Geräuschlos gulpert in der Ferne der weiße Rauch aus dem Schlot des Vesuvs. Neapel, die schmuddelige Schöne am Golf von … ja eben, Neapel, liegt in gammeliger Siestaträgheit in der mediterranen Mittagssonne. Ein kleines Segelboot dümpelt im brackigen Wasser eines aufgegebenen Hafenbeckens.
Aus den alten nach feuchtem Putz riechenden Häusern am Ufer ist kaum ein Geräusch zu hören. Ein paar Teller klappern im Abwasch. Eine Frauenstimme summt leise. Sonst scheint keiner wach zu sein.
Doch der Eindruck täuscht. Im ersten Hinterhof, direkt neben der Einfahrt lauert Luigi, ein Mitglied einer ehrenwerten neapolitanischen Familie im Schatten einer rostigen Vespa auf sein Opfer. Luigi arbeitet pedantisch und gut vorbereitet. Er ist nicht nur schwer bewaffnet, sondern, da er nicht weiß, wie lange er auf sein Opfer warten muss, auch ausreichend bewaffelt. Seine Familie beherrscht den Markt für Neapolitanische Waffeln. Luigi, hat von seiner Großmutter ein Lunchpaket mitbekommen, in dem sich eine Großpackung dieser köstlichen süßen Waffeln befindet. Luigi würde zunächst eine halbe Stunde warten, bevor er sich die erste Waffel gönnen würde.
Sein Opfer, Fabrizio, sitzt auf der anderen Seite der Hofeinfahrt auf einer Kellertreppe. Sein Auftrag lautet, Luigi auszuschalten, denn seine Familie möchte gern den Markt für Neapolitanische Waffeln kontrollieren. Fabrizio hält nichts vom Essen während der Arbeitszeit.
Luigi betrachtet das stetige Voranschreiten des Sekundenzeigers seiner Zannettiuhr. Plötzlich merkt er, wie sein Magen zu gurgeln anfängt.
Ob nun dreißig Minuten oder zwanzig, was spielt das für eine Rolle, denkt er. Leise zieht er seine Waffel aus der Sakkotasche. Der trockene Geruch nach gebackenem Keks dringt ihm in die Nase. Genüsslich beißt er hinein. Es knistert zwischen seinen Zähnen. Keine Sekunde später trifft ihn die Kugel aus Fabrizios Waffe. Der Biss in die knackende Waffel hatte ihn verraten.
„Luigi“ ruft Fabrizio triumphierend. „Arrogante und verfressen. Ha. Jetzt haset du entegültig in die lätzte Waffel gebisse.“ Er dankte der Jungfrau Maria, den Drang, das Lunchpaket seiner Großmutter doch einzupacken widerstanden zu haben.
Der oberste Patron und zu dem oberster Kassierer aller ehrenwerten Familien des Landes, hatte sich gerade wieder einmal zum Regierungschef wählen lassen. Bereits mehrfach wurde ihm zugetragen, dass die berühmte Familienwaffel aus Neapel, das traditionelle Begleitgebäck für Schulpausen und spezielle Reinigungsaufträge, zu bedauerlichen Betriebsunfällen führte. Sein Vorschlag, die Neapolitaner Waffel aus den Brotbüchsen der Profikiller zu verbannen, hätte ihm beinahe selbst einen Killer an den Hals gebracht.
„Du kommst hierher, in mein Haus, das dich immer gut empfangen hat und machst mir solche Vorschläge. Willst du die gute alte Tradition zerstören, die in unseren ehrbaren Familien seit Generationen bewahrt und gepflegt wird. Mein Großvater ist mit einer Waffel im Mund gestorben, mein Onkel hat in die Waffel gebissen. Ohne die Waffel der Familie, du bist kein richtiger Neapolitaner.“
„Aber es muss doch eine Möglichkeit geben, dass ihr Euch nicht bei jeder Pausenversorgung gegenseitig über den Haufen schießt.“
Die guten Beziehungen und guten Süßigkeiten sehr wohlwollend gegenüberstehende deutsche Kanzlerin, bringt ihn am Rande eines gemeinsam besuchten Fußballspiels auf eine Idee. Die Kanzlerin zieht eine kleine quadratische Tafel Schokolade aus ihrem orangefarbenen Sakko.
„Mensch, Silvio“ denkt er. „Das issis.“
Er empfiehlt einer renommierten deutschen Schokoladenfirma eine Zusammenarbeit mit der ehrenwerten neapolitanischen Familie, zu der auch Luigi zählte. Der Familie, die den Markt für die berühmte Neapolitaner Waffel kontrolliert.
Die renommierte deutsche Schokoladenfirma befördert seine neueste Kreation auch sofort erfolgreich zur Sorte des Jahres. Die renommierte deutsche Schokoladenfirma, der deutsche Außenhandelsminister, Italiens Regierungschef und eine kleine ehrenwerte neapolitanische Familie sind zufrieden.
Während weißer Rauch aus dem Schlot des Vesuv gulpert und über den immer noch nicht abtransportierten Müllbergen auf den Straßen Neapels die Fliegen lieblich das Lied von den Caprifischern summen, sitzt Dietmund Corleone, der in Deutschland aufgewachsene Cousin Luigis, auf dem Hinterhof eines nach feuchtem Putz riechenden Hauses im Schatten einer rostigen Vespa und wartet auf sein Opfer: Fabrizio. Die Familie möchte, dass Luigi gerächt wird. Das Lunchpaket hat er zu Hause gelassen. Es begleitet ihn nur eine Tafel Neapolitaner Waffel im Schokoladenmantel. Deutsche Herstellung. Sicher ist sicher. Und sicher würde sich sein Opfer bald zeigen. Doch noch scheint etwas Zeit zu bleiben.
Leise zieht Dietmund Corleone die Tafel Schokolade aus der Tasche und öffnet den patentierten Schokoladenverschluss.
Knick.
„Verdammt.“
***
Grundlage der Schokoladensorte mit der Neapolitaner Waffel im Schokoladenmantel, war die bereits öfter genutzte Idee Kekse in Schokolade zu tauchen, also eine Jackentaschenkompatible Variante eines „Kalten Hundes“ herzustellen.
Die bei in dieser Geschichte verwendete Waffel ist die Neapolitaner Waffel.
Sie besteht aus drei Waffelblätterschichten, die durch zwei Schichten Haselnusscreme voneinander getrennt werden. Diese Waffel ist leicht, köstlich und bekannt dafür sehr üppig zu krümeln. Der neapolitanische Namensbezug verweist dabei nicht auf den Erfindungsort der Waffel, sondern nur auf den Fakt, dass die beste Haselnuss die man für diese Waffel verwendete, unweit Neapels an den Hängen des Vesuvs heranreifte.
Die Haselnussschnitte selbst ist eine Erfindung Österreichs. Sie wurde 1898 von Josef Manner erfunden und hieß ursprünglich Mannerschnitte. In Neapel selbst spielt diese Waffel keine besonders hervorgehobene Rolle. Weder im Einzelhandel, noch in der Pausenversorgung der Camorra. Und weder Luigi, noch Dietmund Corleone und auch Fabrizio kamen bei der Herstellung der Waffel und der kleinen Geschichte zu Schaden. Sie und ihr Zahnarzt erfreuen sich bester Gesundheit und zufriedenster Laune.
Die Schokoladensorte “Neapolitaner Waffel” war 2008 Sorte des Jahres bei einer renommierten deutschen Schokoladenfirma. 2010 wurde die Produktion leider eingestellt. Ob das an der Variationslust des Herstellers, Lizenzproblemen des Waffelhändlers oder am Einfluss gewisser Familien dem befreundeten EU-Land lag, ist dem Autor nicht bekannt.