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    Ein Schloss im Spreewald – Teil 5

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    Frühstück mit Leinöl

    Nach einer nicht ganz als angenehm anzusehenden Nacht, ich habe kaum geschlafen, weil das Bett mich nicht ließ, versöhnt mich das Frühstücksbüfett im Raum neben dem Restaurant. Es ist reichhaltig und darauf ausgelegt, das Frühstück zu übertreiben. Liebevoll sind Obst, Käse, Müsli, Wurst und Marmelade angeordnet. Frischkäse und Kräuterquark stehen zur Verfügung. Wahlweise auch mit Leinöl. Aus einer sehr, sehr kleinen Flasche. Die bekomme ich erst nicht auf, weil sie sehr ölig ist. Und als ich sie endlich geöffnet habe, ist sie leer. Schade. Die Brötchen und das Brot riechen wie frisch gebacken. Eilfertig wird uns Kaffee angeboten, der schmeckt, als wäre er ebenfalls frisch gemahlen. Der Raum ist in den Farben des Waidmannes gehalten. An den Wänden hängen kleine Lampe, deren Schirme auf stilisierten Jagdhörner sitzen. Bilder von Jagdszenen zieren die Wände, die in einem öligen, aber ansprechenen Grünton gestrichen sind. An einer Wand ist selbstverständlich ein Geweih angebracht.
    Beim Frühstück kann ich in Ruhe all die anderen Gäste begutachten, die hier übernachten. Uns gegenüber sitzt ein extrem dünner Mann mit einer Frau. Er streicht liebvoll über seine Smartwatch und teilt der Frau mit, welche Daten über seinen Nachtschlaf die Uhr ihm gerade mitteilt. Vier Stunden am Stück und dann noch mal drei Stunden unterbrochen. Kalorienverbrauch in der Nacht lag bei irgendwas, was ich akustisch nicht verstehe. Die Frau schaut ihm mit einer Mischung aus Faszination und Langeweile an. Warum man sich von intelligenten Armbändern erzählen lassen muss, wie man sich fühlt, verstehe ich nicht so ganz. Wenn ich schlecht geschlafen habe, merke ich das schon. Dass die beiden vielleicht noch nicht sehr lange miteinander die Hotelbetten zerwühlen, ergibt sich auf die Frage nach dem Frühstücksgetränk. Sie steht gerade am Büfett, als der Kellner kommt und er ruft ihr die Frage zu: “Wie trinkst du eigentlich deinen Kaffee?”
    Im Nachbarraum trifft sich eine Seminargruppe, deren Vorsitz ein ehemaliger innerparteilicher SPD-Kandidat für das Berliner Bürgermeisteramt innehat. Der scheint schon mit dem Taschentelefon in der Hand aufgewacht zu sein und schnattert munter in das Gerät, während ein weiteres Mitglied des SPD-Gruppenrates ziemlich zerknautscht vor dem Büfett herumlümmelt. Mit einer Hand in der Tasche seiner alten Jeans greift er mit der anderen lässig in die Auslagen. Ein dritter Seminarjugendlicher mit engem T-Shirt über dem durchtrainierten Oberkörper, findet es schick, überall, auch beim Essen eine Schiebermütze auf dem Schädel zu tragen. Ich weiß nicht, ob er in der Seminargruppe der Aktenfrosch ist, aber egal, Mütze tragen im geheizten Frühstücksraum hält mein altes spießiges Gemüt für eine besonders dämliche Form der Eitelkeit.
    Da ist mir die spleenige Eitelkeit der Gräfin vom gestrigen Tage lieber. Die Gräfin kommt dann ebenfalls in den Frühstücksraum und setzt sich an einen Solotisch. Heute trägt sie schwarze Jeans, schwarzes Sweat-Shirt und schwarze Haare. Im Herausgehen grüßen wir und beglückwünschen sie zu ihrem Geburtstag. Ob sie heute wieder in schicker Garderobe anzutreffen sei, wollen wir wissen.
    “Ma sehn, ob ick ma heute ’n Kleid überwerfe. Aber bietet sich ja an. Ick mach nachher ne Kutschfahrt. Ick kann Ihnen ja winken, wenn ick se sehe.”
    Später sehen wir sie tatsächlich, wenn auch noch nicht in der Kutsche, aber in einem schwarzen langen Kleid, dessen rüschiger Saum knapp über dem weichen Boden rauscht, den Mantel geschlossen, eine dunkle Haube und ein Regenschirm im Arm. So schreitet sie durch das große Tor zum Schlosspark hinaus in den Ort, während wir uns auf einen kleinen Spaziergang durch das Innere des Spreewaldes begeben, der am Ende etwas länger wird, als wir beabsichtigten. Doch davon ein andermal mehr.

    Februar 20, 2017 Der Fahrtenschreiber

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