"Der Wanderstock hat einen Knauf am Ende."
------------frei nach Terry Pratchett
Corte - Die Alte Hauptstadt
Wenn ich von Corte als Hauptstadt rede, dann ist das nicht ganz richtig. Der Verwaltungssitz der Insel ist in Ajaccio. Ajaccio ist offiziell Hauptstadt des Departements Corse. Corte war einmal Hauptstadt. Das ist lange her. Als Korsika in der Mitte des 18. Jahrhunderts erfolgreich die Unabhängigkeit von den Genuesen erkämpft hatte, war Corte die Hauptstadt dieser befreiten Insel. Aber außer aufrechten Kämpfern, die mit großer Freiheitsliebe unter ihrem Anführer Pascal Paoli das Land in die Unabhängigkeit randalierten, hatte Korsika nicht viel zu bieten. Die Landwirtschaft war verwahrlost. Industrie gab es kaum. Und vor Wissenschaftlern quoll die Insel auch nicht grad über. Es gab nur Berge und aufsässige Landeier. Die Genuesen hatten keine Lust, die Insel zurückzuerobern und verkauften ihre vermeintlichen Rechte, die sie faktisch nie besaßen, an die Franzosen. Die schickten 1769 ihre Armee in die Spur und übernahmen die Insel nach mäßig verlustreichen Kämpfen. 1790 trat ein Jakobiner in Erscheinung, der in Ajaccio geboren wurde. Napoleon Bonaparte. Der musste mit ansehen, wie Korsika unter Admiral Nelson an die Briten ging. 1794 wurde Korsika Teil des englischen Königreichs. Das passte dem kleinen Giftzwerg überhaupt nicht. Jähzornig wie er war, tanzte er zwei Jahre lang ums Feuer und zog dann los, um die Engländer von der Insel zu jagen. Schließlich holte Bonaparte die Insel zurück unter die Fittiche des revolutionären Frankreich. Vermutlich brüllte er von einem Festungsturm herunter: „Verpisst Euch, Ihrrr verrrschissönön Önglöndörr“. Was die dann auch prompt taten. Und da er selbst aus Ajaccio stammte, machte er seinen Geburtsort sofort zur Hauptstadt. So die Legende derjenigen, die ein bisschen was für Bonaparte übrig haben. Tatsächlich verloren die Engländer nicht nur die Kontrolle, sondern auch das Interesse an dem unübersichtliche Inselterritorium. Sie hatten sich Ende des 18. Jahrhundert in einen zermürbenden Seekrieg mit Spanien verzettelt. Die Interventionen Frankreichs ermutigten die Briten die Insel zurück in französische Hand fallen zu lassen. Und die taten, was sie immer mit ihren Ländern taten, die sie als Kolonien ansahen. Sie nahmen sich, was sie brauchten und gaben nichts zurück. Selbst der gebürtige Korse Napoleon tat kaum was für seine Heimatinsel. Und trotzdem bauten die Korsen ihm später zahlreiche Denkmäler.
Mittlerweile sind wir in Corte angekommen. Es ist eine erfrischend lebendige Stadt. Jung und lebendig erscheint das Treiben in den alten Gassen und auf den Plätzen. Corte ist eine Universitätsstadt. Die erst Uni wurde während der kurzen Unabhängigkeit gegründet. Studenten tummeln sich auf den Terrassen der Bars, Kneipen, Restaurant und Bistros. Gemüseläden haben ihre Waren vor der Tür. Die türmen sich wild übereinander. Einer der Lebensmittelläden soll laut Schild bereits 1769 geöffnet worden sein.
Durch die Gassen flitzen Mofas mit jungen Männern, die pfeifend kurzhosige Mädchen umrunden. Über der Stadt wacht eine Zitadelle. Leider muss man, um sie zu besuchen, erst durchs Museum. Und das Museum scheint gut besucht zu sein.
Wir entscheiden uns dafür, Mittagessen zu gehen. In einem schattigen Restaurant in einer Seitengasse können wir ein ausgezeichnetes Menü zu uns nehmen. Ich bekomme frischen Fisch. So frisch, wie es im Landesinnern möglich ist. Aber da das Meer nur zwei Autostunden entfernt ist, vertraue ich drauf.
Ein Laden für touristischen Schnickschnack saugt mich in sein Inneres. Drinnen gibt es allerhand Zeug, das die Welt nicht braucht, Touristen aber dringend benötigen. Magneten. Ansichtskarten, Wanderstöcke. Mir tut noch ein bisschen das Knie weh, von meinem Beinaheabsturz am Wasserfall an der Ostküste. Dort hatte ich einen Ast aus dem Wald als Wanderstock benutzt, der prompt durchbrach. Hier stehen professionell gefertigte Holzstäbe mit geschnitzten Tierköpfen an der Wand. Ich frage, aus was für Holz, die so hergestellt werden. Natürlich Kastanienholz. Mir hat es ein Stab angetan, der angeblich aus dem Wurzelholz einer uralten Kastanie gezogen wurde. Sein Knauf besteht aus einem geschnitzten Wildschweinkopf. Der Stock liegt gut in der Hand und ist etwa hüfthoch. Das Wort Corse ist in sein Holz geschnitzt. Er gefällt mir und da ich auf Wanderungen gern einen Stock benutze, entscheide ich mich für diesen. Ich weiß, wer das Wandern richtig ernst meint, nimmt entweder gar keinen oder zwei voll funktionelle aus digital gezüchteten Kunstfasern. Aber das ist mir egal. Mir genügt es, einen schönen Wanderstock aus Holz zu benutzen, der mir in steileren Passagen etwas Sicherheit gibt und die neidvollen Blicke vorbeispazierender Halbwüchsiger einbringt.
Am Place Paoli, dem zentralen Punkt der Stadt, der an Markttagen sicher brummt, wie ein aufgescheuchter Bienenstock, setzen wir uns mit einem leckeren Eis zu Füßen des Anführers des unabhängigen Korsika Pascal Paoli. Wir genießen Eis und Sonne und das quirlige Leben in der einstigen Hauptstadt.
Und dann müssen wir weiter, denn schließlich habe ich Madame Rossi im besten französischen Radebrech versprochen, gegen 16:00 Uhr oberhalb von Ajaccio zu erscheinen.