Eine Busfahrt nach Batumi
Der Busfahrer des lauten und massiv vor sich hin stinkenden Dieselvehikels kennt die Strecke, die er zu Fahren hat sehr genau und fährt sie offenbar gerade im Schlaf. Die Serpentinen schlängeln sich talwärts. Kleine verrostete Schilder warnen vor herabfallenden Steinen und Gegenverkehr. Das Gefälle der Straße ist bemerkenswert und ich würde mich auf dieser Straße selbst dann im vorsichtigem Tempo bewegen, wenn ich zu Fuß wäre. Nicht so der Busfahrer. Er praktiziert einen Fahrstil, den man allerbestenfalls mit dem Begriff schmissig umreißen könnte. Auf dem Dach befestigtes Gepäck kümmert ihm dabei genauso wenig, wie die Familienverhältnisse der ohnehin eng nebeneinander gepressten Fahrgäste. Viele kennen sich, einige haben sich erst im Bus kennengelernt und die Gäste aus den hinteren Reihen werden sicher noch auf ein Schwätzchen nach vorn kommen, wenn der Busfahrer erst einmal scharf bremst. Ich schaue nach vorn und sehe, wie sich uns ein weiterer Bus nähert. So etwas wie eine Gegenfahrbahn existiert nicht, jeder fährt dort, wo Platz ist. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, einiges über die regionalen Vorfahrtsregeln kennen zu lernen. Der Busfahrer weicht etwas nach rechts aus. Die Zweige eines alten ausgewachsenen Eukalyptusbaumes klopfen an mein Fenster. Er wächst aus dem Abhang herauf, in den ich gerade den Fehler begehe hinabzusehen. Ein grüne bewachsene Felswand verschwindet unter mir. Ich drücke meine Stirn an die Scheibe, um zu sehen, wie viel Straße denn noch übrig ist, bevor der Bus in die Tief stürzt. Es ist überhaupt keine Straße mehr zu erkennen und ich beginne mir allmählich Sorgen zu machen, weil der entgegenkommende Bus auch keinen Platz mehr hat, um sich an den aufsteigenden Felsen vorbeizuschieben, ohne sich aufzureißen. Kurz bevor es zur Unvermeidlichkeit eines Zusammenstoßes kommt, hupen beide Busse. Unser Fahrer nimmt die Hände vom Steuer und grüßt. Irgendwie schaffen sie es beide Fahrerkabinen nebeneinander zum Stilstand zu bringen. Sie reden laut und gestikulieren wild, lachen dann. Dann gibt unser Fahrer wieder Gas und steuert noch ein wenig mehr nach rechts. Es würde sicher nicht viel nutzen, dem Fahrer mitteilen zu wollen, das er auf der rechten Seite gerade den Boden unter den Rädern verliert. Also schließe ich meine Augen, damit ich nichts von dem Film verpasse, in dem einem kurz vor dem Tod noch einmal sein ganzes eigenes Leben vorgeführt wird. Aber das Kino ist zu. Der leichte Druck auf meine Oberschenkel und der Geruch nach kräftigen Schweiß lässt mir keine Wahl. Ich kehre zurück ins Leben und folge dem Blick des Georgiers, der sich mit den Händen an der Scheibe abstützt, um in die Tiefe zu sehen. Er ist nicht der einzige. Fast die gesamten linken Sitzreihen sind leer. Alle haben sich auf die absturzgefährdete rechte Seite begeben, um etwas anzustarren, das im Tal liegt. Zunächst erkenne ich nur ein großes zerrissenes Gesicht eines führenden Staatsmannes auf einem Plakat. Es ist Wahlkampfzeit. Jemand hielt es wohl für eine mutige Idee auf dem Dach seines Autos die Silhouette eines nicht sehr beliebten Politikers spazieren zu fahren. Das Auto liegt einige Meter tiefer auf dem Dach. Es ist möglich, dass es dabei um einen ganz gewöhnlichen Unfall handelte, so einer, wie ihn unserer Bus gerade anpeilt, wenn sich die Leute nicht langsam wieder auf ihre Sitze zurückbewegen. Tatsächlich scheint sogar der Busfahrer die Situation als ein wenig brenzlich einzustufen, denn er verliert seine Ruhe und brüllt nach hinten. Binnen kürzester Zeit setzen sich die Leute wild durcheinander diskutierend auf ihre Plätze. Etwas Kies wird von den Rädern hinunter ins Tal geschleudert, dann geht die Fahrt in der üblichen schmissigen Fahrweise weiter von den Berghöhen hinab nach Batumi an die Küste des Schwarzen Meeres, wo ich erleichtert und sehr verschwitzt aussteige.
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