Der Luberon liegt wie eine riesige Echse unter der Sonne der Provence. Wenn ich ihn mir in seiner Länge betrachte – und einen beträchtlichen Teil von diesem schmalen Höhenzug sehe ich von der Dachterrasse des Hauses, in dem ich auf der gegenüberliegenden Seite des kleinen Flüsschens Calavon meine Ferien verbringe direkt vor mir liegen – dann sehen die tief eingeschnittenen Bergflanken des Grand Luberon tatsächlich aus, wie die Rippen und Schuppen eines Chamäleons. Bei Forcalquier, 30 Kilometer weiter im Osten, liegt am Ende des Höhenzuges ein Felsmassiv frei, das den Kopf der Echse darstellen könnte. Der Petit Luberon, der hinter dem tiefen Einschnitt, der Schlucht bei Lourmarin beginnt, liegt langsam abfallend und langgezogen wie der Schwanz der Echse da. Die Schattenwürfe, die je nach Stand der Sonne variieren, bieten ein köstliches Farbenspiel. Besonders zum Sonnenuntergang hin, reflektieren die dicht mit alten, kleinwüchsigen Steineichen bewachsenen Hänge eine Variationsvielfalt, die von dunklem Grün, über Orangerot, bis zum tiefen Blau der einfallenden Nacht aufwarten.
Direkt gegenüber meines Blickpunktes ragt der Mourre Négre auf, der höchste Punkte des Luberon. Kein Gipfel, in dem Sinne, sondern eher ein etwas erhabener Punkt des Höhenzugs, auf dem eine Telekommunikationsantenne in den Himmel sticht und das Gebiet mehr oder weniger gut mit dem Netz verbindet, das heute das moderne Leben überhaupt möglich macht. Der Berg ist mit 1160 Metern nur knapp höher, als der Brocken im Harz, steigt aber vom Calavontal aus ca. 200 Metern relativ steil auf. Es führt ein direkter Wanderweg an einem der Flankeneinschnitte hinauf. Das ist ein schweißtreibender Aufstieg, der knapp unter dem Begriff Klettern einzuordnen ist. Allerdings lohnt sich der Weg, denn die Aussichten auf die immer kleiner werdenden Dörfer und die Weite der Landschaft, die sich hinter den etwas niedrigeren Bergzügen ringsum zeigt, ist sehr eindrucksvoll. Von unserem Dorf aus, ist das eine Tageswanderung von knapp acht Stunden, ohne nennenswerte Pause und wer sich an dieses Unternehmen wagt, sollte mehr Wasser mit nehmen, als wir es bei der Tour taten, denn das erste frische Wasser gibt es erst am Brunnen von Auribeau. Doch dann ist man bereits am Abstieg.
Direkt aus dem Tal heraus ziehen sich bis auf knapp vierhundert Meter beiderseits des Flüsschens Felder und kleinere Gehöfte die Höhenzüge hinauf. Meist sind es Wein, Lavendel, Oliven oder auch Melonen, die hier angebaut werden, auch die berühmten Kirschen wachsen hier. Auf kleineren Feldern stehen Schafe und Pferde und manche bauen Kräuter an, die wie Currypulver riechen und deren Klassifizierung uns bisher nicht gelungen ist.
Zum Sonnenuntergang und nachts ist man dem Himmel sehr nah. Die Sterne lassen an Tagen, wo die Luftfeuchtigkeit gering ist, die Milchstraße erkennen. Aus dem Tal hört man Frösche quaken, Käuzchen rufen und manchmal die Geräusche eines Schafes heraufschallen, das Alpträume hat.
Gelegentlich fliegen kleinere Flugzeuge durchs Tal, deren Schall dann bei allen Anwohnern für Freude sorgt. Je nach Flugzeugtyp tuckern sie gemächlich knapp hundert Meter unter uns über die Felder oder sie schießen, als Übungsmaßnahme der französischen Fliegerstaffel mit halber Schallgeschwindigkeit knapp über dem Boden lang. Das passiert selten, ist dann aber umso imposanter.
Am häufigsten fliegen hier jedoch die Mauersegler, die ihre Nester in den höher liegenden Dörfern unter den Dachschindeln versteckt haben. Sie schwirren mit Gekreisch und dem Geräusch schnell durch die Luft gezogener Flügel über unsere Köpfe, auf der Jagd nach all den Insekten, die hier herumschwirren. Bis spät am Abend sind sie aktiv und sorgen für den angenehmen Zeitvertreib, ihnen hinterher gucken und gelegentlichen Vogelschißattacken ausweichen zu wollen.
Wenn die Nacht feucht war, streifen morgens die Wolken durchs Tal. So tief, dass ich auf unserem erhöhten Blickpunkt bereits wieder über sie drüber schauen kann und den Gipfelzug des Luberon erkenne.
Es ist ein Anblick, den man nicht satt bekommt.
Luberon
