Thann im Elsass ist der Haltepunkt des ersten Tagesabschnittes. Der Ort in der Nähe von Mulhouse liegt eingebettet zwischen Vogesenbergen im Tal des Flüsschens Thann. Es ist ein kleiner, aber recht lebendiger Ort, durch den die Hauptverkehrsader Richtung Epinal läuft. Eine große, sehr schön mit ausschmückenden Figuren gestaltete Kirche beherrscht den Ort. Ei
n kleiner Craftbierladen lädt ein, den langen Tag auf der Autobahn würdig zu beenden. Ein Husky mit freundlichem Gesicht und weiß-grauem Plüschfell sitzt brav an einem Brunnen und wartet darauf, dass die Besitzerfamilie mit ihrem Bier fertig wird. Das dauert, denn Frauchen hat nasse Schuhe und nasse Socken und lässt diese in der Sonne trocknen.
Die Geschäfte schließen und wir gehen zu unserem Hotel. Es ist in einem alten Schloss oder Herrenhaus untergebracht. Beim Einchecken laufe ich völlig auf. Ich habe so lange kein Französisch mehr gesprochen, dass ich schulterzuckend ins Englische wechseln muss, was mir ausgesprochen peinlich ist.
Wir bekommen ein kleines, recht elegant eingerichtetes Zimmer im zweiten Stock, mit Blick auf den hübschen Schlosspark. An den Türen des schick zurechtgemachten Flures sind kleine Messingschilder angeschlagen, die dokumentieren, wer hier alles bereits gewohnt hat. Pierre Richard, der französische Komiker zum Beispiel. Michelle Galabru, ein großartiger Volkschauspieler Frankreichs, bekannt als Chef von Louis des Funes als Gendarm von St. Tropez. In einem Zimmer machte Fausto Coppi Station, der italienische Radprofi und mehrfache Sieger der Tour de France und des Giro d’Italia. In unserem Zimmer wohnte ein französischer Komiker, dessen Name ich noch nie gehört habe.
Das Haus besitzt Seele. Man hört sie bei jedem Schritt. Die Dielen knarren, auch die Tische im Restaurant.
Das Restaurant gibt sich piekfein und ein bisschen aristokratisch. Man traut sich kaum lauter zu sprechen, als vertrauliches Flüstern zulässt.
Vom in leuchtenden Blautönen gehaltenem Deckengemälde tropfen Kronleuchter. Kerzen stehen auf den Tischen, ein altes Klavier lungert in der Ecke herum. Ein herrschaftlich wirkendes Mädchen guckt unbeteiligt von einem Wandgemälde.
Unser Französisch ist inzwischen wieder etwas aufgewacht. Die junge Frau, die hier bedient ist etwas hilflos, als sie am Nachbartisch eine alleinreisende junge Frau bedienen will, die kein Französisch spricht. Meine Herzdame hilft bei der Übersetzung des Menüs.
Bei unserer Bestellung wird es auch nicht einfacher, denn wir bekommen jetzt zwar unsere Wünsche einigermaßen gut formuliert, aber die Kellnerin scheint erst sehr kurz im Dienst zu sein. Sie wird vom Rezeptionisten und vermutlich Abendchef mit zahlreichen Hilfestellungen unterstützt und tatsächlich versucht sie uns später entschuldigend zu erklären, dass sie neu ist. Die Kombination am Nachbartisch aus mangelnden Französischkenntnissen und nur mäßig vorhandenen Servierkenntnissen besitzt die Brillanz eines Monty Phyton Sketches. Der Abend wird noch unterhaltsamer, als die nächsten Gäste eintreffen. Fünf einzeln reisende Herren erscheinen. Zu Tisch ihre jeweilge Geliebte mit sich führend, klein handlich, strahlend in gängigen Blautönen und jederzeit willig, sich mit einem sanften Streicheln aus dem Ruhemodus wecken zu lassen – das unvermeidliche Smartphone. Einer ist Geschäftsmann im Anzug, vermögend aussehend. Hat natürlich das größte Handy. Ein anderer sitzt in der Ecke. Als er auf sein Essen wartet und sein Telefon gerade nichts Interessantes von sich gibt, lehnt er sich zurück und nickt kurz weg, bis das Essen kommt und den Gast wieder in den Betriebsmodus zurück führt. Ein weiterer Mann besitzt die Ausstrahlung eines Fernfahrers, der sich mal was gönnt. Als das Essen kommt, legt er das Smartphone beiseite und widmet sich den wesentlichen Dingen des Augenblicks. Ein Mann sitzt am Ende des Raumes an einem großen Tisch, isst mit einer Hand und nebenbei wischt er derweil über die informativen Angebote seines Telefons. Seine dicke Designerhornbrille und der frisch gelegte Schnauz legen den Verdacht nahe, dass er auch gern mit einem eigenen Messingschild hier im Hotel angeben möchte.
Der letzte Einzelreisende bekommt am Ende seines Essens noch ein Dessert serviert. Ein kleines Schokoladenküchlein, innen noch warm. Eine Delikatesse, für die ich einen Mord begehen könnte. Er bedankt sich nebenbei, bei der Kellnerin, legt aber in den folgenden fünf Minuten das Telefon nicht aus der Hand, beachtet das Dessert, das ausgesprochen elegant angerichtet wurde nicht einmal. Ich bemerke, wie nicht gerade leichte Aggressionsgefühle in mir aufwallen.
Ein weiterer Tisch füllt sich mit vier Personen. Ein älterer Herr und drei Damen. Nach kurzer Zeit höre ich leichte Grunzgeräusche. Ich schaue unauffällig zu dem Tisch der vier Personen, um herauszubekommen, wer von den vier Personen hier etwas eingeschränkt ist. Ich verdächtige eine der Frauen am Fenster, die nichts sagt, sondern nur guckt und glaube, dass sie die Person ist, die ein wenig zurückgeblieben ist.
Später erklärt mir meine Herzdame, dass der Hund unter dem Tisch der Vierergruppe die selben Schnarchgeräusche macht, wie unser leicht übergewichtiger Kater, wenn er sich zusammengerollt hat.
An unserem Tisch vollführt die junge Auszubildende schließlich ein paar ungeschickte Bemühungen eine Flasche Wein zu öffen. Wir machen ihr Mut, wofür sie sich bedankt. Auf die Frage: “Ist der Wein aus der Region?«, hebt sie die Flasche aus dem Kühler, schaut auf das Etikett und sagt nach reichlicher Überlegung – “Oui!”.
Später schaut sie immer wieder zu unserem Tisch und ich versuche dann mit meinem Weinglas zu spielen, um beschäftigt genug auszusehen, um ihr ein Herbeieilen als unnötig zu vermitteln .
Das Essen ist gelungen. Ich habe ein paar Hühnerbeine in Rieslingsoße mit Spätzle, die in einem tiefen Teller serviert werden. Sieht gut, vor allem übersichtlich, ist aber ein bisschen schlecht heranzukommen an die in der Tiefe kauernden Spätzle.
Weitgehend gesättigt und gut unterhalten verlassen wir das Restaurant und hören im Gehen noch das Geräusch, dass nur der schadenfrohe Gast als erheiternd hinnimmt: das Zersplittern, das nur echtes Porzellan von sich gibt, wenn es den Boden erreicht.
Thann – In einem Schloss im Elsaß
