Klaus Bednarz ist neben Gerd Ruge und Wolf von Lojewsky einer der letzten Urgesteine des glaubwürdigen Journalismus. Er war Korrespondent in Warschau und Moskau, bevor er in Deutschland die Sendung „Monitor“ beim WDR verantwortete. Sein markantes „Guten Abend“ war lange Zeit eine gleichbedeutende Ankündigung im Sinne von „Jetzt gibts Ärger!“
Aber Bednarz ist bei weitem nicht nur der Mann, der Politikern und Wirtschaftsbossen das Fürchten lehrt. In seiner Zeit als Auslandskorrespondent lernte er die Menschen in Polen und Russland kennen und lieben. Bednarz vermag es wie kaum ein anderer deutscher Journalist in die russische Seele zu blicken und sie auch noch greifbar seinem Publikum zu vermitteln.
Besonders anschaulich gelang im dies in seiner Dokumentation „Die Legende vom Baikalsee“. In seinem Buch sind zwei Reisen beschrieben, eine Winter- und eine Sommerreise. Die beiden Jahreszeiten zeigen den See in zwei verschiedenen Extremen. Im Winter werden schon Mal 40 Grad Minus gemessen, im Sommer 35 Grad Plus. Was das mit einer Wasserfläche, wie der des Baikalsees anstellt, kann sich jeder vorstellen, der in Physik nicht permanent geschlafen hat. Der Baikalsee – so beschreibt Bednarz – ist mit einer Tiefe von 1600 Metern der tiefste See der Welt. Seine Ausmaße liegen bei 80 km Breite und 600 km Länge, einer Entfernung, die der von München nach Hannover entspricht. Im Gegensatz zum Aralsee, den es wohl in absehbarer Zeit nicht mehr geben wird, verlandet der See nicht sondern wird immer größer. Die Plattentektonik und die vielen Erdbeben reißen ihn weiter auf. In ferner Zukunft wird Asien und Europa wohl ein Meer trennen, die Baikalsee.
Zuerst besuchte Bednarz die tiefgefrorene sibirische Welt. Drei bis vier Monate ist der Baikal im Winter zugefroren. Die Eisdecke ist bis zu einem Meter dick. Dick genug um den Verkehrsstrom nicht um den See sondern über den See zu leiten. Aber der Baikal ist launisch. Es ändern sich immer wieder die Strömungsrichtungen und warme Quellen tauchen auf an unterschiedlichen Stellen auf. Auf dem Grunde des Baikal liegen einige Hundert Lastkraftwagen, die eingebrochen sind.
Bednarz lässt sich viel erzählen, vom Leben der Anwohner des Sees und von deren Schicksalen. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion herrscht gerade hier in den fernen Regionen Sibiriens große Not. Die Arbeitslosigkeit ist enorm und die Versorgung miserabel. Die Züge auf der zum Wohl des Sozialismus errichteten Baikal-Amur-Magistrale verkehren nur noch gelegentlich. Viele der kleinen Bahnhöfe verfallen. Manchmal versagen die Heizkraftwerke oder die Leitungen frieren ein. Saisonal gibt es in einigen Gegenden nur zwei Stunden Strom am Tag, gerade soviel um am Abend ein paar Nachrichten zu sehen. Ernährt wird sich von dem, was die Taiga und der See so hergibt. Man kann sich allerdings in Irkutsk mit allem versorgen, was das westlich dekadente Shoppingherz so benötigt, um freudig zu schlagen. Vom teuersten Kaviar bis zur Gourmetküche á la Francaise, Kleider aus Mailand und Paris, Zigarren aus Havanna. Man muss nur über das nötige Geld verfügen.
Viele der Menschen, die hier leben sind entweder freiwillig gekommen, um beim Bau der Trasse zu helfen und weil ihnen Wohnung und ein Auto versprochen wurden. Weitaus mehr jedoch sind entweder selbst deportiert worden oder bereits die Nachfahren Deportierter. Kriegsgefangene, Kriminelle, politisch Unzuverlässige, Deutschstämmige. Sie alle wurden unter Stalin nach Sibirien verbannt, lebten jahrelang in Lagern und hatten nach der Lagerhaft nicht das Recht die Region zu verlassen. Sie mussten einen enormen Lebenswillen haben, um all die Strapazen im Bergbau oder bei den Holzfällern zu ertragen. Wessen Lebenswille versiegte, dessen Knochen liegen unter dem Pflaster der Straße nach Wladiwostock. Die berühmtesten Deportierten waren die Dekabristen, die im Dezember 1825 einen Aufstand gegen den Zaren versuchten. Es war die früheste Revolution in Russland und die weltweit einzigste, die vom Adel ausging. Leider scheiterte sie und die Anhänger der Dekabristen wurden nach Sibirien deportiert. Unter Mühen und Entbehrungen – sie müssen ungleich höher gewesen sein, als bei den ärmeren Leuten, die ohnehin nichts zu verlieren hatten – bauten sie sich in Irkutsk und Umgebung ein neues Leben auf. Die Kraft schöpften sie aus der Liebe ihrer Frauen, die ihnen aus St. Petersburg nachreisten und sich mit ihnen in die Isolation begaben. Diese Frauen werden heute noch als Heldinnen verehrt.
Bednarz unterzieht sich dem Schmerz von schneidender Kälte auf dem See. Zuerst freut er sich noch über die warmen Temperaturen. Bei Minus Zehn Grad kann man prima auf dem Baikal sitzen und Wodka trinken. Doch wenn der Wind kommt, schützen ihm all die warmen Sachen nicht. Die Fischer bohren derweil Löcher ins Eis und später erzählt der Schnitzer und Holzbildhauer Jurij Panow von seiner Deportation und warum er nicht mehr weg will. Auch die Tourismusindustrie rumort in den Köpfen der Baikalanwohner. Eine so herrliche Landschaft muss sich doch irgendwie vermarkten lassen. Ein ehemaliger Kommunist plant eine Erholungsstätte mit allem Schnickschnack, den es an jedem europäischen Mittelmeerstrand gibt, das Geld dafür erhofft er sich von deutschen Sponsoren. „Machen sie mal bitte Werbung für mich, Herr Bednarz.“
Im Sommer überquert der Journalist und seine Crew den Baikal mit einem klapprigen Boot. Der See ist launisch, das Team um den Journalisten kotzt in den See. Allerdings ist das nicht das Umweltproblem mit dem der Baikal zu kämpfen hat. Es krankt am Raubbau, den die Sowjetunion über Jahrzehnte betrieb. Ganze Landstriche wurden abgeholzt, Chemiewerke gossen ihre Abwässer in den See. Die Tatsache, dass die Sowjetmacht zusammenbrach, leitete eine Erholung für die Umwelt der Region ein. Man besitzt auch schon ein theoretisches Aufforstungsprogramm. Der See erholt sich derweil von selbst. Das ein geplanter Massentourismus den See gefährdet, ist angesichts der desolaten Wirtschaftslage eher fraglich. Zeit für die Region sich zu erholen. Wer auf der Strecke bleibt ist der Mensch, der hier lebt.
Bednarz versteht es souverän den Leser für die Region einzunehmen, die fern und unbekannt ist. Dabei muss er nichts beschönigen und nichts übertreiben. Er braucht lediglich die Wärme zu übertragen, die er für Land und Leute empfindet und das gelingt ihm hervorragend.
In Zeiten in denen Journalismus und Showbusiness kaum mehr auseinander zu halten sind, ist jemand wie Klaus Bednarz ein wohltuender Ankerplatz im tosenden Meer der Halbwahrheiten.
Klaus Bednarz – Ballade vom Baikalsee
