Category Archives: Florenz

Essen mit Paul Theroux

Durch die historische Altstadt von Florenz zu spazieren, ist etwa so, als würde man sich in einem sehr kleinen Wald verlaufen. Wenige Stunden benötige ich, bis mich der Eindruck befällt, überall schon mal gewesen zu sein. Die Altstadt beschränkt sich auf ein überschaubares Areal, in dem es von Gassen nur so wimmelt, die sich schmal und dunkel verwinkeln, hohen Palastwände von hinten, fensterlos gemauert. Wo zum Geier bin ich, frage ich mich, um aus einer Gasse zu treten und den Dom vor mir zu sehen, den ich eben hinter mir gelassen hatte. Drei Gassen rechts, wieder eine links, den Blumenhändler kenne ich schon, den schicken Schreibwarenladen habe ich auch schon besucht, wieder eine Gasse zur Seite und ich finde mich vor der Kirche St.Croce, vor der ein Stadion aufgebaut wurde, mit Sandbelag. Heute nachmittag spielen hier die „Grünen“ gegen die „Roten“ eine Art Renaissance-Rugby. Nachdem ich wieder ein paar Gassen durchstreift habe, finde ich die Markthalle vor mir, innen, wie außen geschäftiges Treiben. Innen das Obst, der Wein, Hühner mit und ohne Beine, manchmal die Beine auch alleine, außen der ganz normale Schleuderschnickschnack, den der Weltreisende auf seiner Reise so braucht: Briefpapier, Stifte, Dosen, Michelangeloschürzen mit nacktem David vorn drauf, Papierkörbe aus Leder, Fußballhandtücher. Egal, auf welche Weise ich mich in die Gassen stürze, um mich mutwillig zu verirren und an irgend einem Ort wieder aufzutauchen, an dem ich noch nicht war, immer lande ich auf der Piazza della Republica, vor dem Dom oder an den Ufficien. weiterlesen . . .

Kunst und Großes Gähnen

Uffizien

Später Nachmittag. Erkennbar an den Mopeds, deren Geknatter nun häufiger zwischen den Häuserwänden hin und her hallt, als noch am Morgen, dem Gehupe der Autos und dem Spielstand auf der digitalen Uhr. Es steht 17:20. Ich versuche meine müde gelaufenen Knochen auf dem breiten Hotelbett wieder in nutzbare Werkzeuge zurecht zu ruhen. Das Hotelbett sollte zu diesem Zwecke der geeignetste Ort sein, den man sich auf einer Städtereise denken kann.
Mein Blick fängt sich an zwei putteligen Engeln, die gelangweilt auf einer Marmortheke lümmelnd in ihrem Rahmen über dem Kopfende hängen. Ich frage mich, wie es zu dieser weithin üblichen Innenaustattungssitte gekommen ist, über dem Kopfende Ruhesuchender Gemäldereproduktionen aufzuhängen.
Wann immer ich mich bisher in einem Schlafzimmer aufhielt, dessen Inneneinrichtung mich mehr interessierte, als der Grund, der mich überhaupt hinein gebracht hatte, war es die Auswahl des Bildmotivs, die mir den deutlichsten Hinweis auf den Geschmack des jeweiligen Einwohners oder Einrichters lieferte. Allerdings macht mich das Betrachten von Gemälden, ob ich sie bereits über Betten hängend gesehen habe oder nicht, immer etwas schläfrig. Meine Geduld in Kunstsammlungen ist dort deshalb ebenso begrenzt, wie meine Konzentration. Das früheste Schlafzimmerbildnis, das sich meines Kopfes unauslöschlich bemächtigte und noch heute zum Gähnen zwingt, war der klassische Hirsch, der auf einem Wandteppich festgewebt tonlos vor sich hin röhrte. „Leg dich hin, Kind. Dreh dich zur Wand und Schlaf.“ sagte meine Oma zur Mittagsschlafzeit. Später begleitete er mich als Umhängetasche bei allerhand müden Demos. Meine Großeltern West besaßen ein Gemälde eines italienischen Straßenmalers. Neapel mit Vesuv. weiterlesen …

Davids Dödel

Die Bewohner großer Städte ticken alle unterschiedlich. Eines jedoch ist ihnen allen gemeinsam, sie ticken nicht richtig. Wenn man sich an eine beliebige belebte Strassenecke einer beliebigen Weltstadt hinstellt und zwei Stunden lang die Leute beobachtet, die vorbeigehen, kann man statistsich festhalten, das 80% der Leute eine Macke haben. Nimmt man den Tatbestand zur Kenntnis, zwei Stunden lang an dieser Ecke gestanden zu haben, kann man sich getrost in diese 80% einbeziehen. Mit welchen Meisen der Großstädter den Tourist bei Laune hält erlebe ich mitten in Florenz auf einem kleinen Platz in der historischen Altstadt. An der Auslage eines Eckladens muss ich feststellen, dass der Ladeninhaber den zweiten Weltkrieg noch nicht ganz beendet hat und immer noch auf die entscheidende Wende wartet. Sein Angebot umfasst „Führerwein“, eine Flasche „Reichsrebe“ und „Mussolini-bianco“. Dazwischen finden sich kleine Wehrmachtstransporter, Panzer und Zinnfiguren in SS-Uniform. Die üblichen Gasmasken und Feuerzeuge in Granatendesign nicht zu vergessen. Besonders auffällig ist eine kleine Hitlerfigur mit ausgestrecktem Arm auf einem Holzsockel. Ich hatte als Kind mal ein ähnliches Spielzeug, allerdings mit einer harmlosen Katze. Die Katze stand gespannt von einer Feder auf dem Sockel und wenn ich den Boden eindrückte, fiel sie zusammen. Irgendjemand hat mir ein ähnliches Gerät mal mit dem Papst gezeigt. Die Figur im Laden jedoch trägt Hitler. Wer auf den Boden drückt, sieht, wie er den Arm senkt und in sich zusammen sackt. Vielleicht hat sich ja wenigstens bei diesem Tinnef jemand Gedanken gemacht – aber eigentlich glaube ich es nicht. Im Götzenvermarkten kennen sie kaum Grenzen. weiterlesen …

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