Das Wetter in der Bretagne kann selbst den kaltblütigsten Meteorologen zum Weinen bringen. Wetter-Apps erscheinen wie Lottotipps. Selbst das aktuell stattfindende Wetter ist schwer anzusagen. Und Küstenwetter macht sowie so was es will, da hilft es, wenn Meteorologen beim Bilden des Konjunktivs besonders gut zugehört haben. Abends haben wir wunderbares Wetter am Wasser. Wind, schöne Wellen, starke Brandung, die weiße Gischt hervorbringt und blauer Himmel. Mit Blick aufs Land sieht man Wolkenungetüme, dunkel und drohend. Es gab Tage, da war es umgekehrt. Aus dem sonnigen Inland kommend, sahen wir schon von Weitem eine Nebeldecke über der Küste. Einen Streifen von knapp drei Kilometern bedeckte der Nebel über Land. Heute wird stattdessen die Küste freigepustet.
Besonders interessant ist es unterwegs. Der Weg führt uns weg von der Cotes d’Armor ins Finistere. Wir wollen nach Morlaix, einem Städtchen mit Hafen und Viadukt. Das ist ein bisschen Fahrtweg, aber wir sind voller Hoffnung und schauen in den blauen Himmel. Unterwegs verdunkelt sich die Welt. Am Strand von St. Michel en Greve, einer riesigen Bucht in der man das Meer bei Ebbe in zwei Kilometern Entfernung gerade noch so sehen kann, während es bei Flut bis an den Parkplatz schwappt, wird es bereits ungemütlich. In Morlaix selbst beginnt es mit dem Ortschild fürchterlich zu regnen. Wir kreisen ein bisschen am Hafen herum und entschließen uns bis Roscoff weiterzufahren. Entlang der Corniche, der Uferstraße sehen wir von der Rivière de Morlaix, das was übrigbleibt, wenn das Wasser weg ist. Einen matschigen Flussboden, Sand und Modder. In der Mitte des breiten Bettes plätschert ein Priel lustlos zum Meer, Boote – Ruderkähne, wie Segelboote – liegen auf der Seite und warten auf die Flut. Allmählich lässt der Regen nach und wir erkennen in der Ferne blauen Himmel. Rein richtungsmäßig müsste dort Roscoff liegen. Tut es auch und nach wenigen Kilometern ist die Straße trocken und die Sonne scheint wie am Mittelmeer. Kaum in Roscoff angekommen, biegen wir in eine kleine Seitengasse, die uns in die Nähe des Fährhafens bringt. Von hier starten die großen Fähren nach Plymouth und Cork in Irland. Aber wir wollen nicht nach Cork, sondern zu einem kleinen exotischen Garten, in dem man vor einigen Jahren begonnen hat, Pflanzen, die eigentlich nicht hier heimisch sind, anzusiedeln. Die Bretagne profitiert Dank des Golfstromes von einem milden Atlantikklima. Selbst Palmen gedeihen hier an der Küste als große Schatten spendende Straßenbäume.
Der Garten ist eine recht eigenwillige Einrichtung. Ehemalige Botaniker und Forschungsreisende werden bemüht, um die Herkunft der Pflanzen zu erklären.
Der Jardin Exotic Roscoff wurde 1986 gegründet. Damals kauften ein paar Botaniker einen Felsen. Was zum Geier will man mit einem Felsen, dachte man damals und vermachte den Steintroll den Freunden des Gemüsebeetes. Doch die fingen an Sträucher und Bäume anzusiedeln, deren Vorfahren einst Leute, wie James Cook und Bougainville von ihren Reisen mitgebracht hatten. Gewächse aus Indien, Südafrika, China, Südamerika, Australien und Neuseeland. Im milden Klima der Bretagne gediehen diese gut. Irgendwann kaufte man noch etwas vom brachliegenden Land hinter dem Felsen dazu und erweiterte den Garten.
Heute ist es ein gepflegte Anlage, durch die man einen ganze Weile spazieren kann, vorbei an kleinen Bächen, durch dschungelartige Anordnungen allerlei Gesträuchs und immer wieder an bunt blühende Blumen mit lustigen lateinischen Namen entlang. Vom Felsen aus, auf den eine steile Treppe hinaufführt, kann man nicht nur den ganzen Garten überschauen, sondern auch auf das benachbarte Hafengelände blicken. Eine riesige Fähre aus Großbritannien steht da und wird wird beladen. Im Segelhafen parken die Yachten dicht an dicht.
Roscoff selbst war ein altes Piratennest. Aber vor allem war es schon immer ein Hafen, der Waren zwischen Frankreich und England umschlug. Besonders Zwiebeln wurden hier in großen Mengen verschifft. Es ist ein angenehmes kleines Hafenkaff, unaufdringlich, selbst in den Ecken, wo man mit Seemannsromantik Krimskram verkauft. Die Kirche ist riesig und mit einem ausgesprochen einfallsreich gestalteten Turm geschmückt. Es sieht aus, als hätte der Architekt seine Ideen direkt von der Buddelform am Strand umgesetzt. Drinnen ist es kühl und ruhig. Der Papst wirbt um Mitglieder mit einer kultigen Geste. Er hebt den Daumen und die Bildunterschrift sagt: “I like”. Der Papst Franziskus scheint der erste Chef der katholischen Kirche zu sein, der ein bisschen begriffen hat, dass das Leben außerhalb der Kirche ein recht turbulentes ist. Er wirkt modern und manche alten Herren im Vatikan haben längst bereut ihn gewählt zu haben. Als junger Mann jobbte er als Türsteher vor einem Club in Buenos Aires. Heute weiß er, wo auf dem Computer die @-Taste ist. Damit ist er ein gutes Stück weiter, als die Neulandbesucherin Angela Merkel.
Aber zurück nach Roscoff. Es ist Mittagszeit. In Frankreich speist man entweder zwischen 12:00 und 14:00 Uhr oder ab 19:00 Uhr warm. Wir nehmen heute mal ein klassisches Mittag in einem Hotelrestaurant ein. Platziert werden wir auf der Terrasse mit Blick aufs Meer. Eine Lange Seebrücke zieht sich weit in die See hinaus. Ein Stück dahinter sehen wir die Ile de Batz, eine geräumige Insel, die gut bebaut ist. Der Kellner ist flink und die Eindeckkräfte fast ein bisschen hektisch, wenn es darum geht, abgefressene Tische wieder herzurichten. Schnell sind wir uns einig ein Menu de Jour zu bestellen. Vorspeise und Hauptgericht für mich, Hauptgericht und Nachspeise für die Herzdame. Sie nimmt das Hühnchen und ich ein Filet vom Rochen. Es ist ein bisschen pervers. Einerseits halte ich den Rochen für einen der elegantesten Fische des Meeres. In jedem Aquarium oder Ozeanarium, das wir besuchen, freue ich mich, wenn ich einen Rochen majestätisch durchs Wasser gleiten sehe, andererseits nehme ich eine Gelegenheit war, diesen Fisch zu verspeisen, wenn er auf der Karte steht. Sein Fleisch ist weiß und sehr weich, zart im Geschmack und vortrefflich von den Gräten zu lösen. Ich entschuldige mich hiermit bei jedem Rochen, der das liest. Aber er ist einfach lecker. Das Hühnchen der Herzdame scheint auch gelungen zu sein.
Am Nachbartisch sitzt eine größere Familie. Am Kopfende mampft ein etwa zweijähriges Kind vergnüglich vor sich hin. Pupertierende Jugendliche sitzen brav neben Vati und Mutti ohne gelangweilt zu gucken. Nur Mutti scheint irgendwelche Schmerzen zu haben und verzieht immer wieder das Gesicht. Der Tisch zur Rechten besteht aus Freunden der Meeresfrüchte. Der erste Gang besteht aus Muscheln und Hummer. Der zweite aus Garnelen und anderen Meeresgetier, das vormittags noch im Wasser krakelte. Was wird wohl das Dessert werden? Shrimpskompott?
Der Service in der Gaststätte ist ausgesprochen freundlich, das Essen ausgezeichnet. Eine Empfehlung. Wer nach Roscoff kommt, der besuche das Restaurant “Les Arcades” direkt gegenüber der Pizzeria Robert Surcouf.
Ich muss noch zur Post. Briefmarken kaufen, um den Lieben daheim eine Postkarte zu schicken. Die Post hat offen und ich gehe hinein. Vor mir holen zwei Personen Geld ab. Mit Scheck. Die Postangestellte wirkt wuselig, aber nicht auf diese schnelle Weise, sondern auf eine chaotisch, alles verzögernde Art. Es dauert eine Weile, bis ich endlich dran bin. In der Zwischenzeit hat sie einmal alle Aktenordner durchwühlt, Kisten geöffnet und wieder geschlossen, ein lange klingelndes Telefon ignoriert, um es genau in dem Moment abzuheben, wo der andere Teilnehmer genervt aufgegeben hat.
Ich stehe vor dem Schalter und sage meinen Satz auf, in dem ich sechs Briefmarken für Postkarten verlange, die nach Deutschland gehen soll. Sie greift in den Briefmarkenordner, schaut mich an, als hätte ich was vergessen und fragt: “Quel Direction?” Wie welche Richtung, denke ich. “Allemagne”. (Das hatte ich doch gesagt. “Europe?” fragt sie. Ja natürlich meine ich das Deutschland in Europa, Herrgott, noch mal. “Combien”. Na sechs, zum Teufel. Mein Französisch ist vielleicht nicht das aller Ausformulierteste. Aber ich hatte mir wirklich Mühe gegeben und einen Satz formuliert, in dem sich alle relevanten Daten befanden: Sechs, Briefmarken, Postkarte, Deutschland. Vielleicht nicht mit der korrekten Grammatik, aber eindeutig mit klarer Kaufabsicht. Wenn Esmeralda Tausendschön (Na so doll gepflegt wirkte die Dame jetzt auch nicht) mal zuhören würde, wenn man was sagt, würde das ungemein helfen. Sie reißt genervt die Marken aus dem Ordner. Sechs Euro. Zack. Heute mal kein Bon Journée. Und raus. Dusslige Pute.
Ein längerer Spaziergang führt uns noch über die Landungsbrücke aufs Meer hinaus. Das Wasser ist unerhört Blau. Die Nahe Insel so nahe, das man sich fragt, warum man die Landungsbrücke nicht gleich bis zur Insel erweitert. Vermutlich, damit die Leute, die die Leute mit dem Boot rüberbringen, immer genug zu tun haben. Eigentlich ein guter Gedanke.
Der Wind weht kräftig, ich muss die Mütze abnehmen und spüre wie sich Böen durch mein spärliches Haar wuscheln. Wind in den Haaren habe ich seit Jahren nicht bemerkt. Ich muss dringend Rasierklingen kaufen. Stattdessen kaufe ich ein Fernrohr.
Auf dem Weg zurück regnet es in Morlaix. Auf unserer Halbinsel jedoch scheint die Sonne, das Wasser ist Blau und die Wellen werfen weiße Gischt gegen die roten Felsen an der Cote de Granit Rose.
Toller Bericht, Roscoff schön beschrieben und spannend zu lesen!
Danke