"Leider spreche ich überhaupt keine Sprache."
------------Didi Senft (Tourteufel) über Verständigung im Ausland
Im Ascotal
Ein herausstechendes Merkmal der Korsen ist ihr kreativer Umgang mit der Schrotflinte. Geschickt durchlöchern sie auf den zweisprachig angelegten Straßen- und Wegweiseschildern den Teil, der französisch ist. Das wäre zu verschmerzen, wenn unser Straßenatlas die Ortsnamen ebenfalls zweisprachig abbilden würde. Tut er aber nicht. Die Karte ist französisch, die Straßenschilder nach der Behandlung ortsansässiger Separatisten nur noch korsisch. Unser Weg zur wunderschönen Asco-Schlucht ist also etwas mühselig, da wir uns ohne Navi fortbewegen und auf eine Karte angewiesen sind, die in dieser Gegend offensichtlich wenig Bedeutung besitzt. Dessen ungeachtet erreichen wir doch noch den Einstieg in das Tal. Wir fahren eine geschwungene Straße entlang, schmal und nur von Felsen und Abgründen begrenzt. In überschaubaren Abständen greifen Ausbuchtungen in den Fels. Nur hier kann man Ausweichen, wenn jemand entgegenkommt. Aber im Moment ist das Tal recht spärlich besucht. Die Straße steigt leicht an, die Landschaft ist karg, steinig und nur von ein paar zähen Buschgewächsen bewohnt. Der Fluss Asco begleitet uns rauschend. Manchmal können wir ihn dahinplätschern sehen, aber meist windet er sich unterhalb der Straße entlang und entzieht sich unseren Blicken. Im Ort Asco befindet sich an einem kleinen Restaurant ein Parkplatz, auf dem neben ein paar Eseln auch Autos abgestellt wurden, die keine hiesigen Kennzeichen besitzen. Wir gesellen uns dazu und machen uns wanderfein. Unser Wanderführer, den ich in der Hand halte, spricht Deutsch. Wir finden trotzdem einen einladenden Pfad, der hinunter zum Fluss führt und laufen entlang des nicht eben still dahinschießenden Gewässers flussaufwärts. Die Sonne brettert, als meine sie es ernst. Insekten brummen lautstark und stürzen sich auf alles, was blüht. Die Sträucher sind hier noch recht bunt und die Honigbeute der Bienen sollte üppig ausfallen. Das tut sie hier auch, denn Asco ist für seinen Wildhonig berühmt. Außer Bienen fliegen bemerkenswert große Hornissen herum. Die tun keinem was, aber ich habe trotzdem Respekt. Diese Hornissen sind ziemlich dunkel, haben nur am Hintern eine hellere Färbung und einen rötlichbraunen Kopf. Man hört sie schon von Weitem brummen, wie Motorräder, die auf einen zu kommen. An einer Stromschnelle machen wir eine Pause. Wir sind nicht allein. Zwei Männer stehen breitbeinig im flachen Gewässer und halten ihre Angeln fest. Die dazugehörigen Damen haben sich aus ihren Oberteilen geschält, liegen auf den warmen Steinen und lassen die Sonne in ihren riesigen Sonnenbrillen baden. Ich ziehe meine Stiefel aus und halte die Füße in den Fluss. Es ist so kalt, dass sich mir alles zusammenzieht. Als ich wieder in die Wanderstiefel schlüpfe, habe ich den Eindruck, sie wären zwei Nummern zu groß.
Nicht weit entfernt spannt sich eine besondere Brücke über den Fluss. Die Ponte Genuesa. Diese alte Steinbrücke wirkt wie eingeklemmt zwischen den steilen Hängen des Gorges d’Asco. Das Wasser ist hier tief, nicht so reißend und schimmert türkis. Dieser Bereich ist bekannt als eine besonders romantische Badestelle. Vereinzelt sollen schonmal Leute von der Brücke springen. Aus Spaß, nicht aus selbstmörderischen Beweggründen. Der Sprung geht dann vier Meter in die Tiefe. So etwas überlege ich mir gar nicht erst. Ich stelle mich auf die Spitze der Brücke, schaue hinunter ins klare Wasser und schüttele den Kopf. Jedem seinen Spaß.
Wir erreichen irgendwann am Nachmittag wieder den Ort Asco. Zwei schwere Motorräder halten vor dem kleinen terracottafarbenen Bistro, vor dem unser Auto steht. Was kommen da wohl jetzt für ältere Rocker an? Nachdem das Rummeln der Maschinen vorbei ist und die Motorräder aufgebockt sind, klettern zwei schmächtige Bürschchen aus der Lederkluft und giggeln etwas pubertär herum. Nicht was zu erwarten war.
Ich handle dem Bistrobesitzer zwei Getränke ab. Jean-Pierre identifiziert mich sofort als Tourist, weil ich auf sein “Ça va” nicht reagiere. Offensichtlich eine der Grundkenntnisse, die man im französischen Umgang drauf haben muss. War mir nicht bewusst, bis es mir meine Herzdame verdeutlicht. Ich nehme mir vor, in Zukunft drauf zu achten. Jean-Pierre und seine Nathalie sind trotzdem nett. Sie führen dieses Haus, das sich bei näherer Betrachtung als ein Restaurant entpuppt, das auch als Hotel dient und einen Pool besitzt. Das sieht man von der überdachten Terrasse nicht. Alles sieht sehr einladend aus. Ich betrachte den blauen Himmel, die kargen steilen Hänge der Schlucht und sehe in der Ferne etwas Schnee unterhalb der Spitze des Monte Cinto, der gar nicht so weit entfernt vom Ascotal als höchster Berg Korsikas ein beliebter Anlaufpunkt für Bergsteiger ist. Dies ist ein schöner Platz zum Verweilen, denke ich und stoße mit meiner Herzdame an. Die Orangina ist so kalt, wie das Wasser, in dem vorhin meine Füße standen.