In einer stattlichen Anzahl von Ländern finden zu geregelten Zeiten militärische Zeremonien statt. Meist sind es Wachwechsel vor historisch bedeutsamen Gebäuden. Und in fast allen Fällen kommen dabei farbenprächtige Kostüme – Entschuldigung – Uniformen zum Einsatz, die in einer meisterhaft durchchoreografierten halben Stunde mit allerhand Verrenkungen und Getöse den staunenden Touristen und ihren Fotoapparaten präsentiert werden. Wenn man an die Bommelschuhparade der griechischen Palastgarde denkt, den sogenannten Evzonen, fragt man sich schon, wie grimmig diese Einheit mit ihren Pittiplatschschlappen bei einem Einsatz wirkt.
Der schwedische König ist für diesen Spaß ebenfalls zu haben. Jeden Tag um die fortgeschrittene Mittagszeit sperren ein paar blau uniformierte Gardisten, die auf dem Schlossvorplatz herumlümmelnden Touristen hinter eine Kordelabsperrung. Und dann lassen sie die Leute da stehen und warten erstmal ab. Gegen 13:15 Uhr kommt ein schicker Soldat mit Karteikarten in der Hand und stellt sich vor ein Mikrofon. Dann beginnt ein Vortrag, über das, was den Besucher erwartet.
Ich stehe in Reihe zwei und versuche herauszubekommen, was der Soldat erzählt. Nach einer Weile wechselt er ins Englische und erklärt, dass der Wachwechsel das wichtigste Zeremoniell der Leibgarde des Königs ist. Sie soll zeigen, dass das Militär jederzeit bereit ist, den König und sein Gefolge im Schloss zu schützen. Dass der Knüg lieber auf Schloss Drottingholm hockt und auf seinen Garten guckt, spielt dabei keine Rolle.
Der Vortragskünstler tritt zurück und nun reitet eine Garde hoch zu Ross in den Showroom ein. Alle sind mit Blasinstrumenten bewaffnet und schrammeln einen zünftigen Marsch weg. Ein Musiksoldat bedient zwei dicke Trommeln, die dem Pferd rechts und links vom Sattel herunterbaumeln. Es ist ein kräftiger Kaltblüter – das Pferd jetzt – und denen kann man mit Trommeln nicht so leicht die Ruhe nehmen.

Ein weiteres Reiterensemble tritt von links auf. Das sind die eigentlichen Hauptdarsteller der Veranstaltung. Sie stoppen auf Befehl ihre Pferde und sollen nun absteigen. Aber wie es bei solchen Zeremonien üblich ist, nicht ohne ein paar Sondereinlagen vorzustellen. Sie drehen sich vom Sattel, bis die Füße parallel stehen und sie in einem spitzen Winkel vom Pferd wegweisen. So verharren sie, bis der Befehl zum Herablassen kommt, was eine Weile auf sich warten lässt. Als sie endlich den Boden erreicht haben, werden die Pferde von der Szene geführt. Als Nächstes folgt ein längerer Akt unterschiedlicher Bewegungsstudien.

Eine Reihe Blauröcke beginnt im Laufschritt vorzupreschen – nein. Nicht preschen, die Bewegung sieht zwar nach temporeichem Vorwärtsdrang aus, wird aber in Zeitlupe vorgeführt. Das ist die hohe Kunst des Militärballetts.
Man wechselt nach links, nach rechts, hebt das Gewehr, senkt es wieder, hebt es wieder, dreht sich um, bleibt stehen und stampft mit einem Fuß auf, wie trotzige Kleinkinder. Ein junger Mann tritt stampfenden Schrittes vor, zehn Meter weiter tut es ihm eine uniformierte Frau gleich. Der Mann dreht den Kopf in ihre Richtung und schreit sie an. Die Frau dreht ihrerseits den Kopf in seine Richtung und schreit zurück. Dann drehen sie den Kopf wieder nach vorn und starren schweigend und grimmig direkt über die Köpfe der Zuschauer.

Nachdem das streitende Paar ihren Problemen Luft gemacht hat und beide schließlich wieder abdrehen, tanzt an ihrer Stelle ein blau kostümierter Soldat den Tanz der Fahne. Er tritt – ebenfalls stampfend mit der wehenden schwedischen Fahne nach vorn. Dann schreitet er rückwärts stampfend auf seinen Platz zurück, mit jedem Schritt die Fahne ein Stück einrollend. Am Ende hat er eine kleine Rolle, kaum dicker, als eine türkische Pizza im Arm, mit der er seinen Ausgangspunkt erreicht. Wären wir hier bei den Simpsons, würde er das Paket jetzt aufessen.
Vor uns steht ein älteres Paar, ich schätze sie auf ca.70 Jahre, das sich königlich über die Scharade freut. Er lächelt versonnen und fotografiert, sie, ein keckes rosa Hütchen tragend, kichert und klatscht und lacht jedes mal, wenn meine Herzdame das Zeremoniell leise in meine Richtung kommentiert. Ich befürchte schon, deutsche Touristen vor mir zu haben, aber da sich die Frau plötzlich umdreht und uns auf Englisch ihre Begeisterung schildert, erfahren wir schließlich, dass das Paar aus Neuseeland kommt und die große Baltik-Tour macht. Dänemark, Schweden, Norwegen. In Hamburg waren sie auch schon. Ich freue mich für sie und behalte neunmalkluge Bemerkungen darüber, was alles zum Baltikum gehört und was nicht, für mich.
Es geht aufs Finale zu. Inzwischen haben sich die Soldaten abgelöst. Wer neu im Dienst ist und wer nicht, wird mir nicht klar, denn der Wechsel zwischen den verschiedenen Regimentern gestaltete sich in etwa so übersichtlich wie die Bewegungen bei einem Hütchenspiel. Einer hin, ein anderer weg, der nächste hin und der erste wieder ins Spiel … . Am Ende gehen sie wahrscheinlich alle gemütlich in die Altstadt und trinken ein Øl.

Das eigentliche Finale besteht in einem bunten Medley lustiger Militärschlager, die das Blasensemble von den Rücken der Pferde schmettert. Zwischendrin spielen sie einen Popsong. Das ist alles ganz ordentlich geblasen und klingt harmonisch bis ins Mark. Die Frau vor mir beginnt rhythmisch zu klatschen, ein paar Japaner neben mir tun es ihr nach, allerdings mit dem den Japanern eigenen Rhythmus. Heute ist ein gewöhnlicher Wochentag. Da spielt das Revuebatallion dankenswerterweise kein ABBA-Potpurrie. Das soll aber an vermeintlich guten Tagen schon mal vorkommen. Mit den Instrumenten scheppernd reitet die uniformierte Blaseinheit nach links ab. (Uniformierte Blaseinheiten reiten immer nach links ab).
Die Frau vor mir hat Tränen der Rührung in den Augen. “I love this traditional Ceremoniel” sagt sie und schwebt begeistert von hinnen. Na da haben die alten Militärhaudegen ja wieder alles richtig gemacht, denke ich. Wie so oft, lässt sich der Betrachter von bunten Uniformen und mitreißender Marschmusik zu kritikloser Begeisterung verführen. Mit dem Trick haben es Militärs seit Jahrhunderten geschafft, vor allem junge Menschen zu begeistern. “Wenn ich groß bin, möchte ich auch so eine Uniform und ein Gewehr. Barump-Ta-Ta, Barum-Ta-Ta, Ta-tap ta-ta-ta ta-ta-drapp-ta-ta!”. Und kaum haben sie das ausgesprochen, sind sie neunzehn und liegen mit zerschossenem Gesicht und zerfetzten Gliedern auf einem blutgetränkten Feld fern der Heimat. Vergessene Helden, die eigentlich nur ein schönes Kostüm tragen wollten.
In Schweden, Griechenland, der Türkei, in beinahe jedem Land der Welt, ist so ein Zirkus Bestandteil der Präsentationskultur eines Volkes. In Deutschland hat man sich davon glücklicherweise verabschiedet. Seit die Wachablösung vor der Alten Wache in Berlin nicht mehr stattfindet, gibt es nur noch den Großen Zapfenstreich mit Blasmusik in Uniform. Und das auch nur beim Abtritt prominenter Politpommeranzen. Mehr braucht man hierzulande nun wirklich nicht an militärischer Vorzeigepräsenz. Man stelle sich nur das internationale Kopfschütteln vor, das aufkommen würde, sollten paradeuniformierte Soldaten einmal die Woche im Stechschritt vor dem Reichstag herumstelzen. Oder demnächst vor dem neuen alten Stadtschloss.
Die blauen Uniformen und die gewienerten Pickelhauben von des Königs Leibgarde und auch die weißen und braunen Pferdchen sahen jetzt allerdings wirklich ziemlich schick aus.
Tschig-de-rassa-bumm!
