Ich hatte gestern Abend noch mit dem Rad die Strecke zur nächsten Gaststätte erkundet. Sind ein paar wenige Kilometer bis zum Ortskern von Plougrescant. Das geht hier in der Bretagne immer auf und ab, kleine Hügel mit freundlich bemerkbaren Steigungen und rasanten kurzen Abfahrten. Also alles, wie ich es gern habe. Gestern Abend ging das auch ganz gut mit dem auf und ab, aber irgendwie will es heute morgen, beim zum Bäcker radeln nicht so rasant vorangehen. Wahrscheinlich liegt es am Wind, noch wahrscheinlicher an mir. Die Knochen steif, steig ich im Ortskern vom Rad und stöhne. Der Verkäuferin in der Boulangerie gegenüber geb ich mich etwas wortfaul, aber sie ist selbst auch nicht sehr gesprächig und außer Bonjour, Petit Pain und bon journée haben wir uns nicht viel zu sagen.
Die Rückfahrt geht schon deutlich besser, auch wenn die Autofahrer im Land der Tour de France von Radfahrern im Straßenverkehr nicht eben viel halten.
Der Tag beginnt neblig, vom Meer ziehen Schwaden des Nebels an Land, während das Wasser sich bereits deutlich zurückgezogen hat. Wenige Kilometer westlich, in Perros-Guirec ist das Wetter freundlicher. Wir halten am Hafen und schauen uns um. Der Ort besitzt nur knapp 8000 Einwohner, aber im Jahr kommen etwa 80000 Gäste in die Hafenstadt. Das Wappentier ist der Papageientaucher. Der Hafen ist gut gefüllt mit zahlreichen Yachten und Segelschiffen. Aber es wirkt hier nicht so angeberisch pompös, wie in manchem Mittelmeerorten. Gegenüber des großen Yachthafens ist ein kleines Bassin. Hier liegen winzig kleine Elektrobötchen, die gerade Platz für eine Person bieten. Kaum größer als Tretboote, nur eben ohne Tret. Jedem der Boote ist per Flagge eine europäische Nation zugeordnet.
Ein englisches Schnellboot und ein Kreuzfahrtschiff ist zu erkennen. 4,50 kosten hier die kurze Bootsfahrt. Es steht am Verleihpavillon dran, das geöffnet sei. Es ist aber zu. Also nix mit Bötchen fahren.
Wir fahren weiter nach Ploumanac’h. Dieser Ort gilt als Eingangstor zur Cote de Granit Rose, dieser wunderschönen Küste mit den riesigen Granitkolossen, die im Meer baden. Angeblich soll Didi Hallervorden hier ein Haus besitzen. Schön, dass Euch das auch nicht interessiert. Interessanter ist da schon, dass auch der großartige Ingenieur Gustav Eiffel hier lebte.
Der Küstenwanderweg, der vier Kilometer lang an den Granittrollen vorbei führt ist ein ehemaliger Zöllnerweg. Er wurde im frühen 19. Jahrhundert angelegt, um Schmuggler und Piraten unter Kontrolle zu halten. Erhalten hat sich der Weg bis heute und er gilt als einer der schönsten Abschnitte des langen Küstenwanderweges entlang der Bretagne. Wir kommen nicht so recht voran, weil alle paar Meter fotografiert werden muss und laut Ahs und Ohs ausgestoßen werden.
Man wird ganz kirre vor lauter Panorama. Diese vielen Felsen, die hier wahllos aufeinander getürmt übers Meer blicken, und häufig genug bis zur Taille im Wasser stehen, wenn es denn mal da ist, wirken so, als hätte man die Sächsische Schweiz zum Waschen ans Meer gebracht. Viele dieser Steine sehen aus wie Trolle, wenn man sich denn Trolle als gnatzige Grantitbrocken vorstellen möchte.
Auf manchen dieser Brocken wachsen Blumen. Das sind eindeutig weibliche Trolle. Die Jungs wirken etwas abweisender, cooler.
Den Weg bewandern wir nicht allein. Eine bunte Schar an Wanderern begegnen uns. Dazu gehört hier im Französischen radikales Angrüßen. Ständig wird hier gegrüßt und nur wenige, meist als Holländer identifizierbare Wanderer bekommen das nicht hin. Der Mund wird einem fusselig vor lauter Bonjour, ça va und Messieur Dame. Aber man will auch nicht als verstockter Tourist gelten und bonjourt fleißig zurück, auch wenn es sich im Laufe des Weges meinerseits eher auf ein freundliches Grunzen reduziert.
Am Ende des Weges, den wir uns vorgenommen haben, stehen wir vor einem Leuchtturm. Ein großer Steinturm, der an der höchsten Stelle der Küste thront. Gebaut aus gigantischen Steinen eines Ankersteinbaukastens. Ringsherum kreischen Möwen, der Nebel steigt wieder langsam auf, die Luft riecht nach Schlick und die Stimmung ist so richtig küstenhaft. Wir gucken aufs Meer und es ist immer noch weit weg.
Auf dem Rückweg schaue ich auf die weißen Waden eines Pärchens vor mir. Ich wundere mich über diese abnorme Farbe. Leichenblasse Beine bei beiden Wanderern. Dann höre ich sie reden. Ein langgezogenes Yorkscher Englisch. Hätte ich mir auch denken können, die natürliche Hautfarbe eines Briten wandelt bekanntlich nur zwischen Leichenblass und krebsrot. Das britische Farbspektrum gibt da nicht viel mehr her. Die beiden haben gerade erst angefangen mit dem Urlaub.
Der letzte Teil des Tagesausflugs bringt uns nach Tregastel, einem Seebad, das seinen besten Zeiten längst hinter sich hat. Die Strandhäuschen verfallen, die Gaststätten billige Bars, die Hotels zum Teil geschlossen und das Meer natürlich weg. Von einem Aussichtspunkt aus beobachten wir das wiederkehrende Wasser, das mit einer enormen Geschwindigkeit den Strand hinaufrollt. Wir bleiben hier nicht lange. Ein Sandwich vor einem Bäcker reicht als Erfrischung und wir rollen wieder zurück in unser Ferienhaus am Rande des Universums.