" „Holleri du dödl di, diri diri dudl dö.“"
------------Loriot (Jodeldiplom)
“Das Städtchen Kufstein” ist ein Volksschlager aus Österreich, den man sicher nicht auf einem Weinfest im Elsass erwartet. Trotzdem scheint er hier in Eguisheim, am Rande der elsässischen Weinstraße sehr beliebt zu sein. Denn bereits vor vier Jahren, als meine Herzdame und ich das letzte Mal hier weilten, wurde er auf dem hiesigen Marktplatz ebenfalls bereits mitgeschunkelt. Auch in diesem Jahr, im Oktober 2021, gehört er zu den Highlights des singenden Mostermeisters mit seiner Heimorgel, der bei der Kulturplanung des diesjährigen Winzerfestes im örtlichen Vereinslokal, den kürzesten Streichholz gezogen hat. So sitzt er jetzt trocken unter einer Festzeltplane, bei alkoholfreiem Selbstgemosteten und beweist sein musikalisches Talent in einer Art Miniplaybackshow, bestehend aus programmierbarer Heimorgel und einer stimmlichen Ausdrucksfähigkeit, die man nur mit genügend Selbstvertrauen als breit gefächert bezeichnen kann. Selbst für einen herzzerreißend misslungenen Jodler ist er sich nicht zu fein.
Das mit Absperrgittern umzogene Festgelände, bestehend aus 30 Biertischgarnituren und einem Ausschank für Weißwein und Obstmost, ist gut gefüllt. Es ist gerade Mittagszeit und der gesellige Tanzschwof, der zum Fest dazu gehört, war entweder gestern, wird heute Nachmittag erneut ausgelebt oder ist, wegen der noch immer anhaltenden Pandemiebeschränkungen ganz untersagt. Im Moment sind das Gemurmel der Gäste und die Heimorgel des Jodelexperten die bestimmenden Hintergrundgeräusche. Einlass zum Festgelände gibt es nur mit gültigem Impfzertifikat.
Wir wandern durch den Ort, in dem wir bereits mehrmals einige Tage verbracht haben. Diese altmodische Kleinstadt mit seinem rustikalen Marktplatz und den verspielten, bunten Gassen, mit den Zunfthäusern und Weinkellern und den windschiefen, alten, in die Stadtmauer eingefügten Fachwerkhäusern, ist ein touristischer Hingucker. Der große Parkplatz vor dem Ort kippt täglich zahlreiche Schaulustige aus aller Welt aus, die sich fotografierend durch die Gassen dieses mittelalterlichen Disneylands drängeln. Die ortsansässigen Händler wissen, was Touristen mögen und jeder dritte Laden verkauft, begleitet von Akkordeonmusik aus dem alpenländischen Volksmusikrepertoire, original elsässische Storchenpuppen. Man spricht alle gängigen Sprachen: Französisch, Englisch, Deutsch und Schwäbisch. Und untereinander Elsässer Dialekt. Man will ja auch mal ein bisschen unter sich bleiben.
In der Nähe des Marktplatzes steht ein schlauer Händler, der Käufer fischt. Auch wir gehen ins Netz. Seine Frau und er verkaufen Oliven und Tapenade. Oliven wachsen nicht im Elsass. Es sind Gewächse des Mittelmeerraumes und so original elsässisch, wie Bananen. (Obwohl ich tatsächlich im Garten eines Hauses an der Weinstraße eine Bananenpflanze mit riesigen Blättern habe stehen sehen.) Der Händler stammt aus St. Tropez. Das verrät nicht nur ein Plakat hinter dem Rücken des Budenchefs, sondern auch er selbst. “Je viens de St. Tropez”, lässt er uns wissen. Sein provencalisches Naturell besitzt so viel Charakter, wie ein gereifter Käse. Man kann sich ihm kaum entziehen, auch wenn man im ersten Augenblick die Nase rümpft. Wir dürfen ein paar Probierhäppchen mit Tapenade aus eigener Herstellung testen. Appetitlich ist alles. Ohne abzuwarten, stülpt sich die Frau des Händlers eine Plastetüte über die Hände und greift tief in die köstliche Pampe. Wir wollen eigentlich gar nicht so viel. “Hält sich alles lange. Gut eingepackt Monate.” Diese Information kann er gut in Englisch und Deutsch rüberbringen. Unsere auf Französisch vorgetragene Bitte, doch von allem nicht so viel einzusacken, versteht er, auch wenn sie korrekt formuliert ist, nicht. Stattdessen packt er noch eine zusätzliche Tüte mit Karottentapenade ein. Ein Geschenk des Hauses für gute Kunden. Heute Abend fährt er wieder nach St. Tropez, informiert er uns weiter. Ich verstehe, alles muss raus und mit dem zusätzlichen Tütchen verschenkte Tapenade treibt er sich selbst in den Ruin. Der Ärmste, denke ich, bezahle 58 Euro für zwei Tüten Oliven sowie fünf Tüten köstliche Tapenade und verstehe, was er mit “guter Kunden” meint.
Wir suchen uns ein Lokal am Markt, um ein erfrischendes Getränk zu uns zu nehmen. Direkt neben dem Festplatz sehen wir, einen Tisch für zwei Personen frei werden. Er gehört zu einem kleinen Bistro. Kurz den Impfcode scannen lassen und schon sitzen wir in den sonnigsten Minuten des 3. Oktober in Eguisheim am Markt und genießen den Augenblick. Die Getränkekarte verspricht Fischerbier. Ein heimisches Traditionsbier aus Straßburg, das vor Jahren von Heineken aufgekauft wurde, aber irgendwie noch in der alten Geschmacksform überlebt hat. Ich will das gerade bestellen, als uns die Kellnerin auf ein anderes, regionales Bier aufmerksam macht. Ein Bier mit dem Namen “L’alsacienne sans coulotte”. Übersetzt heißt das “Die Elsässerin ohne Höschen”. Gibt es in Blond und in Brünett. Das Etikett zeigt eine Frau in traditioneller Kleidung des Elsass, die ihren Rock hebt und das blanke Hinterteil zeigt. Das verstößt natürlich gegen sämtliche Etikette des modernen Verhaltenskodexes. Dieses köstlich schmeckende Pendant zum Altherrenwitz hätte in Berlin eine ebenso begrenzte Überlebenschance, wie Insekten auf Deutschlands Ge
treidefeldern. Oder können Sie sich vorstellen, dass ein Bier unter dem Namen “Berlinerin ohne Schlüpper” empörungsfrei aus Berliner Zapfhähnen fließen könnte?
Wir genießen unsere hosenlose Elsässerin ohne großen Anstoß und machen uns danach wieder auf den Weg. Meine Herzdame fotografiert noch ein paar garantiert hosentragende Elsässer beim Wein, während das teuer erkaufte Gut an meinem Handgelenk baumelt, wie eine Tüte mit ergiebig eingesammelten Hundehinterlassenschaften. Ich pfeife eine Melodie, die mir im Kopf rumsaust. Irgend so ein Volksschlager aus Tirol.