"Man sitzt insgesamt zu wenig am Meer"
------------frei nach unbekannt
Porto Pollo
So groß ist Korsika gar nicht. Von unserem Bergdorf bis zum beschaulichen Badeort Porto Pollo entlang der Küstenstraße sind es gerade mal 55 Kilometer. Auf der Insel ist die Höchstgeschwindigkeit auf 80 km/h festgelegt und die erreicht man selten. Geschwindigkeitskontrollen finden meist nur auf der Ostseite der Insel statt, weil man lediglich zwischen Bastia und Porto-Vecchio eine Chance hat, jemanden zu erleben, der die 80 km/h munter überbietet. An der Westküste und im Innern der Insel ist es schlichtweg nicht möglich schneller, als 60 km/h zu fahren und selbst das tun nur die wirklich Leichtsinnigen.
Die Küstenstraße von Ajacchio in den Süden ist gewunden, in den Kurven schlecht einsehbar und abwechselnd mit steilen Anstiegen und rasanten Abfahrten gespickt. Wenn man fährt und die liebenswerte Beifahrerin preist die Aussicht, die sich ihr rechterhand auf das Meer offeriert wird, kann man schnell die gute Laune verlieren, weil hinter der nächsten Kurve ein Auto von derselben Aussicht begeistert, nicht ganz seine Straßenseite beibehält. Und so sind fast eineinhalb Stunden vergangen, ehe wir in Porto Pollo eintrudeln.
Eigentlich ist der Ort ziemlich unspektakulär. Aber der Strand, der sich am Ende einer langgezogenen Bucht auftut, ist wunderschön. Besonders, da er in der eigentlichen Vorsaison Ende Mai noch recht leer ist. Eine Bar auf einer Holzterrasse lädt zu Getränken und einem Snack ein. Wir sitzen und schauen das Meer an. Eine Gruppe Rentner betritt den Strand. Vier alte Herrschaften, die sich hier mittags am Wasser treffen. Ein klappriger alter Herr verlässt seine Hose und bewegt sich staksend auf das Meer zu. Das Hemd weht offen in der leichten Mittagsbrise. Der Sonnenhut sitzt fest auf dem Kopf. Bis zu den Knien steht er im Mittelmeer und genießt den Moment. Etwas entfernt von ihm, genau zwischen Wasserlinie und unserem Sitzplatz liegt eine Frau, die nur mit zwei bunten unscheinbaren Stoffflecken bedeckt ist. Ohne Sonnenhut über dem Gesicht, liegt dort eigentlich nur eine nackte dunkel gebräunte Haut mit Badelatschen. Vor der Aussicht, unterhalb unseres Sitzplatzes, albert eine Biene an einem in der prallen Sonne stehenden Blumentopf herum.
Ich träume ein bisschen von Blumen und Bienen bis unser Essen kommt. Plötzlich erhebt sich die Sonnenverehrerin und gesellt sich mit schriller Überraschung zu ihresgleichen. Jetzt wackeln fünf Rentner von der Bildfläche. Die Biene entfernt sich enttäuscht brummelnd von der verwelkten Topfpflanze.
Das Wasser in der Bucht von Porto Pollo ist traumhaft. Blau bis grün schillert es. Weiße Segelboot schaukeln in einiger Entfernung von der Badestelle an ihren Festmachpunkten. Wenige Schritte gehe ich ins Wasser und der Boden sinkt je ab. Ich tauche ab und kann unter mir Steine, Pflanzen, Fische sehen und das Sonnenlicht, das seine Strahlen schräg in die Tiefe schickt. Lange kann ich nicht unten bleiben, aber immer wieder versuche ich, so weit hinab zu tauchen, wie ich es mir ohne Hilfsgeräte zutraue. Man kann in dieser Welt von Lautlosigkeit und sanfter Bewegung die Zeit verlieren, möchte sich einfach nur treiben lassen.
Irgendwann treibt es mich zurück an den Strand. Wir versuchen erfolglos, den Sand zwischen den Zehen zu wischen, und fahren dann weiter nach Propriano auf der anderen Seite der Bucht. Und über Propriano braucht man nun nicht viele Worte zu verlieren. Hafen, Souvenirgeschäfte, volle Parkplätze, Kinder mit kleckernden Eistüten, Ferienwohnungen und am Ende des Ortes ein kleiner Strand, der nur deshalb noch eine kleine Linie Strandsand aufweist, weil den örtlichen Baufirmen vermutlich irgendwann der Beton ausgegangen ist. Bis dahin, wo der Beton reicht, stehen offene Autos aus denen Popmusikhelden mit den Kindern der Autobesitzer um die Wette grölen.
Wir beschließen, ein Baguette zu finden und dann wieder zu unserem Ausblick mit Meerblick und Klopuschelpalme zurückzufahren.Abend sitzen wir zunächst am Pool. Ich füttere den Grill an und während die Glut langsam Fahrt aufnimmt, kann ich wieder ein paar Hornissen beobachten, die aus dem nahen Busch geheizt kommen. Ich habe immer noch Respekt vor den Biestern, aber sie fliegen, ohne mir Beachtung zu schenken, über uns hinweg in Richtung Ajaccio.
Und dann sitzen wir wieder auf unserer Terrasse und schauen zu, wie die Sonne weit im Westen im Meer versinkt, wie die Lichter in und um Ajaccio pulsieren. Schauen den nächtlichen Fliegern beim Landen zu, sehen die Fähren und Kreuzfahrtschiffe leuchten. Sehen tausende Sterne. Verschiedene Nachtgetiere machen verschiedenen Geräusche. Ganz in der Nähe raschelt es im Gesträuch. Vermutlich eine der seltenen Herrmann-Schildkröten. Der Wein, der in der Nähe einer anderen berühmten Schlucht, dem Gorges de Verdun in der Provence, gewachsen ist, mundet herrlich. Gottes Himmel über uns und das vorläufige Ergebnis von Darwins Evolutionsgeschichte um uns herum. Ich weiß nicht, was es für den Moment Schöneres geben kann.