

Weithin sichtbar ist das Benediktinerkloster St.Peter, mit seinen beiden Türmen, wenn man von den Höhen über dem Dreisamtal hinabschaut. Hier haben sich vor über 1000 Jahre die ersten Mönche eingefunden und dieses Kloster erschaffen. Zumindest die Version 1.0. Genau wie die folgenden beiden Versionen sind die Klöster vollständig abgebrannt. Erst die vierte Bauphase, die nun im ausschmückenden Barock erfolgte – und vielleicht die deutliche Ermahnung nicht so leichtsinnig mit offenem Feuer umzugehen – sorgte dafür, dass der Klosterbau bis in die Gegenwart erhalten blieb. Betrachten kann man sich das Kloster ebenfalls in vier Versionen.
Version 1: Kurz und nur die Kirche, doch das ist für jeden vorbeikommenden Gast möglich. Dabei gelangt man in die Gemeindekirche, der Teil des Kirchenbaus, der dem einfachen Sonntagsgottesdienstvolk vorbehalten ist. Hier sieht man bereits, dass der Bau nach ganz anderen Vorgaben geschaffen wurde, als für ein einfaches Gebetsgebäude gilt. Der Barockbaumeister Peter Thumb orientierte sich bei seinem ersten großen Auftragswerk an der Ästhetik des Schlossbauweise. Großzügig, prunkvoll, hell sollte es sein. Die Auftraggeber versuchten trotzdem zu sparen, wo sie konnten. Deshalb ließen sie hervorragende, aber namenlose Handwerker und Baumeister aus der Region ans Werk. Die Förderung des Nachwuchses ließ die jungen Baumeister, Maler, Holzfachwerker, Stuckprofis und Glaser über sich hinauswachsen. Einige erwarben sich an diesem Kloster einen Ruf, der sich in Folgeaufträgen schließlich auch in der Entlohnung bemerkbar machte. Hell ist der Inneraum. Weiß und Golden glänzen die Wände und Bilderrahmen. Die Fenster sind hoch und lassen viel Licht herein. Zusätzlich hat man in der Neuzeit auf den Galerien indirekte Lichter integriert, die jetzt wie eine Erleuchtung von den hellen Decken reflektieren.
Die zweite Möglichkeit, sich das Kloster ein bisschen intensiver anzuschauen, besteht in einer Führung durch die Innenräume, dem Chor der Kirche, der barocken Bibliothek, dem Kreuzgang und dem Fürstensaal. Eine Möglichkeit, die wir nutzen.


Dienstag gegen 11:00 Uhr trifft sich eine kleine Gruppe Besucher vor dem Eingang der Kirche. Es sind insgesamt knapp zwanzig Leute, die sich neugierig versammeln. Zwei Japaner mit besten Deutschkenntnissen und einige Leute im Rentenalter. Meine Herzdame und ich drücken den Altersdurchschnitt etwas nach unten, wenn auch nicht mehr so drastisch.
Unser Führer ist Kastellan, also eine Art Aufsichtsbeamter mit erklärender Wirkung. Der winkt uns zunächst in die Gemeindekirche, erzählt uns etwas über die Statuen der Heiligen, die Geschichte des Klosters und den Bezug zum Alltag der Besucher, den das Gotteshaus haben wollte. In einer ländlichen Region mit zahlreichen Bergbauernhöfen spielte die Fruchtbarkeit eine große Rolle. Deshalb hatte man sich in der Ausgestaltung der Kirche auch an vielen Stellen mit Heiligen beschäftigt, die sich in der Landwirtschaft auskennen. Einen Anton mit einem Schwein unterm Gewand zeigt man uns, den sogenannten Sautoni.
An der stattlichen Orgel ist eine große Uhr angebracht. Laut Kastellan sollte sie den Predigt haltenden Gottesdienstler dazu anhalten, nicht den ganzen Tag zu faseln.
Aus der Gemeindekirche gelangen wir durch eine große Holztür in den Teil der Kirche, der den hauptamtlichen Klosterbewohnern zugedacht ist, dem Altarraum mit Chorgestühl. Die Holzstühle, auf denen die Mönche mehrere Stunden am Tag ihre Gebete verrichteten, sind hart und kalt. Damals war echte Demut angesagt. Hier saß wohl keiner von der scheinheiligen Fraktion, die mit der S-Klasse zur Pilgerkirche fährt. Das interessanteste Element dieses Kirchenbereiches ist ein großes Altarbild, das die österliche Bibelszene der Auferstehung Christi zeigt. Das Gemälde ist in einem großen, goldenen Rahmen eingefasst und wirkt sehr plastisch in seiner Gestaltung. Wie uns der Kastellan erklärt, befinden sich sechs weitere Szenen des Kirchenjahres hinter dem Gemälde. Es ist ein Wechselrahmen und die Gemälde können Theaterprospekten gleich jederzeit gewechselt werden. Man hat über das Jahr also reichlich Abwechslung beim Betrachten des Altars.

Der Kirchenführer erzählt allerhand über das Geschlecht der Zähringer, die hier lange Jahre das Sagen hatten und unter der Hauptkirche begraben lagen, bis man vor einigen Jahren die Gebeine der Klostergründer in eine Grablegung neben den Hauptaltar einmauerte. Diese kann ich von meinem kalten Chorgestühl erkennen. Doch ansehen darf ich sie mir nicht genauer, da uns der Reiseleiter hurtig in die weiteren Räumlichkeiten des Klosters scheucht, nicht ohne zu betonen, dass das Fotografieren strikt verboten ist.
Vom Kreuzgang aus kann man den Garten betrachten. Die Wände und Stützpfeiler sind mit Porträts einzelner Geistlicher der badischen Geschichte behängt. Bevor ich auch nur dazu komme, mir einen der Namen durchzulesen, höre ich schon den Kirchenonkel rufen: “Kommen Sie dann? Nicht, dass Sie verloren gehen?” Vermutlich geht es auf Mittag zu. Da möchte man die Führung pünktlich zu Ende bringen.”

Wir versammeln uns im schönsten Teil des Klosters, der Bibliothek. Schon beim Betreten des prunkvollen Saals der badischen Bildungsangeber drängt sich mir der unverwechselbare, wunderbare Duft alter Bücher auf, der Geruch von intelligentem Staub. Dieser Raum ist wirklich überwältigend, aber auch unverkennbar von gebildeter Eitelkeit durchzogen. Weiß getünchte Wände umgeben den Raum, in die Wand eingelassene Regale beherbergen Bücher aus unterschiedlichen Epochen. Vor den Regalen liegen viele alte Bücher auf dem Boden gestapelt. Der Nachbarsaal war gerade von einem Wasserrohrbruch betroffen. Alle Bücher mussten gerettet und in der Eile hier gestapelt werden. Der Redner entschuldigt sich für die in Schwaben untypische Unordnung. Mir gefällt es. Es sieht aus, als würde hier Wissen nicht verwaltet, sondern studiert werden. Doch der Eindruck trügt. Intensives Betrachten ist nicht erwünscht. Wir dürfen uns an den Rand setzen und staunen, während der Reiseprediger eine Räuberpistole nach der nächsten aus dem Hut zaubert und uns bittet nichts anzufassen. Nach ein paar einleitenden Worten über die Bibliothek, den Buchbestand und die Plünderung nach der Säkularisierung um 1806, in deren Verlauf alle 28000 Bücher unter zum Teil unglaublich respektlosen Bedingungen abhandenkamen und erst im Verlauf von Jahrzehnten wieder weitgehend zusammengesammelt wurden, verweist er auf einen großen Globus. Er erzählt, wie die Mönche zum Studium der Geografie und der Astronomie, der Mathematik und der Naturphilosophie angehalten wurden, das Wissen zu Mehren und sich nicht nur auf die reine Theologie zu stützen. Grund war nicht die neue Offenheit der Kirche, sondern das Gebot der österreichischen Kaiserin, in der Kirche wissenschaftliche Studien zu betreiben, da diese sonst kurzerhand konfisziert und zum Abbruch freigegeben werden würden. Unser Beitragslieferant behauptet in diesem Zusammenhang, dass die Idee, Kirchen zum Hort der Wissenschaft zu machen hier seinen Anfang nahm. Klöster haben schon viele Jahrhunderte mit naturwissenschaftlichen Ideen geliebäugelt, im naturmedizinischen Bereich geforscht, die Sterne beobachtet und das nahe Freiburg besaß mit Erasmus von Rotterdam sogar einige Jahre einen recht bedeutenden Gelehrten in unmittelbarer Nachbarschaft. Das erwähnt er aber nicht. Auch wird nichts über die Schendelsche Weltchronik von 1493 erwähnt, lange vor Maria Theresias Befehl, denn hier geht es um das Verdienst des Klosters St.Peter.
Der Redner weist auf eine Uhr am oberen Ende des Saals, erzählt von der Kuckucksuhrenproduktion im Schwarzwald und davon, dass: »Wie wir ja alle wissen, in Furtwangen, gleich in der Nähe das Uhrenmuseum steht. Schließlich geht die Entwicklung der Uhr vom Schwarzwald aus. Besonders die Mönche des Klosters und die Handwerker im umliegenden Gebirge haben sich dabei hervorgetan,« verkündet er voller Stolz. Tatsächlich war die Uhrenproduktion Anfang des 19. Jahrhunderts recht bedeutend im Schwarzwald. Das Handwerk hatte man hier perfektioniert. Aber erfunden haben sie es nicht. Wie viele bedeutende Erfindungen in der Geschichte, ist auch die Uhr ein Ergebnis der technischen Evolution, also der allmählichen Entwicklung technischer Errungenschaften im Zusammenhang mit zeitlich voranschreitendem kollektiv erworbenen Wissen.
Die letzte Hommage an die Adresse hemmungsloser Selbstbeweihräucherung liefert uns der Orts-Münchhausen, als er eine Zeichnung eines Bienenstockes zeigt, mit der Erklärung, dass die Mönche von St.Peter die ersten waren, die Bienen in Häusern wohnen ließen, um so besser und gesünder an den Honig zu kommen. Da gehen ein bisschen die Insekten mit unserem Reiseleiter durch. Es ist richtig, dass Maria Theresia, die Herrin über Österreich und damit auch über das Badische Land zu jener Zeit, in Wien die erste Imkerschule gründete und die Imkerei grundlegend revolutionierte. Der Beruf des Zeidlers war aber schon lange anerkannt und viele Klöster besaßen bereits früher Bienenstöcke. In Norddeutschland wurden Bienen bereits seit langer Zeit in Körben gehalten. Auf die Idee, nicht in regelmäßigen Abständen auf Bäume zu klettern und sich beim Griff ins Nest Hände, Gesicht und Hintern zerstechen zu lassen, kamen also schon vor den Mönchen von St.Peter viele findige Köpfe. Aber wenn man vor Stolz über sein regionales Geschichtswissen fast platzt, kann man schon mal die Fakten ein bisschen anpassen. Während also der kirchliche Geschichtsdozent so am Salbadern ist, beginnt plötzlich eine putzige Popmusikweise laut zu dudeln. Verstört guckt die ganze Gemeinde in Richtung der Handtasche, aus der das Geräusch hervorquillt. Die Handtaschenbesitzerin schaut abwesend im Bibliotheksrund herum, bis ihr aufgeht, dass sie gerade der störende Faktor ist. Sie öffnet ihre Handtasche und guckt suchend herein. Ihre Nachbarin und Freundin blickt ebenfalls in die geräumige Handtasche. Dann beginnen sie kollektiv vierhändig im Innern zu kramen. Das Telefon verstärkt darauf hin sein Geschrei. Jetzt stecken beide Köpfe in der Tasche. Erst nach langem Kramen zerrt die Besitzerin ein Taschentelefon an die Luft und versucht, es umständlich zum Schweigen zu bringen. Das Einzige, was sie bis zu diesem Zeitpunkt zum Schweigen bringt, ist den Führer, der daraufhin auch keine Lust mehr zu weiteren Ausführungen hat. Der zeigt uns noch schnell eine mehrsprachige Bibel und schickt uns dann wieder auf den Flur. Das Letzte, was er uns heute noch zeigen will, ist der Fürstensaal. Der ist groß und leer. Ein Klavier steht am Ende des Raumes und der Schwingfußboden, der eine besondere Akustik erzeugt, knirscht unter unseren Füßen. Auch hier hat unser Wegweiser noch allerhand kleine Erläuterungen auf Lager, aber sehr überzeugend wirkt er nun nicht mehr. Bevor wir uns das Deckengemälde etwas intensiver anschauen können, das über unseren Köpfen hängt, bedankt er sich für die Aufmerksamkeit und wirft uns freundlich raus. Was nützt die beste erläuternde Führung, wenn einem keine Zeit zur Betrachtung gelassen wird. Das Geschichts- und Geschichtenintensive Hörspiel dauerte etwa eine knappe Stunde. Dann lockten den Veranstalter die heimischen Spätzle fort.
Ich sprach noch von zwei weiteren Möglichkeiten, sich die Innenräume intensiver zu betrachten. Das Geistliche Zentrum, das das Kloster St.Peter beherbergt, bietet ein paar Kurse und Exerzitien an. Man kann sich innerhalb der Räumlichkeiten spirituell auf das Paarsein einstimmen. Geistige und körperliche Präsenz sollen gefördert werden. Man kann auch eine “Kreative Auszeit” buchen. Das muss ein gut besuchter Kurs sein, da ich immer wieder aktive Künstler erlebe, deren Erfolg offensichtlich auf einer komplexen lang anhaltenden kreativen Auszeit basiert. Auch mehrtägiges Schweigen wird angeboten. Die Kosten dafür kann man gern vor Ort erfragen. Das mag nicht jedermanns Sache sein, aber wenigstens hat man dann genügend Zeit, sich die Bilder genauer anzuschauen und mit etwas Glück heimlich in die Bibliothek zu pirschen.
Die vierte Variante für die Chance auf intensive Innenraumbetrachtungen, wäre die Stelle des Kastellans zu übernehmen. Umfangreiche Kenntnisse in übertreibender Ausschmückung sowie eine leichte Neigung zur Geschichtsverzerrung sind dringend geboten.