Für Freunde der schweißtreibenden Selbstbestätigung bietet die Provence und besonders das Vaucluse ein reichhaltiges Feld für allerlei Versuche seine Grenzen auszuloten.
Während meine Herzdame das Radfahren besonders dann liebt, wenn eine leicht abschüssige Ebene zwischen blühenden Raps- oder noch besser Lavendelfeldern zu bewältigen ist, wächst mir ein leicht abwesendes Grinsen im Gesicht, wenn ich einen längeren Anstieg vor mir weiß. Ich empfinde es nicht als Qual, sondern als eine fast meditative Form des Ausdauersports. Tempo ist dabei nicht so wichtig, aber ankommen, das will ich schon. Die Herzdame jedoch begann bisher bei 3 Prozent Steigung bereits grantig zu werden. Alles über 5 Prozent war eine persönliche Beleidigung. Sie schimpfte wie ein Rohrspatz über den Kackberg. Mittlerweile fährt sie elektrisch und zwitschert wie ein Vögelchen, während sie entspannt an mir vorbei den Anstieg hinauf radelt und sich an einer Landschaft freuen kann, die sie vorher vor Anstrengung nicht wahrnehmen konnte. Ich atme mich derweilen laut und gleichmäßig die Steigung hinauf und folge einem inneren Mantra, das begleitet wird von der steigenden Frequenz der Schweißtropfen, die von meiner Radmütze tropfen.
Von unserem kleinen Bergdorf, das gegenüber des Grand Luberon an einem Berg klebt, gibt es mehrere Möglichkeiten ausgedehnte Radtouren zu unternehmen. Meine erste führte mich von den knapp 500 Metern Höhe, auf der das Dörfchen liegt hinunter ins Tal des Calavon, eines kleinen, beinahe trocken wirkenden Flüsschens. Ein felsiges und steiniges Flussbett, dass man im Sommer gut durchwaten kann, lässt nur schwer erahnen, dass der Fluss gelegentlich zu einem Untier wird, dass alles mitreißt und wild schäumend sogar die Straße D 900 überschwemmt, die sich am Flusslauf entlang zieht. Wenige Kilometer nordöstlich hat der Fluss einen Gorges – eine Schlucht ausgespült, den Gorges de Oppedette. Man kann dort Canyoning betreiben oder einfach am Grund herumspazieren. Nach heftigeren Regenfällen sollte das jedoch vermieden werden. Auf der anderen Seite, in Apt warnt ein Schild auf einem dem Fluss nahe liegenden Parkplatz vor Überschwemmungen. Der Radweg, der einmal um den Nationalpark Luberon führt, quert den Fluss häufig und folgt auf der Nordseite des Luberon lange seinem Lauf. Es ist nach der kurzen aber schnellen Abfahrt vom Dorf ein angenehmes Warmfahren auf diesem gut ausgebauten Radweg, der seitlich der Straße entlangführt und diese auch mal für eine Weile verlässt. Nach wenigen Kilometern biege ich ab vom Calavonradweg und fahre in die Steigung hinein, die mich zunächst nach Castelet und dann nach Auribeau bringen soll. Beide Dörfer sehe ich gut von der Terrasse des Hauses aus, in dem meine Herzdame und ich uns einquartiert haben. Auribeau liegt auf knapp 600 Metern Höhe. Das Calavontal auf 170 Metern. Es gibt also ein paar Meter zu klettern. Ich lasse es ruhig angehen. Neben der breiten aber kaum befahrenen Straße finden sich Kirschhaine und Melonenfelder. Mohn blüht rot in Mengen, die den Verdacht erregen, dass der Anbau über den privaten Gebrauch hinausgeht. Ein paar Weinberge liegen in der Sonne. Der Wein an der Nordseite des Luberon ist aber nicht so häufig anzutreffen, wie auf der lieblicheren Südseite. Es wird eher Obst und Lavendel auf der Nordseite angebaut. Erst kurz hinter unserem Dorf, auf der anderen Seite des Berges ist wieder Weinland, dort wird der Cotes du Ventoux angebaut, ein Wein, der im Einzugsgebiet des provenzalischen Riesen steht, auf den ich später noch zu sprechen komme.
An einer Stelle rechts des Weges steht ein Schild: Camping du Ferme – Camping auf dem Bauernhof. Während in einem eingezäunten Areal die Hühner, Gänse und Enten schnattern und bereits zum Frühstück Melonen aus Cavaillon naschen, sitzen unter den Kirschbäumen eine Oma und ein Opa auf einem Campingstuhl und lesen. Ihr Wohnwagen steht in der Nähe. Aus einem Zelt dringt verhaltenes Schnarchen. Aus einem weiteren Zelt in der Nähe stolziert ein Hahn. Der bellende Hund besitzt eine Halsband und eine Kette, die an seiner Wohnung angeschraubt ist. Ich kann ihm also eine Nase drehen und beruhigt weiter fahren.
Kurz vor Castelet, dem ersten Dorf auf meiner Strecke überholt mich ein als Radfahrer verkleideter Radfahrer. Er ist jünger, schlanker, drahtiger und natürlich schneller als ich. Der Ehrgeiz, der mich in der Stadt gelegentlich packt, wenn eine junge, ein nierenfreies T-Shirt tragendes Fräulein mit quietschendem Hollandrad an einer roten Ampel zum Überholen ansetzt oder ein kreuz und quer tätowierter Mensch mit aus Bowlingkugeln bestehenden Muskelpaketen vor mir her gockelt und in mir den Reiz weckt zu testen, wann der vor mir Fahrende angesichts des lauten Freilaufgeräusches an seinem Hinterrad nervös wird, greift hier am Berg nicht. Wir grüßen uns höflich und ich lasse ihn ziehen. Kurz vor Auribeau, also kaum 4 km nach diesem Treffen überholt mich derselbe Radfahrer noch einmal. Entweder hat er irgendwo Halt gemacht und sich versteckt oder er ist schon ein Mal rum um den Berg. Trotzdem er gut trainiert wirkt, glaube ich das nicht.
An einem Wanderschild kurz vor dem Ortsausgang stoppe ich kurz, um zu atmen. Von hier aus kann man den Mourre Negre, den höchsten Punkt des Grand Luberon erwandern. Nur knapp 5 km bis zum Sendemast auf dem Berg bei etwa 1100 Metern. Ich befinde mich bei 568 Metern, wie auf dem Schild zu lesen ist. Das sind dann noch mal 500 Meter nach oben auf 5 Kilometer. Knappe 10% Steigung im Schnitt. Allerdings nicht überall, wie ich bei einer späteren Wanderung erfahren soll. Zwei Kilometer steigen nur allmählich mit 4% an. Wer will, kann die restlichen 3 Kilometer Weg mal kurz auf seine Steigung hin durchrechnen. Ich war jedenfalls froh, dass dort Baumwurzel wie natürliche Treppenstufen erschienen.
Das Ortsschild von Auribeau zieren drei Blumen. Das bedeutet, Auribeau ist ein Village Fleuri der dritten Art. Der Concours des villes et villages fleuris ist ein Wettbewerb, der die Dörfer, Städte und Gemeinden anregen soll, ihre Grünflächen und ihr Erscheinungsbild zu entwickeln. Die Aktion »Unser Dorf soll schöner werden«, hat zahllose Käffer dazu gebracht, nicht nur überall Blumenkübel aufzustellen, sondern mittlerweile auch ihre Gedanken dem Thema Umweltverträglichkeit zu widmen. Die derzeit gültigen Regeln beinhalten nicht nur, dass der Ort nicht nur mit einem Äußeren aufwartet, das Touristen anlocken soll, sondern auch Bienen. Der Schutz der natürlichen Ressourcen und der biologischen Vielfalt wird regelmäßig in den Villages Fleuris überprüft. Schnell verschwindet mal ein Blümchen aus der Bewertung, wenn man nicht aufpasst und schlampt oder die fürs Blumengießen abgestellte Dorfoma das Zeitliche gesegnet hat. Das ist für die Gemeinden etwa so, als würde ein erfolgreicher Koch seinen Stern verlieren. Auribeau besitzt seit Jahren drei Blumen als Auszeichnung. Es ist ein Bergdorf mit Aussicht auf das Tal des Calavon. Allein dafür gibt es sicher schon ein Blümchen.
Den Rand der Straße säumen leuchtend roten Blumen, in denen Hummeln brummeln und Bienen grienen. Auch Schmetterlinge tun das, was sie am besten können. Schön aussehen und wegflattern, wenn man sie fotografieren will. Es sind meist Schwalbenschwänze und Kleine Eisvögel. Wunderschöne flatternde Boten des Sommers. Auribeau besitzt kurz hinter dem Ortseingangsschild eine Haarnadelkurve mit einer spannenden Rampe, die mich ordentlich schnaufen lässt. Ein alter Mann im verwaschenen Arbeitsanzug steht neben einem ausgeweideten Traktor und zieht eine Augenbraue hoch. Vermutlich fährt der die Strecke jeden Tag zweimal mit dem alten Damenrad seiner Mutter. Ich hechle die letzte Steigung kurz vor dem Ortsausgang hinauf und biege auf den Hof der örtlichen Mairie, dem Bürgermeisteramt der Gemeinde.
Der Hof ist bunt geschmückt mit allerhand Blumenampeln, Blumenkübeln, einladenden kleinen Gartentischen, auf denen Blumen stehen, freundlichen kleinen Katzen, die im Schatten dösen oder sich putzen und einem freundlichen kleinen Jungen, der mich angeschnaubt kommen sieht. Er spritzt auf mich zu und reißt mir meine Wasserflasche aus der Hand. Damit rennt er zu einem Steinbrunnen an der Fassade der Mairie und drückt auf den Knopf, an dem Eau Portable steht. Trinkwasser. Im Nu hat er meine Flasche gefüllt und reicht sie mir lächelnd. Ich bedanke mich und Schwupps ist er wieder im Haus verschwunden. Ich setze die Flasche an den Hals und was soll ich sagen: dieses kalte Trinkwasser aus dem Brunnen von Auribeau ist so ziemlich das köstlichste, dass ich jemals getrunken habe. Hier werde ich noch öfters hinauf radeln. Nur des Wassers wegen.
Von Auribeau geht es weiter nach Saignon, eins der schönsten Dörfer des Luberon. Es steht auf einem Felsen, klebt förmlich dran. Den Rand des Ortes dominiert ein riesiger Felsblock, den man erklettern kann. Die Aussicht von dort ist umwerfend. Saignon ist schick, aber nicht überkandidelt. Ein kleines Hotel, dass bereits Schauplatz eines romantischen Liebesroman mit musikalischer Seitenstory war. “Der Sound der Provence” hieß das Buch, ein netter kleiner Regionalschmöker mit Herz und nicht all zu viel Tiefgang. Und gänzlich ohne Mord. Vor einem alten Hotel, das im Bch eine Rolle speilt und gerade renoviert wird, befindet sich ein eindrucksvoller Brunnen, der klares Wasser versprudelt und an einigen Stellen bereits Moos angesetzt hat. Das Nummer eins Tourifotomotiv von Saignon.
Überall im Dorf findet man kleine Höfe mit Gastronomiebetrieb, Lavendeltöpfen auf den Tischen und Katzen, die sich gratis für ein kitschig romantisches Provencebild auf den Tisch positionieren.
Vor einem der Häuser stehen selbst gemalte Bilder. Vor den Bildern lungert ein alter Mann in einem Liegestuhl herum. Langlodrig, mit Sonnenhut will er wie ein provenzalischer Künstler wirken, der Mittagspause macht. Mit dem Schälchen für Kleingeld neben sich, sieht er aber aus, wie jeder gewöhnliche Obdachlose in Berlin und vermutlich ist er auch so was wie ein gewiefter Bettler, während der eigentliche Maler, vermutlich ein deutscher Aussteiger in Apt neue Ockerfarben einkauft.
Touristen wollen fotografieren. Sie können nicht anders. Das Markenzeichen des Clochards ist das Schild neben seinem Platz, dass deutlich darauf verweist, dass er nicht fotografiert werden will. Es sei denn, der Fotografierende legt Fünf Euro in die Schale, dann, so bietet er an, macht er auch ein freundliches Gesicht. Ich fotografiere ihn nicht, sehe aber ein gut von der Sonne gerötetes Paar, das tatsächlich Geld in die Schale wirft und das Mobiltelefon herausfischt. In dem Moment zeigt der alte Mann sein strahlendstes zahnloses Lächeln.
Der Rundumblick vom Felsen hinab bietet mir eine Aussicht auf ein großes Gebiet des Vaucluse. Hinüber zu meinem Dorf kann ich sehen und hinab auf Apt, der regionalen Verwaltungsstadt des Gebietes. Weiter aufwärts erkenne ich die Ockerfelsen von Roussillon, die Silhouette von Gordes. In die andere Richtung leuchten die schneebeckten Gipfel des Alpenmassivs. Und schließlich, geradezu und nicht zu übersehen erblicke ich den deutlich winkenden Mount Ventoux, der noch auf mich wartet.
Ich reite weiter hinauf zu einem Straßenschild, dass mich nach Bonnieux weist. Allerdings steht Route barriere daneben. Ich denke, getreu Berliner Verkehrsregeln auslegend: was für Autos gilt, muss für Radfahrer noch lange nicht gelten und hebe mein Rad über die Betonsperre. Nach hundert Metern weiß ich, warum die Straße gesperrt ist. Links der Straße erheben sich enorm hohe Kalksteinfelsen, die in den letzten Tagen eine Talwanderung begonnen haben. Überall liegen Felsbrocken auf der Straße, Faustgroß, Wagenradgroß, einer von der Größe eines Smart. Kleinere Kiesel kullern von den Wänden. Ein Radfahrer steht mit auf den Sattel gestelltem Mountainbike in dieser Geröllwüste. Er hält einen Schlauch in der Hand, den er bereits geflickt hat. Ich frage ihn, ob ich ihm helfen kann, aber er meint, er habe alles, bis ihm plötzlich einfällt, dass er zwar sein ganzen Flickzeug bei hat, auch eine Druckpatrone zum Aufpumpen des Rades. Aber nur eine. Wenn er noch eine Panne hat, was er nicht hofft, dann hat er ein Problem. Ich borge ihm meine Luftpumpe und er freut sich, dass er seine Rettungspatrone einsparen kann. Nach dem ich meine Pumpe wieder verstaut habe, beeile ich mich, dieser Geröllwüste zu entkommen. Das Klappern kleinerer Kieselsteine macht mich nervös. Offensichtlich haben die Warnschilder einen unmittelbaren Grund.
Nach einem knappen Kilometer bin ich raus aus der Gefahrenzone. Eine weiter kleine ansteigende Straße, die an einem sehr teuer und sehr privat aussehenden Anwesen vorbeiführt, bringt mich allmählich auf ein Hochplateau. Unter mir zieht sich ein halbrundes Kletterparadies aus Kalkfelsen entlang, auch eine Art Cañon, der Gorges du Buoux. Hier befinde ich mich bereits auf 600 Metern Höhe. Ich will gerade weiter, als ich die Schafherde sehe, die die Straße verstopft.
Ich kann die Größe der Herde nicht schätzen und vermeide es, sie zu zählen, weil ich Angst habe, dann wegzudösen. Zwei Hunde kommen auf mich zugeschossen und bellen mich an den Straßenrand, wo ich brav stehen bleibe. Der Schäfer, ein junger Mann nickt mir zu und pfeift seine Hunde zurück. Die Schafe fließen um mich herum, wie Wollewölkchen und blöken sich gemütlich vorbei. Der Herde gammelt ein Sportwagen in Schritttempo hinterher.
Ich lasse Buoux links liegen und orientiere mich an einem Straßenschild, dass mich entweder nach Bonnieux oder nach Apt leitet. Meine beiden Wasserflaschen sind fast leer. Obwohl es schon auf den späten Nachmittag zugeht, ist es immer noch sehr warm. Ich beschließe nach Apt hinunter zu fahren und mich für den Heimweg mit neuen Getränken einzudecken.
Auf der Abfahrt komme ich erneut an einem wunderschön gelegenen Weingut mit allerschönstem Herrenhaus darauf vorbei. Ich glaub, das ist das Haus von Onkel Henry.
Der Weg hinab ist steil und schnell. Obwohl ich es liebe, Berge mit der stoischen Ruhe eines Maultieres hinauf zu strampeln bin ich geneigt, mich in der Abfahrt eher als Schisser zu bezeichnen. Ich bin froh darüber, Bremsen zu besitzen, auf die ich ein Vertrauen setze, das vielleicht ein bisschen realitätsfern ist.
Ich bin schnell in Apt, jage vorbei am hässlichen Dachparkplatz des Intermarché und tauche ein in die Innenstadt mit seiner Fußgängerzone und dem gut bewachten Rathaus. Dort befindet sich auch ein kleiner Laden der Casinokette. Ich will mein Fahrrad anschließen und stelle fest, dass ich den Schlüssel dafür im Ferienhaus gelassen habe. Das Rad draußen stehen lassen will ich nicht. Wie auch Zuhause, weiß ich nicht einzuschätzen, wer von den herumstehenden und diskutierenden Leuten ehrbar und wer Spitzbube ist.
In einer Seitengasse befindet sich ein türkischer Dönerstand, der mir aus dem Fenster heraus mit einer Cola und einem Mineralwasser aushilft. Das sollte für die restlichen zwanzig Kilometer bis in mein Dorf genügen.
Die Cola am Hals, schiebe ich mein Fahrrad an der Hauptverkehrsstraße entlang. Hier kann ich nicht aufsteigen und fahren. Der Verkehr ist dicht, schnell, hektisch und rücksichtslos. Trotzdem Frankreich solch eine Sportart wie den Radsport seit über einem Jahrhundert als Nationalsport ansieht, finden Radfahrer auf vielen Straßen nur wenig Rücksicht und Verständnis. Ich könnte mich entlang der Nationalstraße auf dem allgemein gut ausgebauten Luberon-Radweg bis unterhalb meines Dorfes entlang rollen lassen. Ich beschließe aber trotzdem Richtung Caseneuve, dem Nachbardorf von Saint Martin zu fahren. Das ist kürzer. Es liegt knapp hundert Meter höher als mein Feriendorf, dafür ist die Steigung bis hinauf moderat, auch wenn sie sich über sechs Kilometer erstreckt.
Wie ich feststellen muss, ist nach den Kilometern des Tages auch eine moderate Steigung gut zu bemerken. Die sechs Kilometer sind erschreckend lang und das Dorf kommt zwar allmählich näher, erscheint aber die ganze Zeit genauso weit oben, wie zu Beginn der Anfahrt. Das liegt daran, dass die Steigung erst kurz vor dem Dorf richtig fies wird. Ich bewege mich ziemlich langsam vorwärts. Über mir stehen zwei große Raubvögel regungslos in der Luft. Ich habe den Eindruck, sie beobachten mich. Ich glaube, ich weiß, was die denken. „Entweder du fällst jetzt mal langsam um oder du machst, dass du aus dem Sattel kommst und ein bisschen Druck auf die Pedale bringst.“ Danke. Solch ehrgeizigen Trainer brauche ich nicht. Ich quäle mich die letzte Steigung hinauf in Dorf, trinke den letzten warmen Rest aus der Flasche und weiß, dass die ärgerlichste Steigung, die jetzt noch kommt, die Temposchwelle am Ortsausgang ist. Dann noch vier Kilometer im Flug und ich bin am Ziel. Mit der kleinen Spazierfahrt vom Vormittag sind am Ende knapp 100 Kilometer zusammen gekommen. Das sollte eine gute Vorbereitung sein für die Fahrt hinauf zum zum Mount Ventoux und der anschließenden rasanten Abfahrt. Ich freue mich aber erstmal darauf, für heute endlich vom Sattel zu kommen. Tatsächlich wundere ich mich allerdings, wie viel Kraft sich noch in den Beinen befindet, als ich bergab fahre. Ich kann mit ordentlich Druck immer noch beschleunigen und fahre die restlichen vier Kilometer auf der engen Straße bis nach St. Martin streckenweise mit sechzig Sachen.
Die allerletzte Steigung habe ich jedoch völlig vergessen: Die Stufen in der Wohnung hinauf zum Bad. Unglaublich, wie anstrengend die sind.