Wenn ich Morgens zum Bäcker in das sogenannte Centre Ville des kleinen Ortes fahre, guckt die Verkäuferin mittlerweile nicht mehr ganz so abweisend, wie am ersten Tag. Es ist genaugenommen auch kein Bäcker, sondern ein kleiner Hier-gibts-alles-Laden. Waschmittel, Kaminanzünder, frischen Joghurt, meterlange Baguettes, Frühstücksbier, also alles, was man Morgens auf dem Fahrrad so die paar Kilometer zwischen Unterkunft und Marktplatz so mit schleppen will. Die Backwaren werden vor Ort frisch gebacken. Aus dem Hinterstübchen kommt regelmäßig ein abgekämpftes Grauhaar, das frisches Brot nach vorn in den Verkaufsraum schleppt. Der Bäcker fängt hier morgens um drei an zu kneten und zu backen. Etwas, was in Berlin immer seltener zu finden ist, seit die Backwarenketten ihre Schnellen Brüter in den Läden zu stehen haben.
Die ältere Verkäuferin akzeptiert mein holperiges Französisch inzwischen und macht hin und wieder auch schon mal einen Scherz auf meine Kosten, den ich nicht verstehe. Jedenfalls lächelt sie, sagt was und die hinter mir Stehenden lächeln ebenfalls. Heute parkt eine etwa achtzig Jährige Omi vor mir. Sie sackt ihre Brötchen ein und plaudert mit der Verkäuferin. Das Geld ist längst eingesteckt, sie ist gefühlt seit einer Stunde auf dem Weg nach draußen und hat sich auch schon drei mal verabschiedet, da dreht sie sich noch einmal um und beugt sich weit über den Verkaufstisch zur Verkäuferin. Sie beginnt zu tuscheln. Die Verkäuferin verzieht das Gesicht zu einem besorgten Faltenknäul. Ich bemerke sofort, dass es sich hierbei um ein “Oh mein Gott, nein wirklich”- Gespräch handelt. Die Omi drückt sich noch weiter hinüber und tuschelt noch leiser. Ich weiß nicht, was sie geheim halten will, aber mein französisch reicht für Dorftratsch nicht aus, und das was die beiden Klatschbasen da austauschen, tun sie dem Klang nach im kantigsten Bretonisch. Irgendwann entschließt sie sich dann doch langsam aus dem Laden zu schlurfen und ich kann meine Bestellung aufgeben.
Neben dem Laden befindet sich der Marktplatz. Über die Woche ein Parkplatz vor der örtlichen Post, die ich nie offen erlebe, dem Tourismusbüro und der Mairie – also der Gemeindeverwaltung. Das ganze ist relativ dicht an der Kirche gelegen. Der wöchentliche Markttag in Plougrescant fällt hier auf den Sonntag Vormittag. Ich weiß nicht, was der Pastor des Ortes dazu sagt, wenn man lieber vor dem Tempel handelt, als ihn besucht. Drei Kirchen habe ich in dem Ort gezählt. Eine kleine evangelische, eine als Museum umgestaltete Dorfkirche und eine riesengroße katholische Kirche, die auf einer Anhöhe steht und ein Wahrzeichen ist, das von der Ferne so gut zu sehen ist, wie ein Leuchtturm. (Sofern nicht Nebel herrscht.) Gaststätten besitzt der Ort nur eine mehr. Ähnlich wie in Treguier haben sich hier die kleinen Bars, Creperien und Kneipen darauf geeinigt, ihre Schließtage weitgehend gemeinsam zu feiern. Lediglich die maritime Kneipe neben der Kirche nutzt ein bisschen die Situation aus und öffnet auch schon mal, wenn alle anderen Läden dicht haben. Das Angebot in dem Laden ist nicht wechselhaft. Bretonischens Bier, Landwein, Breiz-Cola – also Cola aus der Region. Ansonsten Fisch und Chips, Cheeseburger, Muscheln mit Fritten und etwas, das in Deutschland als Häckerle durchgeht. Alles durchaus essbar, aber nicht die Haute Cuisine. Dazu gibt es lauten Blues oder Discomusik aus den Siebzigern. Die Besucher sind meistens Fischer und Landarbeiter auf dem Weg nach Hause. Da gibt es noch mal ein schnelles Bier und dann Salue. Gelegentlich verirren sich hungernde Touristen hierher oder auch mal Fußballgucker aus der Region. Public Viewing ist in Frankreich nicht so verbreitet. Lediglich wenn die eigene Mannschaft spielt, holt man schon mal den Beamer raus.
Ein Stück die Straße hoch, kommt man an die Kirche des Ortes, die als historisches Monument für Pilgerer und Besucher offen steht. Die Kirche besitzt einen schiefen Turm. Als man den vor etlichen Jahrhunderten auf das Dach setzte, stellte man schnell fest, dass er zu schwer war. Er kippte leicht. Man stabilisierte ihn, er kippte weiter. Man versuchte noch ein bisschen zu tricksen, da rutschte der Unterbau in die andere Richtung und alles schien sich einzupendeln. Als man die Idee hatte, den Turm jetzt gerade zu rücken, protestierten die Einwohner. Man hatte sich an das schräge Teil gewöhnt. Nun steht er so wie er steht und ist ein beliebtes Motiv für allerhand Fotografierende, die vorbeikommen und sich auf die Kreuzung stellen, um zu knipsen. Wenn jemand meint, der Straßenverkehr sei nur in Berlin gefährlich? Hier ist zwar nicht so viel los, aber wenn … .
Noch ein Stück weiter, an einer Kurve hängen bretonische Fahnen an einem Wohnhaus. Ob hier der örtliche Nationalist oder der Gewerkschaftsführer des Dorfes wohnt ,weiß ich nicht.
Die Gemeinde ist groß, stark zersiedelt und verteilt sich über die halbe Halbinsel. Am meisten Betrieb ist aber an dem kleinen Parkplatz am Ende der Straße, da, wo die Halbinsel am tiefsten ins Meer sticht. Point du Chateau, der Aussichtspunkt, an dem das Wasser anbrandet hat einen kleinen Strand, zumindest wenn das Wasser noch nicht ganz weg ist oder gerade kommt. Mutige und Kinder in Neoprenanzügen baden hier. Weiter in der Bucht liegen die Boote. Letztlich ist so eine Bucht, in der überall Boote herumliegen in seiner Ansicht auch nichts anderes, als ein Parkplatz, der etwas feucht ist. Aber es sieht romantischer aus.
Eine Bucht weiter steht ein riesiger Felsen im Wasser, der mal Insel und mal Kletterfelsen ist.
Und dann, einen knappen Kilometer weiter den Küstenwanderweg entlang, gelangt man zum Fotoobjekt Nummer eins in der Bretagne: Le Gouffre. Jenes zwischen die Felsen geklemmte Haus, das auf jedem Bretagneführer zu finden ist. Immer, wenn wir dort entlang spazieren, stehen ein oder zwei Autos davor. Ich bin mir nicht sicher, ob da immer Leute drin wohnen oder ob das Fremdenverkehrsamt Geld dafür nimmt, die Autos wegzufahren, damit man eine gutes Motiv fotografieren und vermarkten kann. Letztlich sieht das Haus zwar imposant aus. Aber wohnen möchte ich doch lieber in dem kleinen Häuschen mit dem Panoramablick.