Sisteron besitzt ein paar erstaunliche Eigenschaften, die es zu einem besonders schönen Ort machen. Für uns war es bereits mehrfach Einstiegsort in die Provence.
Die Durance fließt hier über ein besonders kalkiges Bett und erscheint dadurch extrem türkis. Die Farbe ist entzückend. “Aahs und Oohs” hört man von vorbeischlendernden Touristen. Ich stelle mir vor, wie die Temperatur des Wassers ist, das in der Farbe von Ricola-Gletscher-Bonbons aus den Alpen herabsaust und bekomme prompt eine Gänsehaut.
Am Ufer erheben sich steil ein paar Felsen, die wie gespaltene Felsscheiben erscheinen. Und das nicht so zwei Meter Fuffzich hoch, sondern über hundert Meter. Auf einem anderen Felsen hoch über der Durance thront die Zitadelle, ein Bauwerk, das mittelalterliche Wehrkraft zelebriert und dabei einen Ausblick bietet, der schwindelerregend ist. Von einem schmalen Mauersims, der die Kirche der Zitadelle mit einer der Vorburgen verbindet, kann man seinen Blick bis hin zu den schneebedeckten Bergen der Mont Blanc Massivs schweifen lassen.
Der Ort selbst ist durchzogen von schmalen Gassen voller typischer provencaler Läden, mit regionalen Lebensmitteln, Designerklamotten und Touristennepp. Zugezogene Auslandsprovencalen durchkämmen die kleinen Kunstgalerien, erkennbar an den albernen Hütchen und den Anzügen in der Farbe Nilweiß, ein Farbton, der bei großer Hitze zwar erfrischend wirkt, aber meist von Herren um die 70 getragen wird. Nilweiß ist sicher eine tolle Farbe, wenn man sie sauber zu halten vermag.
Wir hatten bisher Sisteron gern als Zwischenstopp auf der Fahrt in die Provence gewählt. Das Hotel, in dem wir bisher mehrfach Quartier bezogen, liegt an der Landstraße, die in den Ort führt. Hintenraus war es leise und von Fenster und Garten hatte man einen tollen Blick auf ein schönes Bergmassiv. Doch vor wenigen Jahren hat man die neue Südtangente der Autobahn nach Aix en Provence und ans Mittelmeer verlängert und die Autobahn führt nun direkt durch den Hinterhof des Hotels.
Wir haben ein anderes Hotel im Süden von Sisteron gewählt. Ebenfalls an der Landstraße. Ein unscheinbares Motel, das so sauber ist, dass es durchdringend nach Reinigung riecht. Unser Zimmer wird uns von einem lässigen jungen Mann mit den Worten zugewiesen: “Nummer Fünf! Schlüssel steckt. Mittwochs hat das Restaurant zu.” Es ist Mittwoch und wir suchen unser Zimmer am Ende eines schmalen Ganges. Es ist spartanisch eingerichtet. Ein Bett, ein Eisenspind, der designertechnisch auf abgewetzt und gebraucht gestaltet wurde. Ein Schreibtisch aus Eisen, auf dem die Hülle meines Taschentelefons sofort magnetisch festpappt. Der Blick auf den grünen Hof versöhnt mich. In der großen Zeder sitzt ein junger Falke, der sich die frisch geschlagene Maus in den Hals würgen lässt. Ein Wiedehopfpärchen turtelt über die frisch gemähte Wiese.
Zweihundert Meter die Straße hinunter befindet sich ein Restaurant, das ab 19 Uhr geöffnet ist. Eine kleine Wanderung die Straße entlang lässt die Erkenntnis reifen, dass französische Autofahrer mit Fußgängern restlos überfordert sind. Wir fliehen auf die andere Straßenseite in eine Obstplantage, bevor wir nochmals die Straße kreuzen müssen um im Restaurant anzukommen.
Ein freundlicher Kellner mit Latinowurzeln empfängt uns als erste Gäste des Abends. Unsere Entschuldigung, dass das Nachbarhotel mittwochs keine Küche hat, hat er wohl schon öfter gehört. Er freut sich über die zusätzliche Einnahmequelle.
Die Küche scheint einiges drauf zu haben. Die Speisen kommen ohne Eile, sind übersichtlich und üppig zugleich. Ich versuche es mit einer Portion Schnecken. Kräuterbutter, Knoblauch und irgendwas Glitschiges, das man mit albernen Besteck aus dem Gehäuse zutscht. Erstaunlicherweise ist das Gesamterlebnis trotzdem lecker.
Um eine angemessene Summe ärmer, aber gut gesättigt, laufen wir wieder den lebensgefährlichen Weg zu unserer Schlafstätte zurück.
Nach einem ganz passablen Frühstück am nächsten Morgen brechen wir auf ins sonnige Cassis am Mittelmeer.
Sisteron – Tor zur Provence
