Das Haus, in dem wir eine Woche untergebracht sind, ist eine hölzerne Waldhütte. Gegenüber dem Bauernhaus in Schweden, in dem wir eine Woche vorher lebten, ist es ein mächtiger qualitativer Schritt nach unten – aber das macht nichts, denn es steht am Fjord. Das Bad ist sehr klein. Man kann sich nur bei geöffneter Tür die Zähne putzen, wenn man sich nicht den Ellenbogen stoßen will und der Duschvorhang ist nichts für penible Leute. Um zum Klo zu gehen muss man das Haus verlassen und in einen Anbau wechseln, der mit Waschmaschine, Waschbecken und Kloschüssel komfortabler eingerichtet ist, als das eigentliche Bad. Die Küche ist verhältnismäßig gut ausgestattet, das Schlafzimmer nicht. Es ist eng, klein, hat ein Regal, keine Schränke und nur gedämpftes Oberlicht, was in den hellen Sommernächten ein Vorteil ist, wie ich feststellen kann. Aber das macht auch nichts – denn das Haus steht am Fjord. Eine Terrasse wird von einer großen Linde beschattet, die vor dem Haus steht, einer Linde die gleichmäßig aus drei Stämmen gewachsen ist und im ständigen Wind ihre Blätterpracht schüttelt, wie ein Modell für Haarshampoo.Eine zweite Terrasse am anderen Ende des Hauses ist groß, überdacht und sonnenverwöhnt. Der Blick geht unverstellt auf den Sognefjord. Das Wohnzimmer ist ebenfalls geräumig, besitzt eine Couch, einen Kamin, zwei Sessel und einen kleinen Fernseher, der nur norwegische Programme empfängt. Drei Stück. Ich schiebe ihn an die Seite, denn er verstellt sie Aussicht, die ich durch das Panoramafenster auf den Fjord habe. Das Panoramafenster nimmt die gesamte Front des Zimmers ein und bei diesem Ausblick kann man wirklich nicht meckern. Das Haus thront etwa zwanzig Meter über dem Ufer des Gewässers. Der Blick ist unverstellt. Müsste ich eine Woche mit gebrochenem Bein auf dem Sessel sitzen und hätte nur diese Aussicht, würde ich mich keine Minute langweilen. Für dieses Programm würde ich nicht einmal eine Fernbedienung benötigen.

Die Hütte oder Hytte, wie sie auf Norwegische bezeichnet wird, steht nicht einfach so längs am Ufer und offeriert einen Blick auf die andere Seite. Nein. Das Hyttchen schaut von einer südwestlich verlaufenden Uferseite des Fjords auf die Längsachse des Sognefjords. Durch die ständig bewegte Luft, die durch die steilen Berghänge, wie durch einen Kamin durch den Fjord gezogen wird, ist die Sicht nur selten getrübt. Würde der Fjord nicht in ca. 50 Kilometern einen kleinen Bogen beschreiben, wäre die Sicht bis nach Amerika wohl nur durch die

Erdkrümmung begrenzt. Die gelegentlich durch den Fjord schippernden riesigen Kreuzfahrtschiffe, die sich abends mit ihren eingepferchten Touristenkolonien aus den kleineren Fjorden mogeln, sind erst dann nicht mehr zu sehen, wenn sie als ganz kleiner Punkt am Ende unsere Sichtmöglichkeit verblassen. Und selbst dann kann ein gutes Fernrohr noch ihr Spiegeln im abnehmenden Sonnenlicht wahrnehmen.
Schnee liegt auf den Berggipfeln, die aus dem Wasser steigen und das tun sie hier bis auf eine Höhe von knapp 1500 Metern. Wenn man bedenkt, dass die Felsen unter der Wasseroberfläche noch einmal knapp 1200 Meter abfallen, kann man sich immer noch nicht vorstellen, welch gewaltige Wassermenge in diesem Fjord plätschert. Auf der nördlichen Seite des Fjordes kann man die Berge des Jotunheimen Nationalparks leuchten sehen.

Dort erkenn man den höchste Gipfel Skandinaviens, den Galdhøpiggen mit 2460 Metern. Ein Monument, wie ein Eisriese, der bei Gewitter und wenn die Sonne dahinter verschwindet einen Anblick bietet, wie der, den die Hobbits in Mittelerde hatten, als sie nach Mordor hinüber blickten.
Da das Haus am Fjord steht, gehören ein Grill und eine Angel zum Bestand. Den Grill hat der letzte Besucher wohl vor einem halben Jahr benutzt und danach nicht sauber gemacht. Ich fange damit jetzt auch nicht an.
Und Angeln? Nun Ja. Das ist eine eigene Geschichte. Meine Angelergebnisse in den letzten 30 Jahren bestehen aus einem Huhn, einer Ente und einem Baum. Das Huhn war so schlau, sich den Wurm zu schnappen, den ich an eine Angelschnur gebunden hatte, als ich mit ca. 20 Jahren mal einen Versuch unternahm, einen Fisch zu fangen und den Versuch wegen beginnendem Regen abbrach. Die Angel wollte dann alleine weg, bis ich bemerkte, das am anderen Ende ein Huhn zerrte. Dem Huhn ist damals nichts passiert. Genauso wenig, wie der Ente, die sich an dem Stück Brot bediente, das ich ebenfalls an einer Angel beim Paddeln hinter mir her zog. “Gack” machte es hinter meiner Bootssteuerung. Und der Baum hatte sich einfach in die Wurfrichtung der Angelstrippe gestellt. Damit endete meine aktive Angelkarriere.
Ich esse gern Fisch und Meereskram. Bin aber zu bequem mir das Zeug selbst zu fangen und zu feige, es selbst zu töten. Ich esse auch gern Fleisch, bin aber nicht bereit, selbst zu schlachten. Damit gehöre ich zu dem großen Teil einer bigotten Gesellschaft, die sich der Bequemlichkeit hingibt, die Drecksarbeit andere machen zu lassen, um selbst ein ruhiges Gewissen zu haben. Ein Dilemma, das nicht dadurch zu lösen ist, einfach kein Fleisch und kein Fisch zu essen und das auch dadurch nicht groß verändert wird, die industrielle Tierproduktion zu verdammen, ohne Alternativen zu finden, die auch eine Massenversorgung gewährleistet. Die Evolution hat die Pflanzen- und Tierwelt inklusive den Menschen aus nur einem Grund dorthin entwickeln lassen, wo sie im Moment steht: Überleben. Vielleicht bringt die Evolution es im Laufe der nächsten Jahrtausende ja fertig, den Menschen weniger fleischorientiert denken und handeln zu lassen. Doch wie in allem ist die Evolution bereit, sich für jedwede Entwicklung die Zeit zu nehmen, die sie dazu benötigt. Sie wird experimentieren und selektieren und ganz langsam Veränderungen anschieben, die den jeweiligen Spezies eine angepasste Überlebenschance bietet oder diese gegebenenfalls auch aus dem Genpool entfernt. Vernunft- und Moralargumentationen demonstrierender Lobbyisten war sie noch nie geneigt ihr Gehör zu schenken. Also esse ich auch weiterhin Fleisch und Fisch und überlasse es anderen, dafür zu sorgen, das ich es auch bekomme, auch wenn ich mich dabei gelegentlich nicht ganz wohl fühle.
Die Angel auf der Terrasse kann also getrost da liegen bleiben, wo sie ist.

Das Wasser des Fjords hypnotisiert. Beruhigend plätschern die Wellen an das steinige Ufer. Irgendwas bewegt sich draußen auf dem Wasser. Ich schaue konzentriert hinaus, das Fernglas in der Hand. Da. Wieder zwei schwarze Flecken, die kurz auftauchen. Nicht weit vom Ufer kommen sie immer wieder zum Vorschein. Und dann sehe ich deutlich ein paar schwarze Rückenflossen aus dem Wasser tauchen. Eine kurze Welle und sie tauchen wieder ab. Immer wieder tauchen sie auf und verschwinden. Schließlich schaut sogar eine Schnauze aus dem Wasser. Fast zwei Meter schätze ich die Körper, wenn sie auch die Schwanzflosse aus dem Wasser heben. Ich muss ein bisschen recherchieren und lese dann, dass sich sehr häufig Schweinswale in den Fjorden tummeln. Sie gehören zur Familie der Zahnwale und sind irgendwie mit den Delfinen verwandt. Seit 2013 sollen auch vermehrt Schweinswale in der Elbe zu beobachten sein. Hier im Fjord gehören sie zu den häufiger beobachteten Wasserbewohnern. Eine Weile tummelt sich die kleine Schule noch in Sichtweite, dann ziehen sie weiter fjordaufwärts.