Im Schwarzwald
Mehr über einen Frühlingsaufenthalt im Schwarzwald lesen Sie hier:
Weißer Sonntag
Pilgern auf Schwäbisch
Versalzenes am Titisee
Klosterführung mit Selbstbeweihräucherung
Glückseligkeit in Freiburg
Von Wasser-, Nies- und anderen Anfällen
Weißer Sonntag im Schwarzwald
09. April 2018
Die erste wirkliche Frühlingswanderung des Jahres zu unternehmen, ist wie ein gemeinschaftliches Aufatmen von Natur und eigenem Körper. »Hey. Es geht wieder los« grüßen sich Wanderer und Landschaft. Vorgestern noch kratzte ich mit Stiefeln an den Füßen und mit einem Wintermantel den bibbernden Körper vor dem morgendlichen Temperaturen schützend, Eis von den Autoscheiben. Ostern ist gerade vorüber und einigen Orts lag frischer gefallener Neuschnee auf den versteckten Ostereiern.
Jetzt, Anfang der zweiten Aprilwoche haben meine Herzdame und ich uns auf einem Bergbauernhof im Schwarzwald eingemietet, genießen eine reichlich vorwitzige Sonne, die auf eine Wiese voller Osterglocken scheint, Osterglocken, die gelb und anziehend leuchten und von den ersten herumsummenden Bienen munter gevögelt werden. Zwei Katzen schleichen durchs hohe Gras und jagen Insekten. Von der Terrasse schauen wir ins Tal und hinüber zum Feldberg, auf dem sich der Schnee immer noch weiß und strahlend vor dem blauen Himmel abhebt.
Beste Gelegenheit die Wanderschuhe anzuziehen und in den Wald zu gehen. Die ersten Bäume treiben aus. Andere liegen gebündelt und entastet am Wegesrand. So tragisch es für den einzelnen gefällten Baum auch ist, im Wald riecht frisch geschlachtetes Holz einfach toll. Hummeln brummeln. Es gibt schon reichlich Vögel im Wald, die zwitschern und die neue Saison begrüßen. Irgendwie ist auf den ersten Blick alles, wie es sein soll. Die Landschaft im Südschwarzwald ist lieblich, grüne Felder, blauer Himmel, strahlender Sonnenschein.

Alles ist so idyllisch wie ein Bildschirmschoner von Windows. Nur zuweilen sind die Anstiege im Wald etwas anspruchsvoll.
Kirchenglocken läuten vom Tal oder aus dem Nachbardorf herüber. Wanderer Grüßen auf dem Weg zurück, zumindest die, die älter als achtzehn sind. Sonntag nach Ostern im Schwarzwald.
Die Idylle wird kurzzeitig gestört, als ich im Wald ein Schild an einem Baum bemerke. Eine Suchmeldung, ein Zeugnis eines schmerzlichen Verlustes. “Modelsegelflugzeug entflogen. Bei Fund bitte melden unter … .”

Hinter einem grünen hügeligen Feld tauchen die Kirchtürme des Ortes St. Peter auf. Blasmusik schallt durch die Landschaft. Schon von Weitem können wir auf dem Klosterhof eine Menschenmenge ausmachen, die offenbar etwas zu feiern hat.
Heute ist Erstkommunion in St.Peter. In der katholischen Kirche vor allem für die heranwachsenden Kinder ein wichtiger Tag. Fein geschmückt ist der Eingang zur Klosterkirche. Die Betroffenen, also die Kinder und ihre Angehörigen haben sich in ihre besten traditionellen Schwarzwaldkostüme gekleidet. Röcke, Schürzen, Westen, schwarze Anzüge, Hauben bei den Großmüttern, Hüte bei den Müttern. Fotos werden vor dem Kircheingang geschossen, kleinere Getränke kursieren bereits.

Dazu spielt eine Blasmusikkapelle. Ein festlicher Akt, der mehrere Generationen in der Gemeinde und in der Tradition verbindet. Durch einen Torbogen verlassen wir den Klosterhof und finden uns auf einem kleinen Platz wieder, den drei Restaurants und ein Souvenirladen säumen. In der Mitte steht ein großer Brunnen.
Im Souvenirladen finde ich eine detailverliebte Wanderkarte der Region. Ich freue mich drüber. Irgendwie kann ich einer guten Karte immer noch mehr Vertrauen entgegenbringen, als meinem Wandernavi, das gern mal den Satelliten verliert und mich ratlos im Wald stehen lässt. Da der Verkäufer meinen Fünfzig Euro Schein etwas skeptisch beäugt, wühle ich noch kurz in seinem kleinen antiquarischen Bücherkörbchen und werde fündig. Wir unterhalten uns noch kurz über das Wetter. Dann höre ich meinen Magen knurren und trete wieder vor die Tür.
Vor dem Hotelrestaurant sind auf einer Terrasse Stühle und Tische aufgestellt. Fast alle stehen in der Sonne, die hier mittags bereits reichlich Kraft besitzt. An der Fensterfront liegt eine Bankreihe bereits im Schatten. Von dort haben wir einen guten Blick auf das Treiben auf dem Platz und an den Tischen.
Eine trachtengeschmückte Großmutter nimmt unsere Bestellung auf. Ein Bier, ein Saft. “Gibt nur Kuchen. Keine warme Küche,” sagt sie.
“Warum”, wage ich zu fragen.
“Na weil heut Weißer Sonntag ist”, erwidert sie und geht von der Selbstverständlichkeit dieser Aussage überzeugt wieder in die Küche.
Ich nehme dann ein Stück Schwarzwälderkirschtorte zu meinem Weißbier. Eine durchaus akzeptable Kombination, wenn man ein bisschen Hunger und noch mehr Durst hat und der Rückweg über einen Kamm in ein Tal und dann wieder auf einen Berg hinauf führen wird.
Vor dem Restaurant treffen immer mehr Sonntagsausflügler ein. Vor allem Radfahrer. Der Schwarzwald ist gerade von Freiburg aus ein Mekka der beherzten Rennradler und Mountainbiker, aber inzwischen ebenso der motorisierten Zweiradbesitzer höheren Alters. Ob E-Bike oder Motorrad. Hier in St.Peter macht manch motorisierter Hüftschaden Mittagspause. Am gegenüberliegenden Tisch platziert ein älteres Ledermännchen den Helm neben seinem Stuhl, fährt sich pflegend durch das weiße Spitzbärtchen und richtet die spiegelnde Sonnebrille auf sein ebenfalls weißhaariges Weibchen. Zwei weitere Motorradrecken mit gepflegten Bierbäuchen, steuern schweren Schrittes auf den gleichen Tisch zu und setzen sich dazu.
Eine junge Familie sucht Platz. Ein Kindersitz in einer Hand, schiebt der Vater seinen Sohn mit dem rote Porsche T-Shirt durch die Reihen. Das Thor Steinar Shirt des Vaters brüllt um Aufmerksamkeit, ebenso, wie seine durchtätowierte Frau. Ein ganz gewöhnlicher Sonntagsausflug mit Familie. Ein Trio lehnt seine Rennräder an die Blumenrabatte. Durchtrainiert und abgehechelt schwitzen sie die Kissen auf den Sessel mit ihren Funktionshosen nass. Die Frau in dem Trio ist drahtig und dürr. Ihre rote Trikot- und Radhosenkombination, die normalerweise eng anliegen sollte, schlabbert über ihrem knochigen Körper, wie lässig fallender Fahnenstoff. Ich steche beherzt meine Gabel in die letzte Ecke meiner Schwarzwälder Kirschtorte. Dann greife ich zu meinem Rucksack, meinem Reisegepäck, das nur das Nötigste enthält: Eine Flasche Wasser, etwas weich gewordene Schokolade, Fotoapparat, die neue Wanderkarte und eine vierhundertseitige Biografie von Catarina Valente. Dann kann es ja weitergehen.
Pilgern auf Schwäbisch
10. April 2018

Vom Kloster St.Peter im Schwarzwald führt ein Wanderweg hinauf zur Wallfahrtstätte Maria Lindenberg. Nach wenigen hundert Metern an einem grünen Feld entlang, beginnt ein Pilgerpfad hinauf zu einem Hügel mit einer bemerkenswerten Aussicht. Am Wegesrand sind mit geringem Abstand kleine Bildstöcke aufgestellt, die den Leidensweg von Christus nachstellen. Von seiner Verurteilung bis zur Auferstehung finden sich auf diesen kleinen, bereits recht verwitterten Bildtafeln alle Stationen seines letzten Ganges in geschriebenen Wort und gemalten Bild aufgereiht. Der Weg ist an diesem sonnigen Sonntag nach Ostern gut frequentiert. Der Weiße Sonntag gehört wohl noch zur eigentlichen Osterzeit. Zahlreiche Spaziergänger nutzen die Gelegenheit, um zur Wallfahrtskirche Maria Lindenberg zu pilgern.

Zwischendurch am Hochgericht, einem Rastplatz mit Kreuz und komfortabler Sitzgelegenheit, kann man stoppen und den Blick auf den Feldberg zur Linken richten oder nach rechts hinab ins bereits üppig grün erscheinende Dreisamtal. Mit dieser oppulenten Aussicht im Blick taten bis ins 18. Jahrhundert hinein einige arme Hälse ihren letzten Gurgler. Hier stand der St.Petermer Galgen und eine Vielzahl Gerichtsurteile, die mit dem Tode endeten wurden an dieser grandiosen Aussicht umgesetzt.
Die Wallfahrtskirche steht auf der Kuppe eines Berges, den man sich nach einem kleinen Abstieg erwandern muss. Sie ist mit ihrem hellen Anstrich weithin zu sehen. Etwas unterhalb der Kirche befindet sich ein großes protzig wirkendes Hotel- und Tagungszentrum. Dunkles Holz bedeckt die Fassade. Es ist an den Hang des Hügels gebaut und sieht beinahe etwas geduckt aus, als würde es sich nun doch etwas schämen, angesichts der Idee des enthaltsamen Pilgerns luxuriös ausgestattet das Ende des Leidensweges zu schmücken.
Das Wallfahrtszentrum Maria Lindenberg besitzt alles, was der katholische Wallfahrer so benötigt. Gaststätte, Übernachtungsmöglichkeiten, Konferenzsäle, Besinnungsräume, Spiritualitätskurse etc., und eine Aussicht, für die manche Hotelkette kriminellen Neigungen nachgehen würden. Hier jedoch hatte die katholische Kirche als Platzhirsch die Nase vorn. (Und ich weise hier den Gedanken von mir, zu behaupten, die katholische Kirche hätte jemals auch nur mit dem Ansatz krimineller Neigungen kokettiert. Schließlich repräsentierte die Inquisition das einst geltende Recht.)

In der kleinen Wallfahrtskirche befindet sich eine noch kleinere Dankeskapelle, in der vorbereitete Dankeskarten und -anhänger an einem Altar hängen. Eine Karte mit dem Satz: “Maria hat geholfen” fällt auf, weil an dieser ein einzelnes Puppenbein hängt. Wobei hat die Gottesmutter hier wohl geholfen? Bei einer Rehabilitation nach einem Unfall, vielleicht? Bei einer Krampfaderoperation? Bei einer erfolgreichen Wadenspende? Das bleibt, wie in vielen anderen Fällen eine Angelegenheit zwischen der dank sagenden Person und Maria. Unterhalb des Altars brennen zahlreiche Kerzen, die ihr gewidmet sind. Ebenso zahlreich ist die Menschenmenge, die sich in dieses kleine Eckkapellchen drängen, um weitere Kerzen anzuzünden. Sauerstoff fehlt fast vollständig und ich kann mir gut vorstellen, dass jemand, der sich an diesem Ort etwas zu lange aufhält, zu Visionen neigt.
Neben dieser kleinen engen Sehenswürdigkeit öffnet sich zaghaft eine Tür. Gemurmel dringt heraus. Ich werfe verstohlen einen Blick hinein. Der kleine Kirchensaal ist gefüllt von Leuten, die in sich gekehrt Gebete murmeln. Die Tür schließt sich wieder und das Gemurmel verstummt. Kurze Zeit später öffnet sie sich wieder, worauf das Murmeln erneut anschwillt. Das Murmeln des katholischen Wallfahrers wirkt wie ein eigener Soundtrack.
Wenn wir Menschen unsere Hoffnungen an etwas oder jemanden binden und sei es an eine längst verstorbene Figur der Geschichte, so hilft es uns über Krisen, stärkt und schützt. Jeder glaubt an irgendetwas oder gibt sich zumindest Hoffnungen hin. Wir tragen Talismane, treten nur mit einem bestimmten Fuß aus dem Bett oder betreten niemals Türschwellen. Theaterleute reagieren auf ein “Viel Glück” niemals mit ”Danke”. Andere wiederum glauben an Homöopathie oder das fliegende Spagettimonster. Ärgerlich wird es immer dann, wenn sich eine Instituition anmaßt, mit ultimativen Lösungsvorschlägen Handel zu treiben. Die Hoffnung auf eine Hilfe von außen ist genau genommen eine Art Urinstinkt. Die verschiedenen Religionen kamen erst später dazu und haben diese Hoffnungen genormt, geformt und institutionalisiert. Ich weiß bis heute nicht, was besser ist, wenn man in Bedrängnis ist. In den Himmel gucken, nachdenken, heulen, mit Freunden reden und nach Lösungen suchen oder Geld zu zahlen und andere für sich denken zu lassen, die dann mit Worten und Vordrucken für Trost sorgen. Wahrscheinlich hat beides seinen gerechten Platz in der Welt, auch wenn ich persönlich der Scheinheiligkeit als Geschäftsmodell nicht viel abgewinnen kann. Aber die ist ja auch außerhalb von Kirche und Versicherung ziemlich weit verbreitet.
Am Fuße der Kirche befindet sich ein großräumiger Parkplatz, wo die Pilgerer ihre Pilgerfahrzeuge abstellen können. Er ist gut gefüllt mit SUVs, Mercedesesse und anderen Wagen aus gehobener Mittel- und Oberklasse. Irgendwie hatte ich die Idee des Pilgerns anders in Erinnerung.
Von der Murmelkirche weg, führen wieder zahlreiche Wanderwege hinab ins Tal oder auch hinüber zum Feldberg. Wegen der fehlenden Winterausrüstung beschließen wir, den schneebedeckten Feldberg da liegen zu lassen, wo er sich befindet und spazieren derweil hinab durch einen Wald und an einem Bergbauernhof vorbei hinunter ins Tal. Ziegen meckern freundlich. Katzen flüchten verängstigt, wenn ich sie anmauze. Im Tal befindet sich ein als Rasthof ausgewiesener Rasthof. Leider geschlossen. Von hier erwartet uns noch ein drei Kilometer langer Anstieg hinauf zu unserem Ferienhaus auf dem Klausenhof, kurz unterhalb des Brombeerkopfes.
Rast an einem offiziellen Grillplatz. Wir trinken Wasser und verputzen weichgewordene Schokoriegel. Als wir wieder aufbrechen wollen, hält ein schwerer BMW-SUV neben der Holzhütte, dem ein Mann mit einer Axt entsteigt. Die platziert er mit Schwung in dem Baumstumpf und macht damit sein Platzrecht deutlich. Dann holt er eine Kiste Bier aus dem Auto, die er in einen hölzernen Waschzuber stellt, der mit frischem Quellwasser aus dem Berg gespült wird. Das wird er unmöglich alles allein trinken wollen. Zwei Frauen und ein kleines Kind krabbeln ebenfalls aus dem Innern der Hausfrauenpanzers, ein Kett-Car wird dem Kofferraum entnommen, Grillkohle und Fleisch folgen. Nach einem einfachen Familiennachmittag sieht mir das nicht aus. Wir grüßen freundlich und machen uns vom Acker.
Der Weg geht weiter steil bergauf. Auf einer Bergkuppe bleiben wir stehen und schauen hinab in die Landschaft. Felder wechseln sich mit kleinen Waldstücken ab. Drüben auf der anderen Seite des Berges grüßt die Murmelkirche.
Der Wald, den wir wenige Minuten früher durchschritten hatten und der nun einige Meter unter uns liegt, ist erfüllt von Unruhe. Waidmanns Büchse knallt durch die Stille des sonnigen Sonntagnachmittags. Drei Schüsse pfeffern mit Knall und Hall, die in den Tälern weit schallen. Stille. Wieder drei Schüsse. Das Tier entzieht sich offenbar erfolgreich der waidgerechten Ermordung. Weitere Schüsse fallen dicht auf einander. Erst nach einiger Zeit kehrt wieder Ruhe ein. Der Jäger hat sein Opfer erlegt. Nun liegt der Hase wohl danieder, durchlöchert von 72 Kugeln.
Versalzenes am Titisee
11. April 2018
“In weichen Bögen erheben sich die runden Kuppen der umliegenden Berge um das geschwungene Ufer des einladenden Titisees, der sich sanft ins fruchtbare Tal einschmiegt.”
So oder ähnlich könnte sich ein Reiseführer äußern, der diesem Hochtal mit seiner zwei Quadratkilometer großen Gletscherpfütze weitere Touristenschwärme zuführen möchte.

Titisee ist die Tourismusklebefalle des Südschwarzwaldes. Hier kommen sie alle hin, die Reisebusse, die Wanderververeine. Hätte man die Möglichkeit, man würde Kreuzfahrtschiffe hier vor Anker gehen lassen, damit deren Insassen sich in den Shops mit lebenswichtigen Kuckucksuhren versorgen lassen könnten. Das Ufer des Sees am Ort säumen vor allem Hotels, wenig einladende Restaurants, Souvenirshops und Verbotsschilder aller Art: “Betreten und Beschwimmen des Sees verboten”, “Privatstrand”, “Boote nur beim Bootsverleih”, “Kurpark - Radfahren verboten”. Auch immer wieder gern gesehen, die Aufforderung, Hundeexkremente in einer Tüte zu entsorgen. Das ist generell ein guter Ansatz. Aber bunter Kacketüten in den Wald zu werfen, damit die Scheiße nicht offen herumliegt, erweckt den Anschein, als hätte man die Aufgabenstellung nicht wirklich verstanden. Vielleicht ist das aber auch die Essenz der Kehrwoche: Bis vor die eigene Tür muss alles perfekt sein.
Vom Bahnhofsparkplatz aus führt eine schmale Straße hinab in den Ort. Kaum erreicht man das Kerngebiet von Titisee, glaubt man sich in einer Schwarzwaldvariante eines Micky-Maus-Parkes wieder zu finden. Der Ort wird von Souvenirläden, Bedarfsgüterdealern für Wasserspielzeuge, Klamottenläden jenseits von Geschmack und Tragbarkeit, sowie Würstchenbuden, Cafés und Restaurants mit schwäbisch-internationaler Küche dominiert. Die Standardsprachen in der Fußgängerzone sind Russisch, Japanisch, Französisch und Balkanesk. Aus den geöffneten Verkaufshöhlen gongeln Kuckuckse und Volksmusik. Authentischer kann man den Schwarzwald wohl kaum jemanden vorspielen.
Wir suchen uns einen Wanderweg entlang des Sees und werden am Ortsende fündig. Ein Wanderschild verweist auf einen Rundweg, der auf einem asphaltierten Sträßchen beginnt. Links erhebt sich eine Böschung, die eine Bahnlinie trägt. Darüber dröhnen Lastwagen auf der Landstraße, die sich langsam den Berg hinauf windet. Rechts soll der See sein. Aber zunächst hat ein größeres Privatgrundstück dafür gesorgt, dass man nicht über die Hecke auf Privatland schaut. Erst einige hundert Meter später verflacht die Hecke und wir erhaschen einen Blick auf den See. Auf der gegenüberliegenden Seite sieht man ein paar nobel wirkende Häuser stehen. Den See selbst säumen hier allerorts besagte Verbotsschilder.
Die Straße endet auf einem Caravan-Campingplatz. Der ausgewiesene Wanderweg führt mitten hindurch. Erst am Ende der Seespitze wird es ein bisschen idyllischer. Ein altes Handwerk- und Technikmuseum lädt zum Besuchen ein. Leider nicht heute.
Wir überqueren die Straße. Hier windet sich eine Zufahrt hinauf zu einem Feuerwehrtagungshotel. Vor der Tür stehen rote Einsatzfahrzeuge aus allen schwäbischen Regionen. Fahnen wehen im auffrischenden Wind.


Dann führt der Wanderweg steil nach oben über eine Weide und in den Wald. Ruhe kehrt ein. Der Wald rauscht, von Fern hört man das schwerfällige Brummen der LKWs, die sich auf der gegenüberliegenden Seeseite den Berg hochkämpfen. Der Wald ist dunkel, fast schwarz. Die Wege gut begehbar. Nur selten sieht man im Unterholz eine bunte Tüte mit Hundekot aufleuchten. Wanderer sieht dagegen selten. Die wenigen, die uns begegnen, werden von uns freundlich gegrüßt. Antwort bekommen wir nur von einer Gruppe Franzosen, die durch den Wald schnattern. Der Funktionswäsche tragenden heimische Extremhiker mit zwei Wanderstöcken und kampfschmerzverzogenem Unterkiefer vermeidet Gruß- und Blickkontakt. Und ich dachte immer, der Berliner wäre der Stiesel Deutschlands.
Ein einsamer Fotograf grüßt dann doch aus dem Unterholz, der gerade damit beschäftigt ist eine Sumpfdotterblume abzulichten, die er inflagranti dabei erwischt hat, schön und bewegungslos und leuchtend Gelb im Schwarzwald herumzustehen und für Farbe zu sorgen.
Wieder im Ort angekommen, entscheiden wir uns für ein deftiges Mittagsmahl in er Gaststätte, die mit schwäbischer, griechischer und italienischer Küche wirbt. Und mit Schnitzeln aller Art. Der Kellner ist lässig, fast gelangweilt, aber aufmerksam. Wir wählen exotische Schnitzelkreationen: Schnitzel Tessin und Schnitzel Hawaii. Mein Schnitzel Tessiner Art ist mit Schinken überbacken und von Champignons verziert. Sein geschmacklicher Hauptbestandteil ist der Inhalt einer Salztüte. Vielleicht war das Fleisch ja nicht mehr so frisch.

Auch hier ist das Publikum so international, wie die Küche. Vier französische Schüler bestellen am Tresen eine - in Worten: eine - Pizza zum Mitnehmen. Der Chefstratege des Quartetts nimmt sich dann den Gewürzständer vom Bord, bekippt die frisch gebackene Kreation mit den Zutaten, derer er habhaft werden kann und macht daraus eine Pizza mit Allem.
Hinter uns sitzt eine Großfamilie. Das kleinste Kind im Kreis ist etwa zwei Jahre alt. Eigentlich ideales Restaurantquietschealter. Aber da sich alle abwechselnd um das Kleine bemühen und es bespaßen, hat der Bub keine Chance unleidlich zu werden. Er wird irgendwann nur müde und schläft im mitgebrachten Kinderwagen ein.
Am anderen Ende des Gastraumes schnattern die Franzosen, denen wir beim Wandern begegnet sind. Eine Kleinstfamilie mit Sohn und britischem Akzent fotografiert ihr Essen. Die Frau hört ihrem Mann aufmerksam beim Reden zu und beißt sich dabei auf die konzentriert heraushängende Zunge.
Ich brauche noch was zu trinken, um den Salzgehalt in meinem Körper zu verdünnen, und beschließe den Laden zu verlassen, damit ich die Wasserflasche aus meinem Rucksack austrinken kann. Weder Kuckucksuhrenausstellung noch Schwarzwälderkirschangebote können uns davon überzeugen, länger am Titisee zu weilen. Mit überhöhter Geschwindigkeit verlassen wir den Ort.
So ganz ungefährlich ist es am Titisee ja auch sonst nicht, wie ein Blick in die Badischen Zeitung aus dem Jahr 2014 eröffnet:
“Wie erst jetzt bekannt wurde lieferten sich vier Frauen am Freitagnachmittag
in Titisee eine veritable Schlägerei. Gegen 15 Uhr betraten sie die hiesige
"Hochschwarzwälder-Tafel". Nach einem anfänglichen Disput verbaler Art -
die Beteiligten beleidigten einander übelst -
traf man sich am Ausgang des Gebäudes wieder.
Dort wurde einer älteren Dame zunächst absichtlich ein Fußtritt in den
Fersenbereich versetzt. Deshalb entbrannten neue Verbalentgleisungen
mit beleidigendem Inhalt. Schließlich beschuldigen sich zwei Kontrahentinnen,
die jeweilige Gegnerin sei an den Haaren zu Boden gezogen worden.
Am Boden jedenfalls wurde eine Dame mit einem Schuh am Kopf attackiert,
ihre Gegnerin im Gesicht gekratzt. Die ältere Dame, welche zuvor den Fußtritt verabreicht bekam,
half ihrer Begleiterin, vermutlich in Nothilfe, indem sie der Schuh-Schlägerin
mit der Krücke auf den Rücken schlug.
Weitere Ermittlungen müssen Klarheit in die gegenseitigen Beschuldigungen bringen. Zwei Damen wurden leicht verletzt und nach erfolgter Behandlung ärztlicherseits entlassen.”
Wanderer, der Du den Titisee besuchst: nehme dich in Acht!
Klosterführung mit Selbstbeweihräucherung
12. April 2018


Weithin sichtbar ist das Benediktinerkloster St.Peter, mit seinen beiden Türmen, wenn man von den Höhen über dem Dreisamtal hinabschaut. Hier haben sich vor über 1000 Jahre die ersten Mönche eingefunden und dieses Kloster erschaffen. Zumindest die Version 1.0. Genau wie die folgenden beiden Versionen sind die Klöster vollständig abgebrannt. Erst die vierte Bauphase, die nun im ausschmückenden Barock erfolgte - und vielleicht die deutliche Ermahnung nicht so leichtsinnig mit offenem Feuer umzugehen - sorgte dafür, dass der Klosterbau bis in die Gegenwart erhalten blieb. Betrachten kann man sich das Kloster ebenfalls in vier Versionen.
Version 1: Kurz und nur die Kirche, doch das ist für jeden vorbeikommenden Gast möglich. Dabei gelangt man in die Gemeindekirche, der Teil des Kirchenbaus, der dem einfachen Sonntagsgottesdienstvolk vorbehalten ist. Hier sieht man bereits, dass der Bau nach ganz anderen Vorgaben geschaffen wurde, als für ein einfaches Gebetsgebäude gilt. Der Barockbaumeister Peter Thumb orientierte sich bei seinem ersten großen Auftragswerk an der Ästhetik des Schlossbauweise. Großzügig, prunkvoll, hell sollte es sein. Die Auftraggeber versuchten trotzdem zu sparen, wo sie konnten. Deshalb ließen sie hervorragende, aber namenlose Handwerker und Baumeister aus der Region ans Werk. Die Förderung des Nachwuchses ließ die jungen Baumeister, Maler, Holzfachwerker, Stuckprofis und Glaser über sich hinauswachsen. Einige erwarben sich an diesem Kloster einen Ruf, der sich in Folgeaufträgen schließlich auch in der Entlohnung bemerkbar machte. Hell ist der Inneraum. Weiß und Golden glänzen die Wände und Bilderrahmen. Die Fenster sind hoch und lassen viel Licht herein. Zusätzlich hat man in der Neuzeit auf den Galerien indirekte Lichter integriert, die jetzt wie eine Erleuchtung von den hellen Decken reflektieren.
Die zweite Möglichkeit, sich das Kloster ein bisschen intensiver anzuschauen, besteht in einer Führung durch die Innenräume, dem Chor der Kirche, der barocken Bibliothek, dem Kreuzgang und dem Fürstensaal. Eine Möglichkeit, die wir nutzen.


Dienstag gegen 11:00 Uhr trifft sich eine kleine Gruppe Besucher vor dem Eingang der Kirche. Es sind insgesamt knapp zwanzig Leute, die sich neugierig versammeln. Zwei Japaner mit besten Deutschkenntnissen und einige Leute im Rentenalter. Meine Herzdame und ich drücken den Altersdurchschnitt etwas nach unten, wenn auch nicht mehr so drastisch.
Unser Führer ist Kastellan, also eine Art Aufsichtsbeamter mit erklärender Wirkung. Der winkt uns zunächst in die Gemeindekirche, erzählt uns etwas über die Statuen der Heiligen, die Geschichte des Klosters und den Bezug zum Alltag der Besucher, den das Gotteshaus haben wollte. In einer ländlichen Region mit zahlreichen Bergbauernhöfen spielte die Fruchtbarkeit eine große Rolle. Deshalb hatte man sich in der Ausgestaltung der Kirche auch an vielen Stellen mit Heiligen beschäftigt, die sich in der Landwirtschaft auskennen. Einen Anton mit einem Schwein unterm Gewand zeigt man uns, den sogenannten Sautoni.
An der stattlichen Orgel ist eine große Uhr angebracht. Laut Kastellan sollte sie den Predigt haltenden Gottesdienstler dazu anhalten, nicht den ganzen Tag zu faseln.
Aus der Gemeindekirche gelangen wir durch eine große Holztür in den Teil der Kirche, der den hauptamtlichen Klosterbewohnern zugedacht ist, dem Altarraum mit Chorgestühl. Die Holzstühle, auf denen die Mönche mehrere Stunden am Tag ihre Gebete verrichteten, sind hart und kalt. Damals war echte Demut angesagt. Hier saß wohl keiner von der scheinheiligen Fraktion, die mit der S-Klasse zur Pilgerkirche fährt. Das interessanteste Element dieses Kirchenbereiches ist ein großes Altarbild, das die österliche Bibelszene der Auferstehung Christi zeigt. Das Gemälde ist in einem großen, goldenen Rahmen eingefasst und wirkt sehr plastisch in seiner Gestaltung. Wie uns der Kastellan erklärt, befinden sich sechs weitere Szenen des Kirchenjahres hinter dem Gemälde. Es ist ein Wechselrahmen und die Gemälde können Theaterprospekten gleich jederzeit gewechselt werden. Man hat über das Jahr also reichlich Abwechslung beim Betrachten des Altars.

Der Kirchenführer erzählt allerhand über das Geschlecht der Zähringer, die hier lange Jahre das Sagen hatten und unter der Hauptkirche begraben lagen, bis man vor einigen Jahren die Gebeine der Klostergründer in eine Grablegung neben den Hauptaltar einmauerte. Diese kann ich von meinem kalten Chorgestühl erkennen. Doch ansehen darf ich sie mir nicht genauer, da uns der Reiseleiter hurtig in die weiteren Räumlichkeiten des Klosters scheucht, nicht ohne zu betonen, dass das Fotografieren strikt verboten ist.
Vom Kreuzgang aus kann man den Garten betrachten. Die Wände und Stützpfeiler sind mit Porträts einzelner Geistlicher der badischen Geschichte behängt. Bevor ich auch nur dazu komme, mir einen der Namen durchzulesen, höre ich schon den Kirchenonkel rufen: “Kommen Sie dann? Nicht, dass Sie verloren gehen?” Vermutlich geht es auf Mittag zu. Da möchte man die Führung pünktlich zu Ende bringen.”

Wir versammeln uns im schönsten Teil des Klosters, der Bibliothek. Schon beim Betreten des prunkvollen Saals der badischen Bildungsangeber drängt sich mir der unverwechselbare, wunderbare Duft alter Bücher auf, der Geruch von intelligentem Staub. Dieser Raum ist wirklich überwältigend, aber auch unverkennbar von gebildeter Eitelkeit durchzogen. Weiß getünchte Wände umgeben den Raum, in die Wand eingelassene Regale beherbergen Bücher aus unterschiedlichen Epochen. Vor den Regalen liegen viele alte Bücher auf dem Boden gestapelt. Der Nachbarsaal war gerade von einem Wasserrohrbruch betroffen. Alle Bücher mussten gerettet und in der Eile hier gestapelt werden. Der Redner entschuldigt sich für die in Schwaben untypische Unordnung. Mir gefällt es. Es sieht aus, als würde hier Wissen nicht verwaltet, sondern studiert werden. Doch der Eindruck trügt. Intensives Betrachten ist nicht erwünscht. Wir dürfen uns an den Rand setzen und staunen, während der Reiseprediger eine Räuberpistole nach der nächsten aus dem Hut zaubert und uns bittet nichts anzufassen. Nach ein paar einleitenden Worten über die Bibliothek, den Buchbestand und die Plünderung nach der Säkularisierung um 1806, in deren Verlauf alle 28000 Bücher unter zum Teil unglaublich respektlosen Bedingungen abhandenkamen und erst im Verlauf von Jahrzehnten wieder weitgehend zusammengesammelt wurden, verweist er auf einen großen Globus. Er erzählt, wie die Mönche zum Studium der Geografie und der Astronomie, der Mathematik und der Naturphilosophie angehalten wurden, das Wissen zu Mehren und sich nicht nur auf die reine Theologie zu stützen. Grund war nicht die neue Offenheit der Kirche, sondern das Gebot der österreichischen Kaiserin, in der Kirche wissenschaftliche Studien zu betreiben, da diese sonst kurzerhand konfisziert und zum Abbruch freigegeben werden würden. Unser Beitragslieferant behauptet in diesem Zusammenhang, dass die Idee, Kirchen zum Hort der Wissenschaft zu machen hier seinen Anfang nahm. Klöster haben schon viele Jahrhunderte mit naturwissenschaftlichen Ideen geliebäugelt, im naturmedizinischen Bereich geforscht, die Sterne beobachtet und das nahe Freiburg besaß mit Erasmus von Rotterdam sogar einige Jahre einen recht bedeutenden Gelehrten in unmittelbarer Nachbarschaft. Das erwähnt er aber nicht. Auch wird nichts über die Schendelsche Weltchronik von 1493 erwähnt, lange vor Maria Theresias Befehl, denn hier geht es um das Verdienst des Klosters St.Peter.
Der Redner weist auf eine Uhr am oberen Ende des Saals, erzählt von der Kuckucksuhrenproduktion im Schwarzwald und davon, dass: »Wie wir ja alle wissen, in Furtwangen, gleich in der Nähe das Uhrenmuseum steht. Schließlich geht die Entwicklung der Uhr vom Schwarzwald aus. Besonders die Mönche des Klosters und die Handwerker im umliegenden Gebirge haben sich dabei hervorgetan,« verkündet er voller Stolz. Tatsächlich war die Uhrenproduktion Anfang des 19. Jahrhunderts recht bedeutend im Schwarzwald. Das Handwerk hatte man hier perfektioniert. Aber erfunden haben sie es nicht. Wie viele bedeutende Erfindungen in der Geschichte, ist auch die Uhr ein Ergebnis der technischen Evolution, also der allmählichen Entwicklung technischer Errungenschaften im Zusammenhang mit zeitlich voranschreitendem kollektiv erworbenen Wissen.
Die letzte Hommage an die Adresse hemmungsloser Selbstbeweihräucherung liefert uns der Orts-Münchhausen, als er eine Zeichnung eines Bienenstockes zeigt, mit der Erklärung, dass die Mönche von St.Peter die ersten waren, die Bienen in Häusern wohnen ließen, um so besser und gesünder an den Honig zu kommen. Da gehen ein bisschen die Insekten mit unserem Reiseleiter durch. Es ist richtig, dass Maria Theresia, die Herrin über Österreich und damit auch über das Badische Land zu jener Zeit, in Wien die erste Imkerschule gründete und die Imkerei grundlegend revolutionierte. Der Beruf des Zeidlers war aber schon lange anerkannt und viele Klöster besaßen bereits früher Bienenstöcke. In Norddeutschland wurden Bienen bereits seit langer Zeit in Körben gehalten. Auf die Idee, nicht in regelmäßigen Abständen auf Bäume zu klettern und sich beim Griff ins Nest Hände, Gesicht und Hintern zerstechen zu lassen, kamen also schon vor den Mönchen von St.Peter viele findige Köpfe. Aber wenn man vor Stolz über sein regionales Geschichtswissen fast platzt, kann man schon mal die Fakten ein bisschen anpassen. Während also der kirchliche Geschichtsdozent so am Salbadern ist, beginnt plötzlich eine putzige Popmusikweise laut zu dudeln. Verstört guckt die ganze Gemeinde in Richtung der Handtasche, aus der das Geräusch hervorquillt. Die Handtaschenbesitzerin schaut abwesend im Bibliotheksrund herum, bis ihr aufgeht, dass sie gerade der störende Faktor ist. Sie öffnet ihre Handtasche und guckt suchend herein. Ihre Nachbarin und Freundin blickt ebenfalls in die geräumige Handtasche. Dann beginnen sie kollektiv vierhändig im Innern zu kramen. Das Telefon verstärkt darauf hin sein Geschrei. Jetzt stecken beide Köpfe in der Tasche. Erst nach langem Kramen zerrt die Besitzerin ein Taschentelefon an die Luft und versucht, es umständlich zum Schweigen zu bringen. Das Einzige, was sie bis zu diesem Zeitpunkt zum Schweigen bringt, ist den Führer, der daraufhin auch keine Lust mehr zu weiteren Ausführungen hat. Der zeigt uns noch schnell eine mehrsprachige Bibel und schickt uns dann wieder auf den Flur. Das Letzte, was er uns heute noch zeigen will, ist der Fürstensaal. Der ist groß und leer. Ein Klavier steht am Ende des Raumes und der Schwingfußboden, der eine besondere Akustik erzeugt, knirscht unter unseren Füßen. Auch hier hat unser Wegweiser noch allerhand kleine Erläuterungen auf Lager, aber sehr überzeugend wirkt er nun nicht mehr. Bevor wir uns das Deckengemälde etwas intensiver anschauen können, das über unseren Köpfen hängt, bedankt er sich für die Aufmerksamkeit und wirft uns freundlich raus. Was nützt die beste erläuternde Führung, wenn einem keine Zeit zur Betrachtung gelassen wird. Das Geschichts- und Geschichtenintensive Hörspiel dauerte etwa eine knappe Stunde. Dann lockten den Veranstalter die heimischen Spätzle fort.
Ich sprach noch von zwei weiteren Möglichkeiten, sich die Innenräume intensiver zu betrachten. Das Geistliche Zentrum, das das Kloster St.Peter beherbergt, bietet ein paar Kurse und Exerzitien an. Man kann sich innerhalb der Räumlichkeiten spirituell auf das Paarsein einstimmen. Geistige und körperliche Präsenz sollen gefördert werden. Man kann auch eine “Kreative Auszeit” buchen. Das muss ein gut besuchter Kurs sein, da ich immer wieder aktive Künstler erlebe, deren Erfolg offensichtlich auf einer komplexen lang anhaltenden kreativen Auszeit basiert. Auch mehrtägiges Schweigen wird angeboten. Die Kosten dafür kann man gern vor Ort erfragen. Das mag nicht jedermanns Sache sein, aber wenigstens hat man dann genügend Zeit, sich die Bilder genauer anzuschauen und mit etwas Glück heimlich in die Bibliothek zu pirschen.
Die vierte Variante für die Chance auf intensive Innenraumbetrachtungen, wäre die Stelle des Kastellans zu übernehmen. Umfangreiche Kenntnisse in übertreibender Ausschmückung sowie eine leichte Neigung zur Geschichtsverzerrung sind dringend geboten.
Glückseligkeit in Freiburg
13. April 2018
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Im Schwarzwald ticken die Uhren auch nicht anders, als in Berlin. Ihr Gong klingt nur schöner. Statt einem preußischen Blechscheppern, sind es hier die Kuckuckse, die aus den Uhrenhöhlen tönen. Das klingt so lieb wie die Sprache der Badener Leute. Und die sollte man nicht mit dem Schwäbisch der Württemberger verwechseln. Der Badener Sprachschatz fußt auf dem Alemannischen. Der Südwestdeutsche Raum, der Elsass und einige Gebiete der Nordschweiz sind sprachgeschichtlich wesensverwandt. Auch das Schwäbische gehört dazu, doch die Badener geben sich gern etwas abgegrenzt gegenüber ihren Nachbarn im Ländle.
Der aktuelle deutsche Zufriedenheitsatlas – auch als Glücksatlas der Deutschen Post bekannt – behauptet, dass die Badener nach den Leuten in Schleswig-Holstein die glücklichsten Deutschen sind. Wie so oft, ist der Mensch nicht immer besonders gut in der Lage, Glück auch deutlich zum Ausdruck zu bringen, geschweige denn, andere daran teilhaben zu lassen. In Freiburg behalten sie diese innere Glückseligkeit jedenfalls hervorragend für sich.
Es ist Montagmorgen. Der Kühlschrank in unserem Ferienhaus sieht recht leer aus. Frische Brötchen fehlen ebenso, wie brauchbarer Belag. Warum nicht irgendwo nett frühstücken, schlage ich vor. Freiburg böte sich an. Das ist nicht besonders weit weg und ist immerhin eine Universitäts- und Studentenstadt. Da wird sicher oft genug vormittags manch junger Mensch die Wahl zwischen Vorlesung und Frühstück zu Gunsten eines vollen Magens ausfallen lassen. Und wo ein Bedürfnis herrscht, wächst auch schnell ein Geschäft.

Wir schlendern also am Münster der Stadt vorbei. Auf dem Platz vor der großen Kirche ist Wochenmarkt mit allerhand regionalen Angeboten. Doch eigentlich wollen wir nur Kaffee, Brötchen und ein hart gekochtes Ei.
“Restaurant & Café - Zum Bunten Onkel” lese ich über einer offenen Tür. Klingt erstmal gut. Ich trete in ein noch etwas schummriges und weitgehend leeres Ambiente. Ein recht stabiler junger Mann deckt einen Tisch. “Guten Morgen”, sage ich. “Kriegt man bei Ihnen ein Frühstück?” Er mustert mich kurz und antwortet: “Nur Kuchen!”. “Schade” entgegne ich bedauernd. “Können Sie mir sagen, wo man hier am Platz vernünftig frühstücken kann?” Er richtet sich auf und lächelt, bevor er antwortet: “Ihnen auch noch einen schönen Tag”.
Ich nicke kurz verstehend. “Oh, danke vielmals” reagiere ich. “Und schönen Dank auch für die freundliche Auskunft!”
“Gerne”.
Ich verlasse den Laden und denke mir: “In Punkto Kaltschnäuzigkeit kann der Berliner aber noch eine Menge vom Freiburger lernen. Darin sind wir in der Hauptstadt zwar ziemliche Meister. Nur die verlogene Freundlichkeit kriegen wir nicht so hin.”
Etwas beleidigt lasse ich den Bunten Onkel hinter mir und umkreise das riesige, gerade mit Gerüsten versehene Münster. Auf der gegenüber liegenden Seite des Platzes geben sich mehrere Läden mit davor aufgestellten Tischen und Stühlen zu erkennen. Vor einer Tür steht: “Frühstück bis 12 Uhr.” Geht doch.
Die Kellnerin des Bistros stirbt zwar auch nicht vor Zuvorkommenheit, aber ich merke schnell, dass sie eher auf Grund ihrer mäßigen Sprachkenntnisse etwas unsicher ist, was in jedem Fall verzeihbarer scheint, als die verlogene Arroganz des Bunten Onkels. Sie serviert, was wir von der Karte vorlesen und das auch nicht erst zum Mittag.
Das eben noch fast leere Bistro füllt sich schnell. Touristen, Einheimische, Geschäftsleute platzieren sich hier nebeneinander. Ein Rentner mit roter Baskenmütze betritt den Raum, nimmt sich eine Zeitung vom Tresen und setzt sich an den Nachbartisch. Kaum hat er Platz genommen, bekommt er wortlos ein Espresso und ein Glas Wasser gereicht. Ruhig beginnt er das Kreuzworträtsel zu lösen. Hinter mir diskutiert ein Pärchen mit Kleinkind. Die Unterhaltung geht mich nichts an, trotzdem höre ich immer wieder die Frage: “Hescht de da jämanden zum Putze”. Ja, der Schwabe/Badener und die Kehrwoche, ein Thema, das überregional immer wieder für gute Laune sorgt. Gründlich sind sie. Zumindest bis vor die Haustür. Wenn sie nicht so verflucht teuer wären, würde ich mir jederzeit eine schwäbische Putzkraft suchen. Allerdings bekäme man dann im eigenen Haus die Hausschuhe in sterilen Plastetüten serviert.
Die gemütliche Frühstücksszenerie wird nur kurz von einem Mann gestört, der mit einem Teleskop, an dessen Ende sich ein Messgerät befindet, sämtliche Feuermelder im Bistro durchmisst. Wir rücken beiseite, frühstücken ruhig weiter.

Nach dem reichhaltigen Frühstück schleppen wir uns etwas matt durch die Fußgängerzone. Die unterscheidet sich nun nicht sonderlich deutlich von jeder anderen westdeutschen Einkaufsmeile. Die ewig gleichen Discounter, Technikanbieter, Kaufhäuser und Fastfoodkonzerne stehen friedlich nebeneinander. Auf einem Platz sitzen mehrere ältere Touristinnen mit gleichfarbigen Strickjacken in Magenta und lassen sich Wissenswertes über den Ort erzählen. Gleich daneben, auf Bänken, die um einen Brunnen angeordnet sind, pausieren Arbeiter in einheitlichem Engelbert-Strauß Uniformen. Passanten wechseln die Straße, verschwinden in Kaufhauspassagen und anhaltenden Straßenbahnen. Bis auf ein paar schnatternde Touristen, die Lachen können, sind die Gesichter auf den Straßen eher ernst bis missmutig. Dabei beginnt gerade der Frühling. Irgendwie traue ich dem Zufriedenheitsatlas nicht über den Weg.
Um uns nicht anzustecken, suchen wir uns im Untergrund der Stadt unser parkendes Auto und versuchen es wieder in der freien Natur des landschaftlich zumindest reizvollen Schwarzwaldes. Doch der chaotisch geregelte Verkehr Freiburgs entlässt uns nicht so schnell in die Freiheit. An einer Ampelkreuzung stehen wir eine Weile im Stau. Direkt an der Straße befindet sich ein medizinisches Fachgeschäft mit den Namen “Pinoccio-Apotheke”. Da es auf der Straße nicht weitergeht, bleibt mir Zeit zu überlegen, wie sich in dieser Apotheke wohl das Verkaufsgespräch anhört:
“Helfen ihre Medikamente dann auch wirklich?”
“Selbstverständlich! Alle! Gegen Alles! Immer! Sofort!”
“Fantastisch. Aber hören Sie bitte sofort auf, mit ihrer Nase in mein Auge zu pieken!”
»Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie dieser Dialog auf Badisch klingt«, sage ich und kann endlich Gas geben.
Von Wasser-, Nies- und anderen Anfällen
14. April 2018
Die detaillierte Wanderkarte des Südschwarzwaldes, schlägt mir einen anspruchsvollen Weg zu zwei versteckten Wasserfällen in einem Urwald vor. Der Bannwald, durch den ein gewundener Wanderweg führen soll, ist ein Bereich des Forstes, der sich durch Nichtbewirtschaftung zu einem ursprünglichen Waldgebiet zurückentwickeln soll.
Zunächst führt der Wanderweg aber über einen gemäßigten Anstieg auf einen Höhenzug mit wunderbarer Rundumaussicht. Am Kapfenberg versteckt sich eine kleine Kapelle hinter einer willkommenen Rastbank. Der Blick gleitet unverstellt über eine Weide zum immer noch verschneiten Feldberg. Rechts vom Feldberg erkennt man den Aussichtsturm "SchauinsLand", ein Turm auf dem Hausberg von Freiburg, den man mit einer Seilbahn aus dem Jahr 1930 erreichen kann, wenn man nicht gewillt ist, auf knapp 1250 Meter Höhe hinauf zu wandern. Bewegt man den Blick noch weiter nach Westen, so kann man über die Rheinebene hinweg bis auf die Weinberge des Elsass schauen und auf die sich darüber erhebenden Berge der Vogesen, die ebenfalls noch Schneemützen tragen. Ein Milan kreist über dem Acker. Der Acker riecht frisch gedüngt. April, der Monat, in dem die Gülle an die frische Luft kommt.

Die kleine Kapelle, vor der ich sitze, wurde 1850 errichtet. Aus Dankbarkeit von einem Joseph Hummel, der drei Mal vom Schlaganfall heimgesucht wurde und den Wunsch äußerte, doch noch einmal ohne Krücken an seinen Lieblingsaussichtspunkt zu gelangen. Als ihm das tatsächlich glückte, ließ er vor Freude diese kleine Kapelle errichten. Es stehen noch einige solcher Dankbarkeitskapellen im Hochschwarzwald. Die Vogesenblickkapelle einige Kilometer nördlich zum Beispiel. Hier geht die Geschichte, dass ein junger Mann von einem nahen Hof in den Ersten Weltkrieg zog und sich in den Vogesen in einem Schützengraben verschanzte. Von seinem Kriegsschauplatz aus konnte er bei klarem Wetter die Höfe im gegenüberliegenden Schwarzwald erkennen und mit dem Fernglas sogar die Höhe in der Nähe seines Heimathofes. Wenn die Sonne in den Schwarzwald schien, spiegelten sich vereinzelt friedlich die Fenster der Häuser im deutschen Schwarzwald, während er in zerrissenen Erde des Nachbarlandes auf die nächsten Einschüsse wartete. Mit dem Heimatland vor Augen und der Gewissheit des nahen Todes, schwor der junge Mann, dass er, sollte er den Krieg überleben und wieder heimkehren, an dieser Höhe eine Kapelle errichten würde. Er gehörte zu den wenigen jungen Männern, die aus den Grabenkämpfen unverletzt zurückkehrten und sein Versprechen wahr machen konnte.

Man muss sich mit einer kleinen Anstrengung von dieser schönen Aussicht am Kapfenberg lösen, um sein Wanderziel wieder in den Fokus zu rücken. Einige hundert Meter geht es durch aufgeräumten Forst und an Feldrainen vorbei, begleitet von Drosselgeträller, Falkengeschrei und Amselgezwitscher. Dann weist ein Wegweiser den Wanderer auf einen schmalen Pfad in den Wald hinein. Zum Zweribachbachwasserfall geht es zunächst steil bergab. Der Weg ist schmal, sehr schmal und rutschig. Trockenes Buchenlaub liegt am Boden und man hat den Eindruck auf übereinandergelegten Seidentüchern zu schreiten.

Die Abhänge neben dem Weg fallen jäh ab. Die Vorstellung abzurutschen, ist alles andere als angenehm. Der Kobolz, den man schösse, würde nicht so bald enden. Gefallene Bäume, die man überklettern muss, liegen über dem Wanderweg, manchmal wird der Weg auch von einem rutschigen Felsen durchbrochen. Dann sind Klettergeschick und Gleichgewichtssinn gleichermaßen gefragt.Wir kommen nur langsam voran, doch das Rauschen des Wasserfalles dringt durch den Wald und kommt deutlich näher. Schließlich mündet der Weg an einer Eisenbrücke. Der Wasserfall stürzt sich vor uns in die Tiefe, unter uns hindurch und dann weiter hinab ins Tal. Die Luft ist feucht und es spritzt in alle Richtungen. Vierzig Meter fällt das Wasser hier herab. Laut rauscht der Zweribachfall durch den Wald. Ein imposantes Schauspiel, jetzt im Frühjahr, wo die Wassermaßen so gewaltig sind.


Im Winter lockt dieser Wasserfall in besonders kalten Jahren allerhand Eiswasserfallkletterer an, eine Sportart, der ich so gar nichts abgewinnen kann. Weiter durch den Wald gelangt man über einen steil aufwärts führenden Pfad zu den ebenfalls imposanten Hirschbachwasserfällen. Für ein kurzes Stück, wird aus dem Wanderweg ein Kletterstieg, dann geht es gemäßigt bergauf, bis wir schließlich das Gebiet des Urwaldes verlassen und wieder auf Forstwegen unterwegs sind.
Meine Wanderkarte bietet nun einige Alternativen. Wir wollen bis nach St. Märgen. Ich will gerade die Karte wieder zu klappen, als mein Blick entsetzt auf der Bezeichnung eines Hofes in der Nähe des Kandelberges fällt. Dort befindet sich laut Karte der Nazihof und daneben ein Haltepunkt namens Nazihäusle. Meine späteren Erkundigungen ergeben, dass hier nicht der Volkssturm sein Ferienlager hat, sondern, dass der Begriff Nazi im Alemannischen, die "Verniedlichung" des Namens Ignatz ist. Ignatz’ Hof wurde vor über hundert Jahren in Nazihof umgangsversprachlicht. "Das weiß man doch in der Gegend, dass das altalemanische Ausdrucksweise ist", lese ich auf einer Website die Aussage eines örtlichen Sprachexperten. Nun frage ich mich, wie viele Leute heute des Alemannischen mächtig sind. Touristen, die hier entlang kommen sind das sicher nicht. Es ist seltsam, mit welcher Selbstverständlichkeit hier an einer Bezeichnung festgehalten wird, die nun wirklich deutlich gesellschaftlich geächtet ist. Und das in einer Zeit, wo anderenorts so sehr auf politisch korrekte Namensgebung wert gelegt wird. In Berlin wird gerade darüber diskutiert, ob die Nachtigalstraße im Wedding weiter so heißen darf. Benannt wurde sie einst nach einem Afrikaforscher, der später für die Kolonialverwaltung tätig war. Wie auch immer er geschichtlich einzuordnen ist, die wenigsten Straßenanwohner im Viertel kennen die Herkunft des Namens. Man könnte die Straße umwidmen und nach dem sattsam bekannten Vogel benennen. Man kann aber auch politisch korrekt einen anderen Namen suchen. Da finden sich sicher lang anhaltende kostenintensive Streitpunkte, bei denen man sich gegenseitig wahlweise auf den Schlips oder ein anderes Kleidungstück seiner Wahl tritt. Das ist Grundlage einer empörten Diskussion: Irgendjemand ist am Ende immer beleidigt. Währenddessen hält hier im Südschwarzwald der Bus regelmäßig am Haltepunkt Nazihäusle. Manch Reisender wundert sich und pubertierende Schüler lachen sich unter Zuhilfenahme politisch unkorrekter Witze scheckig und vielleicht auch ein bisschen braun.

St.Märgen taucht hinter einem kleinen Hügel auf. Auf einem Sportplatz trainieren jene oder ähnliche pubertierende Schüler albern gackernd Torschüsse aus drei Metern Entfernung. Jeder Zweite trifft. Ein Paar mit einem Hund, der heute aus der Mode gekommenen Sorte Spitz, putzt die Wanderschuhe an einem elektrisch betriebenen Putzautomaten ab. Der Hund wartet geduldig, bis er dran ist.
Ein kleiner Hunger macht sich bemerkbar. St.Märgen besitzt ein paar Restaurants und Gasthöfe. Aber nirgends befindet sich jemand am Tisch. Es ist kurz nach der Mittagszeit, die meisten Läden sind entweder in der Pause. Vielleicht ist heute auch margentafarbener Mittwoch und es wird nicht gekocht.
Ein Landcafé hat offen. Vielleicht tut es in der herrschenden Not auch ein Kuchen? Wir treten ein und werden von einem Schild überrascht, das uns für Kartoffelsuppe erwärmen will.
“Wir nehmen dann zweimal Kartoffelsuppe”.
“Die ist heute mit Kürbis”.
“Dann zweimal Kürbiskartoffelsuppe”.
“Gehen sie schon mal rein. Heut gibts sogar Kultur.”
Wir betreten den hellen Raum. Ein Panoramafenster mit Balkon wirbt für einen Blick ins Tal. Aber der Wind ist dort etwas frisch. Wir nehmen an eine Wand Platz, die mit Malereien behängt ist. Vor dem Panoramafenster sitzt ein Ortsmusiker mit seinem Akkordeon, der Volksweisen aus der Region singt. Das tut er mit der Gelassenheit eines Handwerkers, der weiß, dass er auf jeden Fall bezahlt wird.
Er versucht es mit dem Klassiker: “Das Städtchen Kufstein”. Ein älteres Damenduo schunkelt mit.
Ich schaufele abwesend meine Suppe in mich hinein und betrachte mir das Bild, das neben unserem Tisch hängt und von einem Insassen des Ortes hergestellt wurde. Ein paar graue Flecken und etwas wage bräunlich Schimmerndes auf weißem Hintergrund ist dargestellt. Es sieht so aus, als hätte jemand mit einem großen Stück Schwarzwälder Kirschtorte im Mund eine heftige Niesattacke gehabt. “Tanz des Lebens” heißt das Ergebnis und ist für 800 Euro zu haben.
Ein weiteres Lied stimmt der Schunkelbarde nun an und es wird von vier Personen mitgesungen. Es muss sich dabei um einen Gemeindehit handeln, denn die Fangruppe, die mittlerweile auf vier Personen angeschwollen ist, singt mit:
“Schenk Deiner Frau, einen Strauß Rosen.
So ab und zu.
Sie wirds verstehen.
Du wirst schon sehn.
Wenn du heimkommst, von der Arbeit
Ist sie schon da
Und fragt dich wie’s dir geht.
Sobald, das Essen auf dem Tisch steht.
Schenk Deiner Frau …”
Die Miene des längst berenteten Musikers bleibt ausdruckslos bis starr, der Rhythmus gerade so im Gleichtakt, dass man seine Spielweise zwar als flüssig, wenn auch als zähflüssig betrachten kann. Der Gesang bleibt lustlos.
Das Paar am Nachbartisch moderiert versonnen: “Nu sache noch eina, desch Volkschmusik net schön ischt.”
Wir haben schnell aufgegessen, bedanken uns auf die Frage “War’s Recht” mit einem “War lecker und nett” bei der Wirtin der Schrammelbar und machen uns schleunigst wieder auf den Weg. Das letzte Lied weht noch lange im Gehörgang nach.