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    Ein Schloss im Spreewald – Teil 4

    • Deutschland
    • Spreewald
    Ballsaal am Schloss

    Abend im Schloss

    Nach der Begegnung mit der vermeintlichen Gräfin und der Aussicht, demnächst ein Restaurant zu besuchen, dessem amtierenden Küchenchef eine eigene Straße gewidmet ist, bringen wir unsere Reiseutensilien ins Schloss. Im ersten Stock führt die breite Schlosstreppe auf die großflügeligen Holztüren des Balkonzimmers zu. Ein Schild mit dem Hinweis, bitte nicht zu stören, steht vor der Tür. Derzeit findet in dem Raum eine standesamtliche Trauung statt. Hier drin werden sicher die vier Paare hocken, die vorhin noch vor der Schlosstür mit der Fotografin geschäkert haben. Der Gang zum rechten Flügel, den ich neugierig inspiziere, besitzt keine Wohnräume, sondern ist in verschieden große Seminarräume aufgeteilt. Wer Grund zum Tagen hat, kann das hier in unterschiedlichen Größenordnungen tun. Von kleinen Gruppen bis zu einer überschaubaren Kongressgröße können sich hier Leute versammeln, um Probleme zu lösen, Produkte zu präsentieren oder ihre Wichtigkeit zu feiern. Neben den Räumen im ersten Stockwerk, steht diesen Zwecken auch der große Ballsaal im sogenannten dritten Flügel, dem Anbau unterhalb der beiden Türme zur Verfügung. Dieser Saal kann bis zu 250 Personen Platz bieten. Rings um das Parkett herum gehen große Terrassentüren auf den Park hinaus. Banketts sind hier denkbar, Ballnächte, wie das Tangowochenede Mitte März 2017 oder das  Kriminaldinner „Kreuzfahrt ins Grab“, das im Januar hier stattfand.
    Aber ich rüttele gerade an den Türen im ersten Stock und komme an die Tür zum Waschraum und den Toiletten. Die Innenausstatter des Hotels sind geschmacklich von den Azuleos, der mediterranen Fliesengestaltung in Portugal und Spanien, angetan. Entsprechend opulent eingerichtet ist hier der Waschraum. Dieser sieht komplett anders aus, als man sich ein gewöhnliches, funktionelles Tagungsklo vorstellt.
    Die gleiche Opulenz überrascht mich in der Gewölbesauna im Keller. Hier kann man eine Dampfsauna und eine Holzsauna nutzen, sowie in zwei Ruheräume tatsächlich Ruhe finden. Getränke, von kostenlosem Wasser oder Tee, bis zu bezahlbarem Weizenbier stehen zur Verfügung. Als Lesestoff für den erhitzten Ruhesuchenden gibt es das Magazin National Geografic zu entdecken. Nicht gerade das Fachmagazin, das sonst in Kosmetikecken für geistlose Entspannung sorgt, sondern durchaus anspruchsvoller Lesestoff.

    Auch wenn die Saunabelegschaft darauf hinweist, die hoteleigenen Handtücher so ökonomisch wie möglich zu nutzen, liegen auf einem Tisch vor den Duschen so viele strahlend weiße Handtücher, wie das Herz nur Essen kann. Die Fliesengestaltung ist auch außerordentlich stilvoll und verwöhnt das Auge. Oberhalb des Fliesenspiegels kann man die Arbeit früherer Architekten bewundern. Gewölbemauerei war vor Jahrhunderten handwerklicher Standard. Nach Jahren der Betonplatte gibt es heute auch wieder Handwerksbetriebe, die sich mit Gewölbemaurerei beschäftigen, allerdings sehen sich diese heute eher als architektonische Künstler.
    Ich liege nach einem schweißtreibenden Saunagang auf der Ruheliege und betrachte das Mauerwerk. Müde kreisen meine Gedanken um das Thema Schlossgewölbe. Es ist eine Art Kreuzgratgewölbe mit Rundbogendurchlässen, denke ich mir, aber ich kann mich auch irren. Mir dämmert, dass ich mich in einem Schlosskeller befinde, einem Ort, den ich aus literarischer Sicht eher mit hochpreisigen Weinsammlungen auf der einen Seite und mit Verliesen, Ratten, Spinnennetzen in Ausmaßen, die für Fischereibetriebe interessant sind, schimmligen Komplettausgaben der Völkischen Allgemeinen und des Neuen Deutschland, sowie mit in zugemauerten Hohlräumen zusammengekauert hockenden missliebigen Gästen, die zu heftig genörgelt haben, in Verbindung bringe. Ich lausche in die Stille, höre aber niemanden klopfen. Warum auch. Selten habe ich einen Ort unterhalb der Grasnarbe gefunden, der so anheimelnd und sauber ist.

    Später besuchen wir das Restaurant. Es wirkt erstaunlich klein für ein solch großes Haus. Trotzdem ist es nicht überfüllt. Nun ja. Es ist Mitte Februar und die Gästezahl hält sich in Grenzen, aber das Restaurant ist auch Besuchern zugänglich, die nicht im Hause wohnen und bei der Qualität der Speisen hätte ich einen größeren Zulauf erwartet. Ich bin aber ganz zufrieden, dass es angenehm leer ist. Wir setzen uns an den reservierten Tisch und studieren die Speisekarte.
    Die Chefkellnerin ist eine große Frau in unserem Alter. Die Tracht, die sie und ihre Mitarbeiter tragen, sieht so aus, wie man sie sich von Bediensteten einer Schlossküche vorstellt. Ein etwas derbes grünes Kleid und eine Schürze darüber. Rustikal, doch auch hier stilvoll ausgewählt. Die Kellnerin besitzt diese seltene Mischung aus respektvoller Zurückhaltung und bodenständiger Vertraulichkeit. Weder unterwürfig, noch von oben herab. Sie merkt sich alle Bestellungen, vom Getränk bis zu Dessert, ohne irgendwas zu notieren und das auch am Nachbartisch, an dem die kleine Hochzeitsgesellschaft sitzt und heftig über Klassiker des Horrorfilmgenres, wie “Der Weiße Hai” und “The Fog – Der Nebel des Grauens” diskutiert. Interessante Gesprächsführung im Kreise Frischvermählter. Wobei es sich bei den Frischvermählten hier um ein Pärchen handelt, welches auch eher ein spätes, zweites oder drittes Glück gefunden zu haben scheint.
    Das Essen, das man uns serviert, wird zunächst unter einer Edelstahlglocke versteckt gehalten. Beide Hauben werden zum selben Zeitpunkt gelüftet. Während meine Herzdame ein leckeres Menü mit Wild gewählt hat, bin ich mit dem heimischen Fisch sehr zufrieden. Die Anrichtung der Speise ist gourmetküchenmäßig übersichtlich. Der Teller quillt nicht über und trotzdem wird man satt. Mein Zanderfilet hat eine Beilage aus Rote Beete Püree. Ich bin eigentlich kein Freund der spröden Roten Beete, werde hier aber restlos davon überzeugt, dass ich dem Gemüse damit Unrecht tue. Regionales Dessert gibt’s im Anschluss: Hefeplinsen. Als ich noch regelmäßig im Sommer zu meiner Tante geschickt wurde, die hier in der Nähe des Spreewalds lebte, bekam ich das öfter mal serviert. Ich konnte davon nie genug bekommen, aber leider war die Menge immer reglementiert. Neben Pellkartoffeln mit Quark und Leinöl, zählt der Hefeplins zu den frühen kulinarischen Prägungen meiner Kindheit, die mich heute noch aufs Angenehmste begleiten.
    Gut gesättigt begeben wir in den Nachbarraum. In Roccos Bar, um uns einen gehobenen Absacker zu genehmigen. Roccos Bar ist eine Cocktailbar von der Größe eines kleinen Varitétheaters. Aber anders als im Berliner Chamäleon, das räumlich gesehen, die gleichen Ausmaße aufweist, stehen hier weniger Stühle und Tische. Stattdessen kann man in Ledersesseln sitzen oder in kissengetränkten Coucharrangements versinken. Neben der Treppe, die von der Hotellobby in die Bar hinabführt, steht in einer Nische ein Piano, das heute leider nicht bedient wird. Gelegentlich spielt hier auch ein Jazzensemble. Heute tropft nur angenehme Loungemusik aus der Decke, Musik mit einer leichten Note Brazilectro. Der Barkeeper beruhigt eine Gruppe niveauvoll krakelender Jungs um die Vierzig und serviert uns dann einen 12 Jahre alten Whisky sowie einen gut gekühlten Baileys. Wir genießen das Ambiente, steigen dann aber doch irgendwann hinauf in unsere Suite.
    Im Schubfach des Nachtschränkchens neben meinem Bett finde ich etwas, was ich schon seit Jahren nicht mehr in Hotelzimmern vermisst habe: ein Neues Testament in den Sprachen Deutsch, Englisch und Französisch. Ich schlage den französischen Teil auf und bin bereits vor Ende des ersten Verses eingeschlafen. Leider schlafe ich nicht sehr lange, da ich das Bett nicht sehr bequem finde. Ich werde morgen früh gleich mal kontrollieren, ob sich unter der Matratze nicht etwa eine Erbse befindet.

    Februar 19, 2017 Der Fahrtenschreiber

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