Bretagne –
ne, Normandie.
Mont St. Michel
Die größte Kleckerburg der Welt – oder zumindest Europas – liegt an einer Bucht gleichen Namens. Also nicht an der Baie du Kleckerbourgh, sondern an der Baie du Mont St. Michel im Golf von St. Malo. Mont. St. Michel ist ein Monument der französischen Kultur und ein Glücksfall für die Fremdenverkehrsplanung. Jährlich besuchen die kleine Insel mit seiner genial konzipierten Kirche knapp 4 Millionen Besucher. Es ist das meistbesuchte französische Bauwerk nach dem Eifelturm.
Wir kommen an einem leicht verregneten Freitag außerhalb der Saison zum Mont St.Michel. Gefühlt sind es nur 2 Millionen Menschen, die heute hier anreisen. Ich will nicht wissen, was an einem sonnigen Sonntag Ende Juli hier los ist. Bei all dem Trubel, den man um diesen Flecken Erde so macht, könnte man mit den Schultern zucken und abgeklärt abwinken. “Völlig überbewertet”, denkt man noch bei der Anreise und dem Einordnen auf dem mehrere Kilometer entfernten riesigen, stark organisierten Parkplatz. Doch dann sieht man diesen bizarren Kegel am Horizont und staunt. Steht man erstmal unmittelbar davor, bleibt einem die Spucke weg. Besichtigt man die Kirche und all die Nebengelasse, verfällt man in Sprachlosigkeit.
Aber der Reihe nach.
Heute regnet es an der Küste. Muss ja auch mal sein und die Wiese vor unserem Haus benötigt dringend ein paar mehr Tropfen, als die eines verschütteten Glases Rosé.
Da wir uns trotzdem nicht im Haus einigeln wollen, begeben wir uns auf den recht langen Weg bis an die Grenze zur Normandie, um den weithin bekannten Felsen Mont St. Michel aufzusuchen. Dieses Monument gehörte zur Bretagne, bis der Grenzfluss Couestnon allmählich seinen Verlauf änderte und nun auf der anderen Seite der Insel im Meer mündet. Dadurch wanderte Mont St. Michel Departements bedingt in die Normandie, die damit nun auch eine Attraktion besitzt, die man besuchen kann. Nicht, dass die Normandie unattraktiv wäre, nein. Aber außer den Buchten, in denen die Allierten einritten und die normannische Küche mit den vier C’s – Cidre, Calvados, Camenbert und Cutteln – will mir nicht viel einfallen, was ich mit der Normandie in Zusammenhang bringen könnte. Da haben die Normannen mit dem Mont St. Michel ein echtes Pfund zum Wuchern bekommen.
Sobald wir der Küste näher kommen, erhebt sich diese bizarre Felsenkirche in der Ferne und es fällt einem wirklich kein anderer Vergkeich ein, als der mit einer Kleckerburg. Spitz steigt der Kegel in den normannischen Himmel, mit zahlreichen kleinen Verzierungen und festgebackenen Unregelmäßigkeiten an den Seiten. Doch bis wir uns dem Kegel nähern können, bleiben noch ein paar Kilometer. Vorher werden wir über ein ausgeklügeltes Wegeleitsystem auf einen Parkplatz geführte, für den die Begriffe riesig und ausgedehnt ein bisschen mickrig klingen. Dabei ist der Parkplatz heute nicht mal richtig voll. Über die Hälfte der verfügbaren Flächen liegt frei und man wird auch nur auf die Flächen geleitet, die man uns mittels Parkschranken zu Verfügung stellt. Mit knapp 12 € Parkgebühren verdient sich das Weltkulturerbe schon mal das erste ernstzunehmende Taschengeld. Als Gegenleistung bekommt man ein großes Informationsgebäude zum Betrachten, in dem die Region gewinnend mit Video- und Fotopräsentationen vorgestellt wird und man kostenlos aufs Klo gehen kann. Auch ein Shuttleservice mit Bussen, die vorn und hinten eine Fahrerkabine besitzen, damit sie nicht wenden müssen, ist unentgeltlich benutzbar. Wir ziehen die knapp eine dreiviertel Stunde dauernde Wanderung entlang des sich zurückziehenden Meeres auf einem schmalen, extra angelegten Gezeitendamm, der Fahrt in einem vollgedrängten Touristenbus vor. An den Straßenlaternen, die wir passieren, sind fünf Pappkameraden befestigt, die jeweils einen Radfahrer in einer bestimmten Trikotfarbe darstellen. Am 2. Juli wird hier der Grand Depart der diesjährigen Tour de France stattfinden und dann ist hier echt die Hölle los.
Am schmalen Gezeitendamm, den man erst vor wenigen Jahren fertiggestellt hat, wird der Fluss bei Flut gestaut. Bei Ebbe lässt man das Wasser mit gehörigem Druck wieder ab, so dass sich das mitgeführte Sediment ins Meer ergießt und nicht die Bucht verlandet. Die Stelzenbrücke, die über das Watt führt, verbindet die Insel mit dem Festland.
Bei Ebbe kann man auch über das trockengefallene Land hinüber wechseln, doch Treibsand ist hier wohl ein gefährlicher Gefährte, den man nur mit erfahrenen Wattführern umgehen sollte. Die Stelzenbrücke bleibt im allgemeinen trocken und die Insel ist ganz jährig betretbar. Nur bei Springflut steht das ganze Umland so tief unter Wasser, das der Mont.St.Michel dem Inselcharakter gerecht wird.
Je näher man dem Felsen kommt, um so gewaltiger ragt er in den Himmel. Auf der Spitze des Kirchturms thront der Heilige Michael. Erst zehn Tage, bevor wir hier ankommen, wurde die neu restaurierte Skulptur wieder auf die Spitze gesetzt. Pünktlich zum Tourbeginn, sollte hier alles perfekt sein.
So überwältigend der erste Eindruck ist, wenn man noch unterhalb der Cité steht, so nachhaltig verstörend ist der Eindruck, beim Eintritt in die kleine Gasse, die hier hier knapp fünfzig Inseleinwohnern als Heimat dient und einigen mehr als sicheren Broterwerb. Die alte Gasse wirkt wie ein komprimiertes Disneyland. Rechts und links drängen sich kleine Shops und Gaststätten auf, die mit überteuertem Fastfood und französischen Souvenirs Made in Taiwan in den vorbei strömenden Menschenmassen ihre Netze zum Fang auswerfen. Alles was mit der Region zusammenhängt steht als Plastikschnickschnack zum Verkauf. Alle Leuchtürme der Bretagne in handlicher Größe, Schneekugeln mit der plastischen Abbildung des Mont St. Michel in den Größen: Murmel, Tennisball oder olympischer Kugelstoßweitwurf sind zu haben. Zwischendrin die üblichen geschichtlich belegbaren Einwohner der Region, so wie sie im Kinderzimmer historisch korrekt nachgestellt werden können: also Ritter, Piraten und Dinosaurier. In einer dieser sinnfrei sortierten Räuberhöhlen baumelt ein ganzer Schwarm mopsgroßer Plüschbienen. Ein paar halbwüchsige Sonnebrillenträger haben nichts eiligeres zu tun, als auf diese zu zu stürmen, sie zu umarmen und laut und deutsch Karel Gott’s Zeichnentrickschlager von der Biene Maja zu intonieren. Ich ziehe die Augenbrauen hoch, bin aber nicht überrascht.
Eine junge Fremdenführerin steigt mit erhobenen rotem Schnellhefter die Steigung bis zu einem versteckten Museumseingang hinauf. Ihr folgt ein japanisches Paar mittleren Alters. Zwei jüngere Asiatinnen stehen am Rand der Gasse, während ein weiterer Begleiter den Fotoapparat auf sie richtet. Ist Ihnen auch schon mal aufgefallen, dass das asiatische Fotografiergesicht an allen Plätzen der Welt gleich aussieht. Bei den Europäern mag das häufig auch der Fall sein, aber wenigstens wenn Kinder dabei sind, macht irgendwer auf dem Foto doch zumindest Faxen.
Wir türmen in eine Kapelle. Hier ist es vergleichsweise ruhig. Auf der Seite, auf der wir durch ein hohes Tor hineingegangen sind, kommen zwar immer wieder Leute herein, doch auf der anderen Seite steht ebenfalls eine kleine Tür offen. Also entweichen wir durch diese und stehen auf einen kleinen Friedhof, mit Blick auf die Bucht. Es ist erstaunlich ruhig hier, denn nur zwei weiteren Besuchern scheint dieser Ausweg aufgefallen zu sein. Ein Möwe steht auf einem nahen Dach und kreischt. Durch ein schmales Tor gelangen wir auf eine steile Treppe, die uns nun gnadenlos in den Himmel führt. Die einzelnen Stufen sind hoch,besitzen nicht gerade Showtreppenformat und erwarten vom Benutzer, dass er sich jedem einzelnen Schritt aufmerksam widmet. Oft genug bemerkt man schon da Stein, wo noch Fußspitze ist. Verwinkelt und schweißtreibend ist der Aufstieg, bis wir an der eigentlichen Eingangszone für die Kirchenanlage angelangen. Eine Kontrolle des mitgebrachten Gepäcks ist sehr oberflächlich. Meinen Rucksack muss ich zwar öffnen, aber mehr als einen Blick auf die herausquellende Regenjacke will der Kontrolleur nicht werfen. Der Eintritt kostet Neun Euro und ich will zunächst nicht glauben, dass man soviel Geld für den Besuch einer Kirche verlangt. Aber nun bin ich schon mal hier. Die Kathedrale von Exeter wollte glaube ich fast ebenso viel. Da die Kirche hier mit der Erhebung des Zehnten nicht mehr weit kommt, muss man halt an die Touristen ran. Und die wollen das ja nicht anders, sonst blieben sie ja weg.
Und dann begeben wir uns auf einen Rundgang, der anders wird, als erwartet. Was auf dieses kleine Inselknöllchen an monumentaler Sakralarchitektur aufgetürmt wurde, ist so erschlagend, dass man sich von Raum zu Raum, von Aussichtspunkt, zu Aussichtspunkt kleiner und kleiner fühlt. Die Klosteranlage ist in mehreren Stockwerken aufgebaut.
Nach zahlreichen Stufen genießen wir eine Aussicht über das ganze Gebiet von der Bucht bis zum Parkplatz, werden aber schnell verdrängt, weil eine Japanerin diesen Standort für sich als Fotomotiv beansprucht. Sie platziert sich mit dem typischen Gesichtsausdruck, der etwas an die gelangweilten Gesichter erinnert, mit denen man irgendwo ansteht, um eine Wartenummer zu ziehen vor die Aussicht und ihr Gatte beginnt mit leichtem Kniewippen Aufnahmen in einer Menge zu machen, die an das Fotoshooting von Filmstars bei einer Premiere erinnert. Die Frau indes verändert weder Haltung noch Mimik. Hinter dem Fotografen hat sich bereits ein Landsmann angestellt. Ich weiß, damit erfüllt der Japaner genau das Klischee, dass man von ihm erwartet und bedauerlicherweise, lässt sich das nicht auf ein Volk festmachen. Andererseits ist nur die Art und Weise bedauerlich und nicht die kulturelle Herkunft, denn letztlich benehmen wir Deutschen uns auch oft nicht anders und von Engländern kann man genauso viel Eigentümliches im Ausland berichten, wie von Spaniern und Holländern. Alle sind wir an der Stelle nur Touristen und damit eine kulturell identische Masse, die sich mal angenehm und mal weniger angenehm aufführt. Besucher, wie Besuchte profitieren gleichermaßen. Die einen durch das Gewinnen neuer Eindrücke, die andern durch das Bezahlen für diesen Erkenntnisgewinn. Das klingt irgendwie versöhnlicher, als der Vergleich, dass Tourismus nur eine legalere Form der Prostitution mit staatlich festgelegter Gewinnspanne wäre.
Wir betreten die Abteikirche. Hier findet gerade eine Messe statt. Lange Jahre bewohnten Benediktinermönche die Anlage. Heute haben sich Brüder und Schwestern des Ordens der Gemeinschaften von Jerusalem hier angesiedelt. In der hohen Säulenhalle echot die Stimme eine Priesters. Im vorderen Kirchenschiff sitzen Gottesdienstbesucher. Zur Stille wird mit Schildern gemahnt. Ein deutliches Zeichen steht auf einer Steele in der Mitte des Kirchganges. Es zeigt einen durchgestrichenen Fotoapparat. An diesem Schild lehnt der bereits bekannte japanische Mittourist und knipst unentwegt. Der Priester hält inne. Aber nicht, um das Fotografieren zu unterbinden, sondern weil es seine Liturgie vorschreibt. Dem Tourismus widmet er nicht mal eine hochgezogene Augenbraue. Das ist er gewohnt. Aus dem Seitenschiff tritt eine Gruppe Ordenschwestern hervor, die zu singen anheben. Die Ordensbrüder gesellen sich gesanglich dazu. Der sakrale Gesang in einem hohen Kirchenschiff besitzt einen Klang, der mich spontan zur innerlichen Lautlosigkeit verdammt. Er umhüllt mich, wie ein akustischer Mantel und ist in der Lage, mich für einen Moment gänzlich in Ruhe zu hüllen. Ich bin kein übertrieben religiöser Mensch, doch angesichts solch wunderbarer Töne, befällt mich schon mal ein Gefühl von Demut. Still lausche ich eine Weile, bevor mich die Geschäftigkeit ein- und ausgehender Besucher, das Geräusch von elektronisch erzeugten Fotoauslösegeräuschen auf Tablets wieder in den Modus des Touristen versetzt. Es gibt noch mehr zu sehen, denke ich und breche auf.
In der Tat schließt sich neben der Abteikirche ein weiterer Höhepunkt an. Der Klostergarten. Er befindet sich auf dem Dach eines darunter liegenden großen Saales, besitzt einen inneren, gut bewachsenen Hof und einen Kreuzgang von schlichter Eleganz. Die Säulengalerie ist zweireihig gebaut. Diese filigranen Säulen stehen versetzt, was die Perspektiven beim Durchschauen an jeder Stelle anders gestaltet. Nur selten decken sich die Bögen in der Perspektive. Durch das Refektorium, in dem einst die Mönche ihr Büfett plünderten, geht es weiter treppab in den Gästesaal. Danach gelangt man in eine dunkle Krypta, in der dicke Pfeiler wie Elefantenfüße stehen. Sie wurden im 15. Jahrhundert gebaut, um die darüber befindliche Abteikirche abzustützen. Ein Raum weiter betrachte ich ein riesiges Rad, an dem über eine mit einem dicken Tampen verbundene Kette an der Außenmauer nach unten verschwindet. Mit dieser imposanten Konstruktion hat man dereinst schweres Baumaterial hinaufgewuchtet. Als man vor wenigen Tagen den goldenen Michael auf die Turmspitze hievte, benutzte man einen Hubschrauber und paar geübte Industriekletterer.
Hinter der sogenannten Almosenkammer endet der Rundgang im für solche Sehenwürdigkeiten typischen Devotionalienverkaufsraum. Hier gibt’s alles, was den Besuch eines Museums abrundet. Bedruckte Tassen, dicke Bildbände, teures Ohrgehänge mit Michaelsbezug und Ritterschwerter aus Plaste. Schnell sind wir draußen und versuchen uns an einem jungen Pärchen vorbeizumogeln. Der männliche Teil trägt einen schlabbrigen Traininganzug der Firma Puma. Graue Hose, graue Jacke. Ich find es ja generell gut, wenn junge Leute wieder Anzug tragen. Weitere modische Höhepunkte sind bedruckte T-Shirts in allen Sprachen der Welt, die um Aufmerksamkeit buhlen und die allesamt von der selben langweiligen Einfallslosigkeit zeugen, die T-Shirtproduzenten – industriell, wie privat – überall auf der Welt so eigen ist. Ob T-Shirtdruck oder Tätowierung, die versuchte Individualisierung verliert sich in der Masse in Uniformität.
Zurück durch die Disneylandgasse, sind wir so zügig, wie es dank der sich anbiedernden Geschäfte und Fressbuden und der sich davor stauenden Besuchergruppen möglich ist. Am Fuße des Mont St. Michel sind wir einigermaßen erschlagen und fertig, ob der Eindrücke, Wegstrecken und Höhenmetern. Den Rückweg zum Auto gönnen wir uns unserem Status als Tourist gerecht werdend – mit dem Shuttlebus.