"Ein Korse allein bringt es durchaus zu einem exzellenten General;
zwei Korsen gründen eine Partei,
aber drei Korsen bilden umgehend einen Chor."
------------Korsisches Sprichwort
Bastia

Die Sonne hat sich vor einer knappen Stunde rot leuchtend aus dem Meer erhoben. Links von meinem derzeitigen Standpunkt kann ich in einiger Entfernung schemenhaft die Insel Elba erkennen. Eine Katze putzt sich auf der Kaimauer, die spiegelnde Wasseroberfläche im Hintergrund. Hinter mir türmen sich die baufälligen Häuser des alten Bastia auf. Im Segelhafen kommt ein einzelner Bootsbesitzer gähnend aus seiner Kajüte gekrochen, einen Kaffeebecher in der Hand, einen Morgenmantel umgeworfen, der ihm um die nackten Beine schlägt.
Ich sitze auf einem Plastestuhl vor einem Bistro, beobachte die Szenarien, die Bastia um 7:00 Uhr morgens bietet und warte auf den ersten Kaffee.
Meine Herzdame sitzt mir gegenüber und gähnt mitreißend. Die Nacht auf der Fähre endete abrupt mit der Ansage des Bordstewards, dass wir angekommen wären. Draußen, vor dem Kajütenfenster, warf ein Matrose einen armdicken Tampen um einen Kaipoller. Hinter der Uferlinie türmten sich beidruckende Felsen in den Himmel. Ich schaute noch fasziniert hinaus, als die Ansage erneut zum Verlassen des Schiffes aufforderte. Ab da wurde es hektisch. Beim Auschecken von einer Fähre, will jeder der Erste sein, selbst wenn sein Auto in einer Reihe anderer Wagen tief im Inneren des Fährbauches eingekeilt ist.
Aber hier, morgens auf der Terrasse eines Hafencafés ist Hektik ein Wort, das weder in meinem Wörterbuch steht, noch in dem der Bedienung.
Der Kellner, der sich uns zögernd nähert, sieht aus, als hätte ich ihn auf dem Weg ins Bett aufgehalten. Müde gammelt er aus seinem kleinen Caféstübchen auf uns zu und hört sich uninteressiert unseren Wunsch nach einem Café au lait und einem kleinen Frühstück an. Was er davon alles auf dem Rückweg vergessen hat, erkenne ich eine gefühlte halbe Stunde später, als er mit Espresso schwarz ankommt und je einem Keks. Ein Stück Zucker vervollständigt das Arrangement. In der Zwischenzeit hat die Katze ihre Wäsche beendet und stolziert zu einem nahegelegenen Müllbehälter, um ihrerseits ein üppigeres Frühstück zu sich zu nehmen, als wir es bekommen. Die Fähre, die vor einer knappen Stunde angelegt hat, verlässt frisch gefüllt wieder den Hafen Richtung italienische Küste und serviert seinen Gästen sicher ein komfortables Frühstück.
Irgendjemand hat dem Kellner ein Teller mit Brot und Marmelade in die Hand gedrückt, ihm mit dem Finger die ungefähre Richtung gewiesen, die er abzulaufen hat und dann auf die Straße geschickt. Obwohl der Tisch, an dem wir sitzen, in seinem Bedienbezirk der einzige ist, an dem sich jemand aufhält, guckt er suchend um sich. Er trägt eine Sonnenbrille, um sich vor den kopfschmerzfördernden Sonnenstrahlen zu schützen und vielleicht auch, um den auffordernden Blicken weiterer Gäste zu entgehen. Die es aber in seinem Bewirtungsdistrikt nicht gibt. Schließlich findet er die Idee, den Teller mit dem Brot und unseren Tisch in einen Zusammenhang zu bringen ganz traumhaft und taumelt auf uns zu. Und es gelingt ihm sogar den Teller, ohne nennenswerten Verlust abzustellen, bevor er wieder abdriftet, um wie es scheint sicher in einem Winkel des Kaffees verstaut zu werden. Das Brot hat die Konsistenz eines Knochens, aber dafür hat Gott ja den Kaffee erfunden. Nach dem Einditschen gehts. Dem nächstgelegenen Straßencafé, das genaugenommen, direkt an meiner Rückenlehne beginnt, ist da mehr Glück beschieden. Ein betagter Kellner schreitet eifrig von Tisch zu Tisch, wuselt in den Eingang seines Kaffees zurück und kommt Sekunden später bepackt mit Dingen wieder heraus, die einem Frühstückstisch, der es wirklich ernst meint, würdig sind. Die Gäste an den gut gedeckten Tischen bekommen Kaffeetassen, die so groß sind, dass sie in ärmeren Gegenden als Badewannen durchgehen, gefüllt mit Kaffee auf dem Schaum schäumt. Kokosstreusel schaukeln in den Schaumblasen, wie kleine Boote in der Brandung. Statt alten Baguettes glänzen dort drüben fettige Croissants und statt kleinen Mikroportionen in Plaste eingeschweißter Marmeladentöpfchen haben die Nutella! Und alles ist nur einen Mindestabstand entfernt. Ich erspare mir hier weitere Ausführungen über die Gerechtigkeit in der Welt. Aber eine Welt, in der vertrocknete Baguettes und fettige Croissants nur 1,5 Meter voneinander entfernt für denselben Preis angeboten und beide als gleichwertig angesehen werden wollen, kann nicht gerecht sein.
Zum Kassieren kommt eine ausgeschlafene Blondine an unseren Tisch. Sie erkundigt sich, ob alles in Ordnung sei.
Den Hinweis darauf, dass ein Espresso genau betrachtet kein Café au Lait ist, honoriert sie mit einer hochgezogenen Augenbraue. Sie bietet an, sofort einen richtigen Milchkaffee zu bringen, was ich doch dankend und ein bisschen trotzig ablehne. Da offensichtlich nur von der Fähre gejagte Touristen auf die Idee kommen, um 7 Uhr dreißig in ihrem Café frühstücken zu wollen, versucht sie gar nicht erst auf Französisch mit uns zu reden. Allerdings bin ich auch nicht willens in Frankreich Englisch zu sprechen. Und während sie sich bemüht, englisch auf uns einzureden, antworten wir brav auf Französisch, und zahlen .
