das Ende der Landzunge nicht zu sehen. Ein paar unermüdliche Wanderer machen sich auf den Weg und verschwinden im Nebel.
Am Ausgang des Sillon de Talbert befindet sich ein Restaurant mit dem Namen Bigouden Blues. Das Bigoudenland, das sich eigentlich eher im südlichen Teil der Bretagne befindet, bezeichnet sich nach der traditionellen Baumwolltracht der Einwohner. Besonders hervorgehoben sind dabei die hochstehenden Hauben der Frauen, die aussehen, als verbergen die Frauen darunter ein Horn. Nach dieser Mode der Einhornfrauen hat sich auch das Restaurant am Ende der Welt benannt “Bigouden Blues”. Muscheln stehen auf dem Speisezettel und Austern und Kartoffeln. Gegen Mittag ist es gut gefüllt, da allerhand Einheimische hier anreisen.
Ein Teil des ausgedehnten Küstenwanderwegs zieht sich das Ufer entlang. Die Aussicht wird allmählich besser, der Nebel verschwindet und in einiger Entfernung ist eine Fähre erkennbar, die aus England kommt und den Hafen Roscoff ansteuert. Ein Containerschiff mache ich mit dem Fernglas auch noch aus und schließlich taucht ein Leuchtturm aus dem Nebel.
Wieder zurück in Plougrescant zeigt sich die Sonne von ihrer besten Seite und ich beschließe noch eine Runde mit dem Rad zu drehen. Eine Seitenstraße führt mich rasch auf Le Gouffre zu, dem berühmten Haus zwischen den Felsen. Dann fahre ich an einer enormen Bucht vorbei, die trocken liegt und in der einige Leute Steine umdrehen, um nach sich versteckenden Krabben zu suchen. Im Nachbarort erklimme ich einen Hügel, der hinter seinem Kulminationspunkt eine Abfahrt offeriert, bei der selbst ich vor Respekt schlottere. Knapp hundertfünfzig Meter geht es mit ca. 25 Prozent hinunter, um unvermittelt in einer uneinsehbaren Kurve wieder ein gutes Stück bei weitem nicht so steil aufwärts zu führen. Ich hoffe, ich muss hier entlang nicht zurück.
An einem Tal, in dem ein Fluss in eine Bucht gemütlich hineinplätschert und die den Namen l’enfer (die Hölle) trägt, treffe ich auf eine Kreuzung. Ich will auf mein Radnavigationsgerät schauen, um zu sehen, wo ich hin muss, als mich das laute Kläffen dreier Hunde aufschreckt. Es kommt von einem Grundstück an der Straße, das keine Umzäunung besitzt. Die drei recht großen Hunde kommen zügig auf mich zu. Einer knurrt, einer hat die Zunge raushängen, als wolle er mich jeden Augenblick kosten. Da sich, wie ich bereits erwähnte, die Kreuzung im Tal befindet, gibt es nach drei Seiten nur ansteigende Straßen. Die Hunde kommen immer näher und ich beschließe die Orientierung zu verschieben und rase los in Richtung weg von den Hunden. Ich fahre ja mal ganz gern einen Berg hoch, suche mir normalerweise meine Geschwindigkeit aber selbst aus. Heute fahre ich sehr zügig, zügiger als es gut tut, aber die Hunde bleiben zurück. Hechelnd bleibe ich auf der Anhöhe stehen und schaue nun doch auf mein Navi. Logischerweise befindet sich die Richtung, in die ich muss, auf der anderen Talseite. Ich muss also nochmal runter und auf der anderen Seite der Hunde wieder hoch. Ich hoffe die Kläffer mit etwas Schwung hinter mich zu bringen und rase bergab. Am Hundegrundstück sehe ich die drei Viecher im Sand liegen. Einer blinzelt mir zu, als wollte, er sagen: “Na. Schiss gehabt?”. Sonst regen sie sich nicht. Ich schieße also in den Anstieg und schalte ein paar Gänge runter. Die Kette springt ab. Ich stehe an der Steigung und höre sofort wieder das Kläffen. So schnell hatte ich noch nie eine Kette wieder aufgelegt. An einer Steigung wieder in Tritt zu bekommen, gehört zu den anstrengendsten Dingen beim Radfahren, aber es geht mit Angst in der Hose schneller, als ohne. Das Kläffen verliert sich schon deshalb recht schnell, weil die Hunde offensichtlich nicht extra aufgestanden sind, um mich zu vertreiben. Den Rest der Strecke bis zum Haus fahre ich unter hohem Adrenalineinfluss. Wahrscheinlich ist das eine Art psychisches Doping.
Abends besuchen wir eine kleine Kneipe unterhalb der Kirche. Diese ist urgemütlich eingerichtet, besitzt als Tresen eine Schiffsrumpf und ist auch sonst eher maritim ausgestattet. Außer uns befindet sich noch eine gemischtsprachige junge Familie mit zwei Kindern im Laden. Sie sprechen deutsch und tschechisch. Die Kellnerin wird gnadenlos mit Englisch angesprochen. Kein Versuch von französisch wird unternommen. Nicht mal ein simples “Merci”. Find ich ja immer ein bisschen befremdlich, sich so überhaupt nicht zu bemühen.
Als Hauptgericht gibt es “Fish & Chips”. Vom Fass tropft Guinness. Trotz unserem Bemühen auf Französisch zu bestellen und auch sonst sämtliche Konversation mit der Wirtschaft auf französisch zu führen, verabschiedet uns die Kellnerin mit “Goodbye”. Gemütlich ist die Kneipe ja, aber irgendwas stimmt an dem Laden grundsätzlich nicht.