Mehr über zwei Wochen auf der Insel im Mittelmeer lesen Sie hier:
Korsika - Westküste
Corte - Die alte Hauptstadt
Wanderung zu den Hochalmen im Innern Korsikas
Porto Pollo
Vor Ajaccio
Ajaccio
Corte - Die Alte Hauptstadt
Wenn ich von Corte als Hauptstadt rede, dann ist das nicht ganz richtig. Der Verwaltungssitz der Insel ist in Ajaccio. Ajaccio ist offiziell Hauptstadt des Departements Corse. Corte war einmal Hauptstadt. Das ist lange her. Als Korsika in der Mitte des 18. Jahrhunderts erfolgreich die Unabhängigkeit von den Genuesen erkämpft hatte, war Corte die Hauptstadt dieser befreiten Insel. Aber außer aufrechten Kämpfern, die mit großer Freiheitsliebe unter ihrem Anführer Pascal Paoli das Land in die Unabhängigkeit randalierten, hatte Korsika nicht viel zu bieten. Die Landwirtschaft war verwahrlost. Industrie gab es kaum. Und vor Wissenschaftlern quoll die Insel auch nicht grad über. Es gab nur Berge und aufsässige Landeier. Die Genuesen hatten keine Lust, die Insel zurückzuerobern und verkauften ihre vermeintlichen Rechte, die sie faktisch nie besaßen, an die Franzosen. Die schickten 1769 ihre Armee in die Spur und übernahmen die Insel nach mäßig verlustreichen Kämpfen. 1790 trat ein Jakobiner in Erscheinung, der in Ajaccio geboren wurde. Napoleon Bonaparte. Der musste mit ansehen, wie Korsika unter Admiral Nelson an die Briten ging. 1794 wurde Korsika Teil des englischen Königreichs. Das passte dem kleinen Giftzwerg überhaupt nicht. Jähzornig wie er war, tanzte er zwei Jahre lang ums Feuer und zog dann los, um die Engländer von der Insel zu jagen. Schließlich holte Bonaparte die Insel zurück unter die Fittiche des revolutionären Frankreich. Vermutlich brüllte er von einem Festungsturm herunter: „Verpisst Euch, Ihrrr verrrschissönön Önglöndörr“. Was die dann auch prompt taten. Und da er selbst aus Ajaccio stammte, machte er seinen Geburtsort sofort zur Hauptstadt. So die Legende derjenigen, die ein bisschen was für Bonaparte übrig haben. Tatsächlich verloren die Engländer nicht nur die Kontrolle, sondern auch das Interesse an dem unübersichtliche Inselterritorium. Sie hatten sich Ende des 18. Jahrhundert in einen zermürbenden Seekrieg mit Spanien verzettelt. Die Interventionen Frankreichs ermutigten die Briten die Insel zurück in französische Hand fallen zu lassen. Und die taten, was sie immer mit ihren Ländern taten, die sie als Kolonien ansahen. Sie nahmen sich, was sie brauchten und gaben nichts zurück. Selbst der gebürtige Korse Napoleon tat kaum was für seine Heimatinsel. Und trotzdem bauten die Korsen ihm später zahlreiche Denkmäler.
Mittlerweile sind wir in Corte angekommen. Es ist eine erfrischend lebendige Stadt. Jung und lebendig erscheint das Treiben in den alten Gassen und auf den Plätzen. Corte ist eine Universitätsstadt. Die erst Uni wurde während der kurzen Unabhängigkeit gegründet. Studenten tummeln sich auf den Terrassen der Bars, Kneipen, Restaurant und Bistros. Gemüseläden haben ihre Waren vor der Tür. Die türmen sich wild übereinander. Einer der Lebensmittelläden soll laut Schild bereits 1769 geöffnet worden sein.
Durch die Gassen flitzen Mofas mit jungen Männern, die pfeifend kurzhosige Mädchen umrunden. Über der Stadt wacht eine Zitadelle. Leider muss man, um sie zu besuchen, erst durchs Museum. Und das Museum scheint gut besucht zu sein.
Wir entscheiden uns dafür, Mittagessen zu gehen. In einem schattigen Restaurant in einer Seitengasse können wir ein ausgezeichnetes Menü zu uns nehmen. Ich bekomme frischen Fisch. So frisch, wie es im Landesinnern möglich ist. Aber da das Meer nur zwei Autostunden entfernt ist, vertraue ich drauf.
Ein Laden für touristischen Schnickschnack saugt mich in sein Inneres. Drinnen gibt es allerhand Zeug, das die Welt nicht braucht, Touristen aber dringend benötigen. Magneten. Ansichtskarten, Wanderstöcke. Mir tut noch ein bisschen das Knie weh, von meinem Beinaheabsturz am Wasserfall an der Ostküste. Dort hatte ich einen Ast aus dem Wald als Wanderstock benutzt, der prompt durchbrach. Hier stehen professionell gefertigte Holzstäbe mit geschnitzten Tierköpfen an der Wand. Ich frage, aus was für Holz, die so hergestellt werden. Natürlich Kastanienholz. Mir hat es ein Stab angetan, der angeblich aus dem Wurzelholz einer uralten Kastanie gezogen wurde. Sein Knauf besteht aus einem geschnitzten Wildschweinkopf. Der Stock liegt gut in der Hand und ist etwa hüfthoch. Das Wort Corse ist in sein Holz geschnitzt. Er gefällt mir und da ich auf Wanderungen gern einen Stock benutze, entscheide ich mich für diesen. Ich weiß, wer das Wandern richtig ernst meint, nimmt entweder gar keinen oder zwei voll funktionelle aus digital gezüchteten Kunstfasern. Aber das ist mir egal. Mir genügt es, einen schönen Wanderstock aus Holz zu benutzen, der mir in steileren Passagen etwas Sicherheit gibt und die neidvollen Blicke vorbeispazierender Halbwüchsiger einbringt.
Am Place Paoli, dem zentralen Punkt der Stadt, der an Markttagen sicher brummt, wie ein aufgescheuchter Bienenstock, setzen wir uns mit einem leckeren Eis zu Füßen des Anführers des unabhängigen Korsika Pascal Paoli. Wir genießen Eis und Sonne und das quirlige Leben in der einstigen Hauptstadt.
Und dann müssen wir weiter, denn schließlich habe ich Madame Rossi im besten französischen Radebrech versprochen, gegen 16:00 Uhr oberhalb von Ajaccio zu erscheinen.
Wanderung zu den Hochalmen im Innern Korsikas
An der Skistation Val D’Ese, einige Kilometer oberhalb von Bastelica ist nicht viel los. Das ist nicht verwunderlich, denn wir haben Frühsommer. Zwei Autos stehen in der Sonne auf einem Parkplatz aus mit Beton verfestigtem Geröll, vor einer selbstverständlich geschlossenen Snack-Bar. Wir stellen unser altes Auto dazu, ziehen unserer Wanderschuhe an. Ich setze den Rucksack mit den nötigen Unterwegsutensilien, wie Regencape, Schokoriegel, Wasserflasche und Fernglas auf und schnappe mir Pedru. Pedru ist ein gebräuchlicher Name in Korsika. Ab sofort heißt mein Reiseschwein, der Kastanienwanderstock mit dem Schweinekopfknauf, den ich mir in Corte gekauft habe Pedru.
Wir wandern unterhalb der Lifte einen Skihang hinauf. Der Weg ist steil und das Gelände wirkt ziemlich zerstört. Mit ausreichend Schnee ist es sicher ganz attraktiv, aber im Moment sieht man, wo die schmelzenden Wassermassen die Erde erodieren ließen und das Gelände talwärts gespült hat. Ob der Steigung sind wir nach wenigen Metern bereits ziemlich aus der Puste. Ich bleibe stehen und schaue mir die umliegenden Höhenzüge an. Auf einem taucht ein Reiter auf seinem Pferd auf. Es ist ein Bild wie in einem Film, wie er so auf der Kuppe des Anstiegs steht und ins Tal schaut, während hinter ihm der Himmel blau leuchtet. Aber er hebt nicht theatralisch den Arm mit der Silberbüchse, sondern trabt einfach weiter. Er kommt uns auf dem abschüssigen Gelände entgegen. Da muss man mögen. Ich hätte Bammel davor, den Gaul bei diesem Gefälle zu überfordern. Aber die meisten Reiter wissen sicher, was sie tun.
Am Ende des Skiliftes führt ein schmaler Pfad nahe einer steilen Geröllflanke entlang. Der sieht auch nicht gerade nach einem genormten Wanderweg aus, aber der Rotherwanderführer meint, wir wären hier richtig. Ich red dem das nicht aus. Links geht es knappe hundert Meter schräg abwärts, rechts knappe hundert weiter hoch. Der Weg ist etwa einen halben Meter breit. Immer wieder treten wir kleine Steine los, die dann munter in den Abgrund trudeln und ein paar Kumpels mitreißen. Langsam führt uns der Pfad um den Berg herum, bis er fester und steiniger wird. Wir beginnen in steileren Passagen zwischen kleinen Felsendurchlässen zu klettern. Nach einer ganzen Weile der Kraxelei stehen wir auf einem schmalen Felsgrat und können die nähere und weitere Umgebung betrachten. Die weitere reicht bis zu hohen Felsspitzen, auf denen vereinzelt Schneefelder zu erkennen sind. In die andere Richtung können wir bis zum Meer schauen. Da muss irgendwo Ajaccio und unsere Ferienunterkunft sein. Die nähere Aussicht geht mehrere Meter steil hinunter. Wir schauen auf ein grünes Hochfeld mit einem Wasserfall, einem Flüsschen, einem See und vielen dunklen Wasserlöchern, die diese Hochebene bedecken. Es handelt sich hierbei um die Feuchtwiesenlandschaft Pozzi, eine ziemlich nasse Hochalm auf knapp 2000 Meter Höhe umrundet von kahlen Geröllhalden und trockenen Felsen. Die Kühe stehen am Rande der Wiese und meiden die mit Wasser gefüllten Löcher, während einige Touristen und auch wir, sich so nah an die Tümpel begeben, wie es geht. Die Löcher sind knapp anderthalb Meter tief, einige sind nahezu kreisrund und sehen aus wie in den Boden gestanzt. Bis an den senkrecht abfallenden Rand wächst das grüne Gras. Wir müssen uns einen Pfad suchen, der um diese vermutlich eiskalten Tröge herumführt. Am Ausgang des Tales schimmert ein größerer Tümpel in der Sonne. Sein Ufer ist mit Geröll bedeckt.
Nachdem wir das Tal verlassen haben, gabelt sich der Weg. Links gibt es ein paar Hütten zu sehen. Es sind gedrungene Häuschen aus Feldsteinen. Umzogen von morschen Holzzäunen. Vielleicht Schutzhütten für Wanderer, die nicht mehr weiterkommen. Aus der Richtung der Hütten nähern sich uns zwei Wanderer. Als sie in Rufweite sind, werfe ich ihnen ein munteres “Ca va” zu, was sie mit einem ebenso munteren “Ca va bien” begegnen. So geht das!
Wir folgen dem schmalen Weg, passieren ein paar Steinmännchen, die mit einem orangenen Punkt markiert sind und tauchen in ein schattiges Buchenwäldchen ein. Hin und wieder führt der Weg direkt durch einen flachen Bach. Steine liegen in dem Gewässer und wir bahnen uns vorsichtig einen Weg durch das nasse Gelände. Wir sind ein paar Minuten unterwegs, als wir auf eine märchenhafte Lichtung treten. Der Boden ist grün und voller Moos. Die Sonne bemüht sich, Licht durch die Äste der umstehenden Bäume zu jonglieren und veranstaltet damit allerhand seltsame Schattenspiele auf dem grünen Boden. Hier leben bestimmt Feen. Wir sind kurz versucht, das weiche Moosbett als kleines Lotterlager auszuprobieren, aber beim betreten quietscht es und es tritt Wasser aus dem Boden. Außerdem höre ich ein paar plappernde Wanderer nahen. Eine Familie mit zwei Halbwüchsigen.
Weiter geht es über ein kleines Plateau direkt auf eine Wand zu. Eigentlich ist hier Schluss. Aber ein orangener Punkt zeigt, dass der Weg weitergeht. Wir müssen uns durch eine schmale Felsnische zwängen und uns Stück für Stück, Absatz für Absatz die Wand nach oben ziehen. Oberhalb davon erreichen wir wieder einen moderaten Weg. Neben einem weiteren Steinmännchen mit Wandermarkierung setzen wir uns und verschlingen den Schokoriegel. Ich betrachte die Routenbeschreibung im Rother-Wanderführer. Der Schwierigkeitsgrad wird als “moderat“ und als „...geeignet für Familien mit Kindern” beschrieben.
Der Weg bleibt nun eben und fest. Wir passieren ein einsames Steinhäuschen, das geschlossen ist. Ich linse durch eine Spalte, kann aber nicht viel sehen. Als Wanderunterkunft ist es zu massiv. Vermutlich wird das Gebäude als Jagdhaus benutzt. Allerdings habe ich heute nur Kühe gesehen. Und Ziegen.
Der Rest der Wanderung ist ein Spaziergang. Die Wiesen sind so grün und gestutzt, dass man meinen könnte, hier würden regelmäßig Golfturniere stattfinden. Und dann sehen wir die ersten Befestigungen der Skilifte am Ende einer Steigung. Wir sind wieder am Ausgangspunkt einer eindrucksvollen Rundwanderung über die Hochtäler des korsischen Innenlandes. Inzwischen hat sich unser Auto mit ein paar Schweinen angefreundet, die es sich im Schatten des Wagens bequem gemacht haben. Wir müssen sie leider der Freude berauben, sich an den Vorderrädern zu schubbern. Ohne Hast trotten sie zum nächsten Schattenplatz am Fuße der Snack-Bar.
Porto Pollo
So groß ist Korsika gar nicht. Von unserem Bergdorf bis zum beschaulichen Badeort Porto Pollo entlang der Küstenstraße sind es gerade mal 55 Kilometer. Auf der Insel ist die Höchstgeschwindigkeit auf 80 km/h festgelegt und die erreicht man selten. Geschwindigkeitskontrollen finden meist nur auf der Ostseite der Insel statt, weil man lediglich zwischen Bastia und Porto-Vecchio eine Chance hat, jemanden zu erleben, der die 80 km/h munter überbietet. An der Westküste und im Innern der Insel ist es schlichtweg nicht möglich schneller, als 60 km/h zu fahren und selbst das tun nur die wirklich Leichtsinnigen.
Die Küstenstraße von Ajacchio in den Süden ist gewunden, in den Kurven schlecht einsehbar und abwechselnd mit steilen Anstiegen und rasanten Abfahrten gespickt. Wenn man fährt und die liebenswerte Beifahrerin preist die Aussicht, die sich ihr rechterhand auf das Meer offeriert wird, kann man schnell die gute Laune verlieren, weil hinter der nächsten Kurve ein Auto von derselben Aussicht begeistert, nicht ganz seine Straßenseite beibehält. Und so sind fast eineinhalb Stunden vergangen, ehe wir in Porto Pollo eintrudeln.
Eigentlich ist der Ort ziemlich unspektakulär. Aber der Strand, der sich am Ende einer langgezogenen Bucht auftut, ist wunderschön. Besonders, da er in der eigentlichen Vorsaison Ende Mai noch recht leer ist. Eine Bar auf einer Holzterrasse lädt zu Getränken und einem Snack ein. Wir sitzen und schauen das Meer an. Eine Gruppe Rentner betritt den Strand. Vier alte Herrschaften, die sich hier mittags am Wasser treffen. Ein klappriger alter Herr verlässt seine Hose und bewegt sich staksend auf das Meer zu. Das Hemd weht offen in der leichten Mittagsbrise. Der Sonnenhut sitzt fest auf dem Kopf. Bis zu den Knien steht er im Mittelmeer und genießt den Moment. Etwas entfernt von ihm, genau zwischen Wasserlinie und unserem Sitzplatz liegt eine Frau, die nur mit zwei bunten unscheinbaren Stoffflecken bedeckt ist. Den Sonnenhut tief ins Gesicht gezogen liegt dort eigentlich nur eine nackte dunkel gebräunte Haut mit Badelatschen. Vor der Aussicht, unterhalb unseres Sitzplatzes, albert eine Biene an einem in der prallen Sonne stehenden Blumentopf herum.
Ich träume ein bisschen von Blumen und Bienen bis unser Essen kommt. Plötzlich erhebt sich die Sonnenverehrerin und gesellt sich mit schriller Überraschung zu ihresgleichen. Jetzt wackeln fünf Rentner von der Bildfläche. Die Biene entfernt sich enttäuscht brummelnd von der verwelkten Topfpflanze.
Das Wasser in der Bucht von Porto Pollo ist traumhaft. Blau bis grün schillert es. Weiße Segelboot schaukeln in einiger Entfernung von der Badestelle an ihren Festmachpunkten. Wenige Schritte gehe ich ins Wasser und der Boden sinkt je ab. Ich tauche ab und kann unter mir Steine, Pflanzen, Fische sehen und das Sonnenlicht, das seine Strahlen schräg in die Tiefe schickt. Lange kann ich nicht unten bleiben, aber immer wieder versuche ich, so weit hinab zu tauchen, wie ich es mir ohne Hilfsgeräte zutraue. Man kann in dieser Welt von Lautlosigkeit und sanfter Bewegung die Zeit verlieren, möchte sich einfach nur treiben lassen.
Irgendwann treibt es mich zurück an den Strand. Wir versuchen erfolglos, den Sand zwischen den Zehen zu wischen, und fahren dann weiter nach Propriano auf der anderen Seite der Bucht. Und über Propriano braucht man nun nicht viele Worte zu verlieren. Hafen, Souvenirgeschäfte, volle Parkplätze, Kinder mit kleckernden Eistüten, Ferienwohnungen und am Ende des Ortes ein kleiner Strand, der nur deshalb noch eine kleine Linie Strandsand aufweist, weil den örtlichen Baufirmen vermutlich irgendwann der Beton ausgegangen ist. Bis dahin, wo der Beton reicht, stehen offene Autos aus denen Popmusikhelden mit den Kindern der Autobesitzer um die Wette grölen.
Wir beschließen, ein Baguette zu finden und dann wieder zu unserem Ausblick mit Meerblick und Klopuschelpalme zurückzufahren.Abend sitzen wir zunächst am Pool. Ich füttere den Grill an und während die Glut langsam Fahrt aufnimmt, kann ich wieder ein paar Hornissen beobachten, die aus dem nahen Busch geheizt kommen. Ich habe immer noch Respekt vor den Biestern, aber sie fliegen, ohne mir Beachtung zu schenken, über uns hinweg in Richtung Ajaccio.
Und dann sitzen wir wieder auf unserer Terrasse und schauen zu, wie die Sonne weit im Westen im Meer versinkt, wie die Lichter in und um Ajaccio pulsieren. Schauen den nächtlichen Fliegern beim Landen zu, sehen die Fähren und Kreuzfahrtschiffe leuchten. Sehen tausende Sterne. Verschiedene Nachtgetiere machen verschiedenen Geräusche. Ganz in der Nähe raschelt es im Gesträuch. Vermutlich eine der seltenen Herrmann-Schildkröten. Der Wein, der in der Nähe einer anderen berühmten Schlucht, dem Gorges de Verdun in der Provence, gewachsen ist, mundet herrlich. Gottes Himmel über uns und das vorläufige Ergebnis von Darwins Evolutionsgeschichte um uns herum. Ich weiß nicht, was es für den Moment Schöneres geben kann.
Vor Ajaccio
Unser Vermieter versucht, uns zu erklären, wie man den Namen der korsischen Hauptstadt Ajaccio richtig ausspricht. Wir sagen A-jakjo. Er sagt A-dschadscho. Und das ziemlich schnell. Es dauert eine Weile, bis wir eine ihn zufriedenstellende Aussprache hinbekommen.
Wir fahren also nach A-dschadscho.
Und lassen die quirlige Hauptstadt gleich wieder links liegen. Ein ganzes Stück hinter der geschäftigen Innenstadt führt eine kurvige Straße direkt am Meer entlang. Überall locken steile Abstiege zum Wasser hinunter. Das Meer ist heute recht aufbrausend. Also lassen wir uns nicht verführen, sondern fahren weiter, bis wir am Ende des Golfes von Ajaccio - ja, es ist ein Golf, nicht nur ‘ne poplige Bucht - an einem betonierten Parkplatz ankommen, der wunderbar in der Sonne brutzelt. Hier geht es nicht mehr weiter. Zumindest nicht mit dem Auto. Ich bin überrascht, dass keine Reisebusse den Platz okkupiert haben. Aber angenehm überrascht. Vor dieser westlichen Spitze des Golfs liegen mehrere Inseln auf denen alte Wehrtürme aus dem 17. Jahrhundert auf kantigen Felsen über das Meer ragen. Der Archipel des Sanguinaires besteht aus der Landzunge, auf der wir stehen und vier vorgelagerten Inseln, die sich wie eine Kette ins Meer hinausschieben und den Kreuzfahrtschiffen einen umständlichen Umweg aufzwingen, wenn sie den Golf Richtung Norden verlassen wollen. Auf der letzten Insel steht zudem noch ein schnuckliger Leuchtturm. Aber da kommen wir im Moment nicht hin.
Stattdessen wandern wir den Chemin de Corniche entlang. Das ist ein schmaler Wanderweg, der sich ein paar Meter oberhalb der Küste entlang schlängelt. Der Weg besteht zunächst aus rotem Staub. An den grünen Hängen haben sich ein paar Einwohner des Ortes kleine Gärten und Hütten gebaut. Sieht alles eher provisorisch und illegal aus. Ist aber sicher sehr idyllisch. Das Meer wirft sich heute mit großer Kraft gegen die Felsen. Gischt spritzt hoch hinauf und ich versuche minutenlang mit der Kamera, einen besonders spektakulären Brecher zu fotografieren. Am Ende habe ich Dutzende Fotos mit spritzendem Meerwasser auf dem Fotoapparat. Tja damals, als ich noch Filme einlegen musste, hätte ich mir das überlegt. Der Weg führt noch weiter die geschwungene Küste hinauf. Immer wieder klettern wir auf ins Meer ragende Felsnasen hinauf, genießen die Aussicht und lassen uns den Wind um die Ohren brausen. Wir schauen hinüber zu den Inseln, die wir nun ganz besonders schön nebeneinander sehen können. Wie die gezackte Rückenpartie eines riesigen Meeresreptils ragen die Inseln aus dem Wasser. Schmale Wasserpassagen dazwischen.
Ein lautes Dröhnen erfüllt sie Luft. Von Norden nähern sich drei Kampfjets der französischen Luftwaffe. Diese französische Spezialeinheit ist bekannt für ihre waghalsigen Flugmanöver. Ich habe sie mal mit zwei Maschinen in den Gorges de Verdun eintauchen sehen. Der ist fast 800 Meter tief, allerdings nicht besonders breit. Mit einem Paddel in der Hand kann man sich nicht mal ordentlich die Ohren zuhalten.
Die Piloten versuchen, zwischen den Inselspitzen durchzurasen. Der erste Flieger hält gerade auf die Insel zu und kippt kurz vor dem Zusammenstoß mit dem Leuchtturm auf die Seite, um nur knapp dran vorbei zu schrammen. Was für eine coole Sau. Naja. Eigentlich kann man das cool auch streichen.
Wäre ich dort der Leuchtturmwärter, würde ich ernsthaft über eine geeignete Bewaffnung nachdenken.
Der Weg ist hinter der Pointe de la Corba, dem letzten Aussichtspunkt, den wir zu Fuß angestrebt haben, nicht mehr besonders schön. Es sieht eher wie ein ausgeschwemmtes Flussbett aus. Allerdings haben hier weniger massive Wasserfälle für die vielen ausgebrochenen Riefen im sandig-felsigen Untergrund gesorgt, sondern Reifen. Es ist ein beliebtes Gelände für Mountainbiker und Querfeldein-Crosser. Auf dem Rückweg werden wir von ein paar der Sportskanonen aus dem Weg geklingelt. Aber letztlich gelangen wir ohne schwerwiegende Verletzungen wieder zum Parkplatz und zu unserem in der Sonne glühenden Auto.
Wie wir mit Freude bemerken, hat der Wind abgenommen und die Wellen haben sich gelegt. Wir halten kurz vor Ajaccio an einer felsigen Bucht und klettern einen schmalen Abstieg hinab an einen gut geschützten Strand. Es ist nur ein kurzes Abkühlen im angenehm temperierten Wasser, das wir genießen. Offensichtlich als einzige, denn die anderen Badegäste - vermutlich Briten, weil krebsrot leuchtende Sonnenanbeter - gucken nur ratlos von ihren Handtüchern auf. Wir ziehen uns wieder an und ich winke ihnen freundlich zu. Die Mimik der anderen bleibt unbewegt. Aber mit verbranntem Gesicht lässt sich schlecht schmerzfrei lächeln.
Weiter im Innern von Ajaccio gibt es einen Strandabschnitt, der heißt Plage Trottel. Ich frage mich, wie wohl der Bereich heißt, den wir gerade verlassen haben.
Ajaccio
Ajaccio ist für korsische Verhältnisse eine Großstadt. Hier sitzt die Verwaltung, hier landen die Kreuzfahrtschiffe an, hier tanzt das korsische Schwein. Es ist ein großes Getummel in der Stadt, denn es ist Samstag. Heute entlässt nicht nur die Costa Atlantico die Kreuzfahrer zum Besuch in die Stadt, heute landen auch die Fähren, die die Festlandsbewohner zum Bettenwechsel in oder aus den touristischen Hochburgen austauschen. Zudem ist es sommerlich warm und in der zentralen Hauptfußgängerzone ist Markt.
Die Stadt quillt also über vor Leuten. Und alle sind gleichermaßen erstaunt darüber, welche Bedeutung im Stadtbild Napoleon hat.
Napoleon Bonaparte ist in Ajaccio zur Welt gekommen und kaum hatte er den Ort in Richtung Frankreich verlassen, fand er kaum noch ein gutes Wort über seine Heimat. Napoleon wird allerdings in Frankreich nach wie vor verehrt. Auch auf Korsika, wo man mit seinem Namen eine Menge Kohle machen kann. Bistros, Einkaufsmeilen, Strände, Plätze, Museen, vielfältig sind die Möglichkeiten der Vermarktung. Man kann Eis kaufen, das Napoleon heißt. Ob es auch ein Schnitzel gibt, dass seinen Namen trägt, weiß ich nicht. Aber es gibt ein Grand Café Napoleon auf dem Cours Napoleon gleich neben dem Mobilfunkgeschäft Napoleon. Die Boutique Napoleon verkauft Tineff mit dem Konterfei des Kriegstreibers.
Wir schlendern am Hafen vorbei, bei dem ich davon ausgehe, dass er genau wie der Flughafen der Stadt nach dem zu kurz geratenen Wichtigtuer benannt wurde. Aber nein. Hier bewies der Ort doch mal Geschmack. Der Hafen heißt Port Tino Rossi.
Tino Rossi war ein Sänger und Schauspieler, der ebenfalls in Ajaccio geboren wurde. Viele Jahre sang er die Herzen der französischen Damenwelt weich. “Tintin”, wie ihn die Einwohner Ajaccios nennen, starb 1983 und gilt als der Künstler mit den meisten in Frankreich verkauften Platten. Er liegt in Ajaccio begraben. Im Gegensatz zu Napoleon ist bei diesem Künstler die Verehrung durch die Korsen echt.
Wir drängeln uns den Markt entlang. Es ist hauptsächlich ein Markt für Nahrungsmittel, Gemüse, Fleisch, Fisch. Alles sehr lecker, aber, da wir heute nach Toulon übersetzen und dann noch ein paar Tage unterwegs sind, ist es kaum angebracht ein paar frisch umgebrachte Meerestiere in den warmen Kofferraum zu legen.
Das mediterrane Treiben der Stadt macht ein bisschen schwerelos. Wir treiben dahin und müssen uns schließlich daran erinnern, dass unsere Fähre bald ablegt. Langsam verabschieden wir uns von der Insel. Das fällt ein wenig schwer, den Korsika ist ein Erlebnis, von dem wir kaum genug bekommen können.
Doch schließlich stellen wir uns auf dem Parkplatz des Fährhafens hinter die bereits wartenden Autos und garen bis zur Abfahrt in der Sonne...