Überland mit Sekt und Selters
Wasser ist nicht gleich Wasser, Mineralwasser nicht gleich Mineralwasser. Wenn ich eine Flasche Mineralwasser in der Hand habe und den Kasper-Kommentar höre: „Da kann ich ja gleich den Wasserhahn aufdrehen. Schmeckt doch alles gleich“, dann antworte ich dem Fantaflaschenträger naturgemäß, dass er sich mit seinem Gummibärchenextrakt auch nicht gerade einen Gefallen tut. Die Franzosen haben das Mineralwasser zwar nicht erfunden (oder doch?), sie haben es jedoch zu hohen Kultur des Genuss erhoben. Vittel, Evian, Volvic haben den internationalen Markt überflutet, wie vielleicht gerade man Coca-Cola. Perrier gehört auf den gehoben Restauranttisch, wie guter Rotwein. Und in den Supermärkten schlummern noch hunderte kleine Schätze aus tiefen Mineralquellen. Namen wie Abatiles, das wohl leckerste stille Wasser, das mir je die Kehle benetzte oder Badoit sind hier zu Lande völlig unbekannt. Ein besonderes Wasser durfte ich in Frankreich testen, an einem heißen Tag im Juni, irgendwo in den langweiligen Ebenen zwischen Paris und den Vogesen. Ich sitze in einem Toyota. Klimaanlage ist kaputt und durchs offene Fenster kommt nur warme Luft. Ich rolle über die langen, gleichförmigen Straßen und durch die schmucklosen Straßendörfer in der Champagne.
„Da stellen die nun die teuerste Brause der Welt her und dann sehen die Dörfer aus wie in MeckPomm, kurz nach der Wende“, denke ich.
In einem dieser Landstraßenkaffs mit einem Namen, den man sich nicht merken will, halte ich, um zu tanken und mich mit einem kühlen Getränk zu versorgen. Eine kleine Tankstelle mit zwei Zapfsäulen bietet sich an. Der Tankwart kommt langsam aus seinem schattigen Kiosk geschlurft. Die grauen Haare sind vom Ventilator stürmisch in die Form eines Waldschadens nach einem kleinen Tornardo gezwirbelt worden. Er sieht etwas müde aus, muss aber mal ein toller Hecht oder wenigstens ein kapitaler Hirsch gewesen sein. Er hat etwas latinohaftes, das in seinem grauen, ölverschmierten Teint mitschwingt. So wirkt er wie Julio Iglesias nach einer Tankerkatastrophe.
„Gasoile?“ fragt er.
„Sim“ antworte ich versehentlich in der falschen Sprache.
Er schaut aufs Nummernschild. Dann runzelt er die Stirn. „Diese Deutschen,“ denkt er, „keine Ahnung.“
„Voiture de Japon“, bemerkt er mit gespenstischer Abfälligkeit.
„Oui!“ Gut. Richtige Sprache getroffen.
Er zeigt lächelnd auf den unansehnlichen Schrotthaufen, der die Form einer Ente hat.
„Voiture francaise!“ sagt er und freut sich darüber, mir etwas Solides zeigen zu können.
Er hat genug in den Tank gestrullt und murmelt einen imaginären Preis, den er nicht von der Tanksäule abliest, da sie nicht mitgezählt hat. Ich frage ihn, ob er Mineralwasser hat. Hat er, teilt er mir mit. Aber nur französisches, ergänzt er schnippisch. Dann verschwindet er wieder hinter seinem Kassenverschlag. Ich folge ihm. Als sich meine Augen an das Dunkel und das Blitzen des kleinen Fernsehers gewöhnt haben, entdecke ich eine Stiege Mineralwasser. Ich greife mir ein Sixpack und lasse es auf den Kassentisch fallen.
“ Visa-Card“, frage ich.
„Non“
„EC?“
„Non“
Ich grübele.
„Bargeld?“ frage ich auf Deutsch.
„Natürlich“, antwortet er.
Ich steige kopfschüttelnd ins Auto und fahre weiter.
Auf französischen Landstrassen kommt man recht gut voran. Bei zweispurig ausgebauten Strassen darf man 110 km/h fahren. Da es der Gegend aber an betrachtenswerter Abwechslung mangelt, beschließe ich alle ökonomischen Überlegungen aus dem offenen Fenster zu kippen und auf die Autobahn zu wechseln. Die Gegend zwischen dem Elsass und Paris macht einfach keinen Spaß und es ist sinnvoll, sie schnell hinter sich zu lassen. Wenige hundert Meter nach der Auffahrt auf die Autobahn komme ich an die erste Gebührenstelle. Péage steht dran. In Frankreich muss man für die Benutzung der Autobahn bezahlen. Die Verwaltung und Instandhaltung des jeweiligen Teilstückes obliegt den einzelnen Departements oder sind ganz in privater Hand. Für die Abschnitte zwischen Paris und Haute Marne blätterte ich ca. 20,– Euro hin. Gut, dafür sind die Autobahnen in Ordnung und nicht durch Baustellenhäufchen verunstaltet. Da nicht jeder Geld für die Autobahn übrig hat und die Landstrassen eine wirkliche Alternative sind, ist das Verkehrsaufkommen im Überlandverkehr auch nicht so wahnsinnig hoch. Trotzdem erinnern mich die Autobahngebührenstellen an den mittelalterlichen Wege- und Brückenzoll. Es ist irgendwie eine Form der modernen Wegelagerei. Was früher ungekämmt und mit Spitzbärtchen im Gebüsch oder hinter Bäumen hockte und darauf wartete die nächste Postkutsche zu überfallen, besitzt heute ein Kassenhäuschen und eine eigene Schranke.
Hatte ich erwähnt, das es heiß ist? Das ich Durst habe?
Neben mir auf dem sonnigen Beifahrersitz liegt ein Sixpack Mineralwasser in kräftiger Folie verschweißt. Während der Fahrt wollte ich es nicht auspacken. Ich nutze also die nächste Péage, etwa 50 km nach der letzten. Vor mit bläst ein Laster seinen Diesel in die Luft und wartet, bis er an der Schranke ist. Ich reiße mit viel Mühe die Folie auseinander und ziehe ein Flasche heraus. Der Laster tuckert voran, ich tuckere hinterher. Ich reiche einen 50-Euro-Schein in das Kassenhäuschen. Auf 8,34 Euro herauszugeben, sollte lange genug dauern, um einen Schluck zu trinken. Der kräftige Zug, den ich aus der Flasche nehme, landet nach dem Kontakt mit den Geschmacksnerven verlustlos an der Frontscheibe. Abgesehen davon, dass das Wasser mittlerweile recht warm ist, schmeckt es ziemlich salzig. Nach dem Empfang des Wechselgeldes aus den Händen des verstörten Wegelagerers fahre ich an den Rand, um die Scheibe zu putzen.
Das Mineralwasser heißt St.Yorre. Nach dem ersten Schreck habe ich es inzwischen zu schätzen gelernt. Es schmeckt sogar ausgesprochen erfrischend, allerdings sollte es sehr kalt sein. Geeignet ist es vor allem dann, wenn der Körper ausgelaugt ist, was in diesem Fall tatsächlich der treffende Begriff ist. Die hohe Konzentration an salzhaltigen Mineralstoffen tut dem Körper besonders nach schweißtreibendem Sport gut, nach dem Joggen, Radfahren oder beim Fußball. Auch bei anstrengenden Bergwanderungen. Doch dann sollte man einen Kühlrucksack mitschleppen. Die Quelle des Wassers liegt in Saint Yorre in der Nähe von Vichy, nördlich des Zentralmassivs. Für die, die genau wissen wollen, was drin ist: Bicarbonate, Chloride, Sulfate, Sodium, Calcium, Magnesium, kurz, ne Menge Zeugs. Es gehört zu den Mineralwassern, die mir ein Kellner in Paris mal mit der der Bemerkung servierte: „Einmal Wasser mit Gesang!“ Es sprudelt also.
Man bekommt es schwer in Deutschland. Ein paar Feinkostabteilungen führen es, wie zum Beispiel die von LaFayette. Aber auch nicht immer. Da kostet die Halbliter-Flasche allerdings 3 Euro. Also lohnt es sich eher, einen Supermarkt in Frankreich zu plündern, wo es billiger ist. Trägt ja das Auto. Trotz meines unangenehmen Einstiegerlebnisses, kann ich das Wasser durchaus empfehlen. Als Durstlöscher beim Sport kenne ich kaum wirkungsvolleres. Da es aber hierzulande kaum oder nur teuer zu bekommen ist, gehört das Wasser in die Kategorie Luxus. Zum Putzen des Autofensters ist es jedenfalls ungeeignet.