
In Treguier ist heute Markttag. Markttage werden in Frankreich ziemlich ernst genommen, denn jeder Bauer, Fleischer, Käsemacher, Blumenverkäufer, Obsthändler und vor allem jeder Fischer, weiß, am Markttag kann man seine frische Ware relativ sicher auch verkaufen. Deshalb ist in beinahe jeder Gemeinde Frankreichs einmal in der Woche Markttag. Ab sieben Uhr Morgens stehen die Händler bereit. Neben privaten Einkäufern sind vor allem Restaurants früh an Ort und Stelle, um für ihre Gastronomität Frisches Einzukaufen.
Mitunter richtet sich die Speisekarte danach, was morgens frisch im Angebot ist. Der Markt in Treguier ist überschaubar. Am Hafen stehen vor allem die Lebensmittelhändler, aber auch Antiquitäten- und Schuhverkäufer. Weiter oben, an der Kathedrale werden auch Taschen, T-Shirts, Handtücher, bretonischer Handwerks-schnick-Schnack und Fußballschals verkauft. Es ist hier bei Weitem nicht so voll und überquellend, wie auf einem provenzalischen Markt, aber es reicht aus, um sich ein paar Melonen, ein paar Likörgläser und Wurst vom Stier andrehen zu lassen.
Vor einem Bäcker steht eine alte, kleine Frau im roten Anorak und mit roter Mütze. Sie hat einen Notenständer vor sich zu stehen und singt Chansons. Sie ist mindestens achtzig und ihre Stimme ist fistelig und schrill. Vermutlich singt sie den ganzen Markttag durch, also bis zum Mittag, wenn allmählich zusammengepackt wird. Zumindest ist sie die ganze Zeit aktiv, in der wir unterwegs sind und das sind schon knapp zwei Stunden. Vor ihren Füßen liegt ein Hut zum Geld reinwerfen, was ich brav tue, denn solch resolutes Auftreten sollte belohnt werden. An die zum Verkauf angebotene CD der Frau, die vom Cover mit ondulierter Frisur heraufgrinst und die ihren Namen verrät,den ich mir gar nicht erst gemerkt habe, wage ich mich allerdings nicht.
Der große Marktplatz wird von der noch größeren Kathedrale von Treguier überragt. Diese Kathedrale ist groß genug, um nicht aufs Foto zu passen. Dazu müsste man weiter weg gehen, als die Häuser drum herum stehen. Der Kirchturm besitzt eigenartige Löcher, die den Klang der Glocken eine bessere Akustik geben soll. Treguier ist keine große Stadt, aber eine historisch bedeutsame. Zahlreiche Bischöfe waren hier ansässig. All denen wurden in der Kathedrale mit Gemälden gedacht.
Wichtigster Teil der Kathedrale ist der Reliquienschrein. In diesem liegen die Gebeine und der Schädel des heiligen Yves. Und da muss ich wieder an die Schutzpatrone erinnern. Yves ist der Schutzpatron der Anwälte. Als wenn diese Blutsauger irgendwelchen Schutz nötig hätten. Wo kommen wir denn da hin, wenn sich jede Berufsgruppe, die Dreck am Stecken hat mit Schutzheiligen amüsiert. Gab es den Schutzpatron der Henker, der ihn davor schützte, sich beim Köpfen, den eigenen Finger wegzuhacken? Hat die Mafia ihren eigenen Schutzheiligen? Wie heißt eigentlich der Schutzheilige der Diktatoren? Ich weiß es nicht, aber letztlich muss man sich ja an irgendwen wenden, wenn es im Leben gerade mal nicht richtig läuft. Putin hat sicher auch einen.
An der Eingangspforte ist mir der deutliche Hinweis aufgefallen, das Hunde in der Kirche nicht erlaubt sind. Sind sie ja in Kirchen meistens nicht. Aber hier kann ich mir schon vorstellen, dass auf die Frage nach dem warum die Antwort lauten könnte: “Was meinen Sie wohl, wie lange wir gebraucht haben die Oberschenkelknochen vom Heiligen Yves wiederzufinden, als der letzte Bischof seinen Rottweiler mit in die Kirche genommen hatte. Den ganzen Kräutergarten hinterm Kreuzgang mussten wir umpflügen. Ich hoffe bloß, wir haben die richtigen Knochen ausgebuddelt.” Oder so was ähnliches.
Derweil der Markt beginnt sich aufzulösen, bleibe ich vor einem alten Haus stehen. Es muss ein Laden gewesen sein, denn große Schaufensterscheiben ohne Auslage spiegeln die Sonne. Hinter einem Fenster springt ein junger Rabe aufgeregt hin und her. Er scheint hier im alten verlassenen Laden ausgebrütet worden zu sein und guckt jetzt ebenso neugierig aus dem Laden, wie ich hinein. Ich halte mein Finger an die Scheibe und er hackt beherzt zu. Bevor er die Scheibe zerdrischt, lasse ich die Spielerei lieber bleiben.
Auf dem Weg zurück vom sonnigen Treguier zum Ende der bretonischen Landzunge, auf der wir wohnen, sehen wir ganz entfernt an der Küste Nebel. Der hat sich hier am äußersten Ende der Welt den ganzen Tag über nicht aufgelöst.
Erst als wir zu einer kleinen Radtour aufbrechen, knallt die Sonne unvermittelt durch die Wolken und beschert uns einen netten kleinen Sonnenbrand. Und dann sehen wir es wieder, das ganze Panorama der Küste. Unendlich weite Strände und ein weit entferntes Meer, das sich offensichtlich gerade woanders austobt.