Das Haus, in dem wir für ein paar Tage wohnen dürfen, steht wenige Meter von der Dorfkirche entfernt an einer Ecke. Man muss einen steilen Anstieg voller ungleichmäßiger Stufen hinauf, um bis zur Tür zu gelangen. Das alte Steinhaus ist wie die meisten Häuser eher hoch, als breit. Stufen steigen ist selbst dann angesagt, wenn man nur in den Keller will. Das Haus selber besitzt drei Etagen. Im Erdgeschoß befindet sich ein dunkles Wohnzimmer mit großem Esstisch, einem alten Kamin und einem kleinen Nebenraum, in dem allerhand Kram lagert, wie rostige Boulekugeln, ein paar Gläser, Vasen und Geschirr. Außerdem steht dort ein Tischchen, dessen Tischplatte aus einem Schachbrett hergestellt wurde. Es ruht neben einem Fenster, das nur mäßig Licht spendet. Ein bequemer Liegestuhl lädt ein, seine ruhigen Minuten zu verbringen.
Gleich neben der Eingangstür des Hauses gelangt man in die gut eingerichtete Küche. Wie alles in dem Haus besteht die Einrichtung aus einer Mischung aus Praxisbezogenheit und Nostalgie. Alte Möbel und nutzbare Geräte, die mit Stil ausgewählt wurden, gehen hier eine funktionierende Partnerschaft ein. Die Besitzer, ein inzwischen in Rente befindliches Paar aus dem Schwabenland, leben hier übers Jahr für längere Zeit. Da ist die praktische Seite nicht ganz unerheblich. Von der Küche aus gelangt man auf eine kleine Terrasse, hüfthoch ummauert mit Feldsteinen. Nicht sehr groß, aber ausreichend, um an heißen Tagen im Schatten der Mauern des Hauses zu frühstücken oder seinen abendlichen Pastis zu genießen. Gegenüber des Fußweges, der vor Haus und Terrasse vorbeiführt, ragt ein weiteres altes Steinhaus auf, das auf den Felsen gemauert wurde, der den Hang über uns bildet. Deren Kellerfenster blicken etwa sechs Meter über unsere Köpfe hinweg.
Diese Terrasse ist einer meiner Lieblingsplätze. Hoch über uns schnellen die Mauersegler entlang. Um die Terrasse herum sind zahllose Blumen und Kräuter aufgereiht. Wenn man einen bestimmten Topf an der Mauer mit Wasser bespritzt und dafür sorgt, das die Wassertropfen eine Weile auf den Blättern liegen bleiben, kommt regelmäßig eine Hornisse vorbei, die sich dort etwas zu trinken abholt. Sie brummt heran, wie ein schweres Motorrad, lässt sich nieder und genießt friedlich den Augenblick, bevor sie mit kräftigen Aufheulen ihres Motors wieder abhebt und sich um weitere Hornissendinge kümmert. Manchmal ist das Motorengeräusch noch etwas dunkler. Dann schwirrt die dunkle Holzbiene um die Blumentöpfe. Einige Schmetterlinge, vor allem Segelfalter und Schwalbenschwänze und auch ein paar Taubenschwänzchen besuchen die Terrasse, die Kräuterversammlung unter dem Nachbarhaus und den Rosenbaum gegenüber. Manchmal wackelt die alte Dackeldame der Nachbarin vorbei, guckt treudoof bettelnd und zieht dann wieder ab, wenn sie merkt, dass sie von uns nichts, außer Wasser bekommt.
Die Nachbarin sieht es nicht so gern, wenn wir ihr Tier fremdbespaßen.
Und dann kommt Puschelschwanz vorbei, eine kleine schwarze Katze, mit buschigen Schwanz. Vor zehn Jahren, als wir zum ersten Mal in diesem Haus einkehrten, lebte ein stattlicher Kater, mit dickem puscheligen Schwanz in St. Martin. Der war hier so etwas wie der Chef im Ring. Als wir zwei Jahre später wieder nach St. Martin kamen, lebten eine ganze Menge Nachfahren im Revier und auch der alte Puschel kam noch mal zum Streicheln. Weitere drei Jahre später besuchte uns eine kleine Katze auf der oberen Terrasse. Sie kam zum Panoramafenster hereinspaziert und ließ sich nur wieder mit einer Schale Milch durch die Küche hinausbitten. Sie besaß einen puscheligen Schwanz und nur ein Auge. Sie kam täglich wieder.
Und diesmal ist also der Enkel und Urenkel derer von Puschels bei uns, stolziert ohne Scheu zur Tür herein, wuscht die Treppe hoch zur Terrasse und mauzt uns um Milch an. Sie tut das mit einer Selbstverständlichkeit, die darauf schließen lässt, dass das hier regelmäßig an der Tagesordnung ist.
Wir passen auf, dass sie nicht im ersten Geschoß hängen bleibt. Dort befinden sich ein kleines Bad, ein großes Schlafzimmer und ein Arbeitszimmer, in dem ich immer gern gesessen habe, um an einem alten Schreibtisch ein paar Aufzeichnungen zu machen. Leider ist es nun auf eine Weise umgeräumt, die eine Nutzung als Schreibstube nicht mehr möglich macht. Der Schreibtisch wurde um zehn Zentimeter mit einer weiteren Holzplatte erhöht und der Schreibtischstuhl nicht. Auch ist es dunkel und mit altem Plunder vollgestellt, den die Besitzer aus dem Weg haben wollen, wenn Gäste im Haus sind. Begrüßen tut mich das Arbeitszimmer aber auf dieselbe zuvorkommende Art wie jedes Mal. Der Türsturz ist sehr breit, aber nur 1,60 m hoch. Ich bin zwar selbst nur 1,69 m groß. Das genügt aber vollkommen für eine grantige Kopfnuss.
Im oberen Zimmer herrscht Helligkeit vor. Das große Panoramafenster liefert Licht und Aussicht auf den Luberon. Im Raum selbst endet der von unten kommende Kamin. Man kann das Haus von unten heizen, aber im Herbst und Winter und vor allem bei Sturm bekommt man das obere Zimmer kaum warm.
Eine Lümmelcouch mit Ausblick lädt zum Umfallen ein. Ein weiteres, offenes und geräumiges Bad mit Badewanne findet sich hinter einer Glastür. Die Wanne ist tief und direkt neben der Wanne ist ein Fenster, aus dem man beim Baden die Mauersegler beobachten kann. Auch hier, wie im unteren Bad, steht ein Bidet mit als Angebot rum.
Der eigentliche Höhepunkt jedoch ist die oberer Terrasse, in hellem Terracotta der Ockerfelsen von Roussillon gehalten, strahlt sie selbst ein warmes Licht aus. Der Blick von hier will sich nicht festhalten. Die ganze Breite des Luberon vor den Füßen, rechts bis zum Felsen von Saignon, links bis zum Hügel von Cereste, unter einem das Tal des Calavon mit seinen Weinfeldern, und Dörfchen und hinter einem die höher stehenden Häuser St. Martins. Darüber nichts als der strahlend blaue Himmel der Provence.
Hier lässt es sich eine Weile aushalten.
Ein Steinhaus in St. Martin
