Zwischen Ljusdal und Hudiksvall am Bottnischen Meerbusen verbindet eine Bahnstrecke zahlreiche kleine Orte. Unter anderem liegt auch Delsbo an der Linie, die eine ganze Weile am südlichen Ufer des Dellensees entlangführt. Mit dem normalen Personentransport ist die Strecke seit einigen Jahren nicht mehr rentabel gewesen, deshalb hat man sie aufgegeben und dem Transportwilligen die Möglichkeit eingeräumt, selbst zu sehen, wo er bleibt. Inzwischen haben Busse die Idee übernommen, Leute für Geld von A nach B zu bringen. Die Bahnstrecke und ihre vielen kleinen bezaubernden Stationen verfielen zusehends. Trainspotter und Schienenliebhaber haben sich der Strecke vor einigen Jahren angenommen und sie liebvoll in einen Zustand versetzt, der die Dellenbahn heute als Museumsstrecke ausweist. Es gibt einen alten Schienenbus, an dem ein paar Enthusiasten herumfrickeln. Im Sommer bietet die Strecke noch eine andere Möglichkeit, dem Drang sich auf der Schiene fortzubewegen, nachzugehen. Man kann eine Fahrraddraisine mieten und sich auf der Strecke, die insgesamt knapp 50 Kilometer lang ist austoben.
Von Delsbo nach Hudiksval sind es ca. 35 Kilometer, die da es dem Meer entgegen geht, hinzu leicht bergab verläuft. Wir sind zu dritt, bekommen am alten Bahnhof Delsbo also ein Modell für zwei aktive Pedaleure und einen Passagier gestellt. Doch bevor wir losfahren können, wird von der Stationsbesatzung, die aus zwei alteingesessenen Bahnmitarbeitern und ein paar Saisonkräften besteht, noch ein Lunchpaket zusammengestellt. Es gibt belegte Sandwiches, Ei, ein paar kleine Kuchenstückchen und eine Thermoskanne voll Kaffee, damit man die übliche “Fika-Pause” nicht auslassen muss. Das alles wird in eine gut gepolsterte Picknicktasche gepackt und in die Plastekiste gestellt, die sich über dem Hinterrad der Draisine befindet. Bis das alles geschmiert, sortiert und belegt ist, sitzen wir in der alten Bahnhofsgastätte.
An der Wand bewundere ich eine Stickerei. In feinster Handarbeit gefertigt hängt dort ein Bild, das den Gast bittet, der Bahnhofsgastronomie ein Like auf Facebook zu spendieren. Analoges Handwerk in Zeiten des digitalen Wahnsinns.
Die Draisine besteht aus einer Art Tandem. Zwei Räder sind hintereinander montiert und liegen auf einer Schienenseite. Das Beifahrersegment verbindet die Antriebsräder mit der anderen Schiene und hält das ganze Geschoß stabil auf dem Schienenstrang. Man braucht schon eine sehr hohe Geschwindigkeit und viel Talent, um bei dieser größtenteils gerade verlaufenden Strecke aus der Andeutung einer Kurve heraus zu schießen. Die Räder, die auf den Schienen liegen sind schwer und entsprechend schwer ist es, die Draisine zum Laufen zu bringen. Man bekommt schon ein ganz ordentliches Tempo zu Stande. 39 km/h hat mein Sports-Tracker an einer Stelle gemessen. Allerdings weiß man ja, dass die Satelliten auch gern mal ein bisschen zu Gunsten des Sportlers bescheißen.
Auf der Strecke fahren wir zunächst durch gut bewachsenes Buschland, eine klassische Bahnstrecke, hinter deren Vegetation sich sonst was verbergen kann: Einfamilienhäuser, Schnellstraßen, Felder, Elche. Nach einer Weile verlässt uns die parallel verlaufende Straße. Auf der eine Seite wechseln sich Wald und Feld ab, auf der anderen schimmert immer wieder der südliche Dellensee durch.
Die Tour muss selten unterbrochen werden. An Stoppschildern müssen wir natürlich kurz halten, denn dort kreuzen kleinere Zufahrtswege die Schiene und die Benutzer haben auf der stillgelegten Strecke Vorfahrt. Irgendwann verschwinden die Stoppschilder und auch Weichen gibt es keine, die die starre Draisine aus der Spur werfen könnten. Die eingleisige Strecke verläuft nun immer parallel zum Seeufer. Es ist ziemlich windig und der Wind kommt selbstverständlich von vorn. Ein Tunnel taucht auf. Unbeleuchtet natürlich und etwas länger als einhundert Meter. Wir haben kein Licht am Fahrrad. Doch die Gefahr, dass uns eine andere Draisine entgegenkommt, besteht heut nicht. Der Draisinenwart versicherte uns, wir sind in diese Richtung allein auf der Strecke. Wenn im Hochsommer, also im Juli und August, wenn in Schweden Ferien sind, die Strecke etwas intensiver genutzt wird, kommt es schon vor, dass sich zwei Draisinen gegenüberstehen. Eine klare Regelung macht die Situation recht einfach. Alles was von Hudiksvall, also vom Meer kommt, hat Vorfahrt. Wer aus der Gegenrichtung unterwegs ist, muss anhalten und das schwere Stahlschwein von den Schienen heben. Sobald der Hudiksvaler Pedaleur weitergefahren ist, kann man sein eigenes Gerät wieder einsetzen und losstrampeln. Es ist also sinnvoll, zeitig zu starten, denn wer als Letzter losfährt, hat irgendwann den ganzen Gegenverkehr vor sich.
Links und rechts der Strecke sieht man immer wieder einzelne Draisinen vor an der Strecke stehenden Gehöften stehen. Manch Anwohner nutzt die Schiene wohl auch, um zum Baden zu fahren, oder zum Einkaufen.
Kurz hinter dem zweiten Tunnel sieht man den See in einem geschwungene Strand enden. Ein Picknickplatz ist dort eingerichtet und wir beschließen, den Kaffee rauszuholen. Der Wind pustet uns fast die Ohren vom Kopf, Schaumkronen schmücken die Wellen auf dem Dellensee. Ein paar Regentropfen können uns nicht ernsthaft die Laune verderben. Wir essen Kuchen, trinken Kaffee und verschnabulieren die Sandwiches, die nach den bisherigen 17 Kilometern eine fundierte Ernährung darstellen. Nach einer Weile beschließen wir, uns auf den Rückweg zu machen. Bis ans Meer schaffen wir es heute nicht mehr. Um 17:00 Uhr will der Bahnwärter seine Draisine wiedersehen.
Und von nun an geht es stetig, wenn auch leicht bergauf. Wir drücken ordentliche Wattzahlen auf die Pedale. Natürlich weht auch jetzt wieder ein kräftiger Gegenwind, aber das ist so auch richtig, denn wenn du kein Gegenwind hast, bist du zu langsam. Kurz vor der finalen Bahnstation versuchen wir zu ergründen, warum in der Sicherheitsbeschreibung dazu geraten wird, an Weichen abzusteigen und zu schieben. Wir rollen in gemäßigtem Tempo über eine Weiche und entgleisen prompt. Es dauert eine Weile, bis wir den richtigen Schienenstrang ausfindig gemacht haben, auf dem wir unsere Draisine abstellen können. 35 Kilometer stehen am Ende auf dem Tacho und das auf einem recht stabilen Stahlkonstrukt, mit Stahlrädern und Gepäck. Für den Moment reicht das mit dem Sport. Am Abend sollen wir ja auch noch was für die Armmuskeln tun. Rudern auf einem Wikingerschiff.