"Der Wanderstock hat einen Knauf am Ende."
------------frei nach Terry Pratchett
Wanderung zu den Hochalmen im Innern Korsikas
An der Skistation Val D’Ese, einige Kilometer oberhalb von Bastelica ist nicht viel los. Das ist nicht verwunderlich, denn wir haben Frühsommer. Zwei Autos stehen in der Sonne auf einem Parkplatz aus mit Beton verfestigtem Geröll, vor einer selbstverständlich geschlossenen Snack-Bar. Wir stellen unser altes Auto dazu, ziehen unserer Wanderschuhe an. Ich setze den Rucksack mit den nötigen Unterwegsutensilien, wie Regencape, Schokoriegel, Wasserflasche und Fernglas auf und schnappe mir Pedru. Pedru ist ein gebräuchlicher Name in Korsika. Ab sofort heißt mein Reiseschwein, der Kastanienwanderstock mit dem Schweinekopfknauf, den ich mir in Corte gekauft habe Pedru.
Wir wandern unterhalb der Lifte einen Skihang hinauf. Der Weg ist steil und das Gelände wirkt ziemlich zerstört. Mit ausreichend Schnee ist es sicher ganz attraktiv, aber im Moment sieht man, wo die schmelzenden Wassermassen die Erde erodieren ließen und das Gelände talwärts gespült hat. Ob der Steigung sind wir nach wenigen Metern bereits ziemlich aus der Puste. Ich bleibe stehen und schaue mir die umliegenden Höhenzüge an. Auf einem taucht ein Reiter auf seinem Pferd auf. Es ist ein Bild wie in einem Film, wie er so auf der Kuppe des Anstiegs steht und ins Tal schaut, während hinter ihm der Himmel blau leuchtet. Aber er hebt nicht theatralisch den Arm mit der Silberbüchse, sondern trabt einfach weiter. Er kommt uns auf dem abschüssigen Gelände entgegen. Da muss man mögen. Ich hätte Bammel davor, den Gaul bei diesem Gefälle zu überfordern. Aber die meisten Reiter wissen sicher, was sie tun.
Am Ende des Skiliftes führt ein schmaler Pfad nahe einer steilen Geröllflanke entlang. Der sieht auch nicht gerade nach einem genormten Wanderweg aus, aber der Rotherwanderführer meint, wir wären hier richtig. Ich red dem das nicht aus. Links geht es knappe hundert Meter schräg abwärts, rechts knappe hundert weiter hoch. Der Weg ist etwa einen halben Meter breit. Immer wieder treten wir kleine Steine los, die dann munter in den Abgrund trudeln und ein paar Kumpels mitreißen. Langsam führt uns der Pfad um den Berg herum, bis er fester und steiniger wird. Wir beginnen in steileren Passagen zwischen kleinen Felsendurchlässen zu klettern. Nach einer ganzen Weile der Kraxelei stehen wir auf einem schmalen Felsgrat und können die nähere und weitere Umgebung betrachten. Die weitere reicht bis zu hohen Felsspitzen, auf denen vereinzelt Schneefelder zu erkennen sind. In die andere Richtung können wir bis zum Meer schauen. Da muss irgendwo Ajaccio und unsere Ferienunterkunft sein. Die nähere Aussicht geht mehrere Meter steil hinunter. Wir schauen auf ein grünes Hochfeld mit einem Wasserfall, einem Flüsschen, einem See und vielen dunklen Wasserlöchern, die diese Hochebene bedecken. Es handelt sich hierbei um die Feuchtwiesenlandschaft Pozzi, eine ziemlich nasse Hochalm auf knapp 2000 Meter Höhe umrundet von kahlen Geröllhalden und trockenen Felsen. Die Kühe stehen am Rande der Wiese und meiden die mit Wasser gefüllten Löcher, während einige Touristen und auch wir, sich so nah an die Tümpel begeben, wie es geht. Die Löcher sind knapp anderthalb Meter tief, einige sind nahezu kreisrund und sehen aus wie in den Boden gestanzt. Bis an den senkrecht abfallenden Rand wächst das grüne Gras. Wir müssen uns einen Pfad suchen, der um diese vermutlich eiskalten Tröge herumführt. Am Ausgang des Tales schimmert ein größerer Tümpel in der Sonne. Sein Ufer ist mit Geröll bedeckt.
Nachdem wir das Tal verlassen haben, gabelt sich der Weg. Links gibt es ein paar Hütten zu sehen. Es sind gedrungene Häuschen aus Feldsteinen. Umzogen von morschen Holzzäunen. Vielleicht Schutzhütten für Wanderer, die nicht mehr weiterkommen. Aus der Richtung der Hütten nähern sich uns zwei Wanderer. Als sie in Rufweite sind, werfe ich ihnen ein munteres “Ca va” zu, was sie mit einem ebenso munteren “Ca va bien” begegnen. So geht das!
Wir folgen dem schmalen Weg, passieren ein paar Steinmännchen, die mit einem orangenen Punkt markiert sind und tauchen in ein schattiges Buchenwäldchen ein. Hin und wieder führt der Weg direkt durch einen flachen Bach. Steine liegen in dem Gewässer und wir bahnen uns vorsichtig einen Weg durch das nasse Gelände. Wir sind ein paar Minuten unterwegs, als wir auf eine märchenhafte Lichtung treten. Der Boden ist grün und voller Moos. Die Sonne bemüht sich, Licht durch die Äste der umstehenden Bäume zu jonglieren und veranstaltet damit allerhand seltsame Schattenspiele auf dem grünen Boden. Hier leben bestimmt Feen. Wir sind kurz versucht, das weiche Moosbett als kleines Lotterlager auszuprobieren, aber beim betreten quietscht es und es tritt Wasser aus dem Boden. Außerdem höre ich ein paar plappernde Wanderer nahen. Eine Familie mit zwei Halbwüchsigen.
Weiter geht es über ein kleines Plateau direkt auf eine Wand zu. Eigentlich ist hier Schluss. Aber ein orangener Punkt zeigt, dass der Weg weitergeht. Wir müssen uns durch eine schmale Felsnische zwängen und uns Stück für Stück, Absatz für Absatz die Wand nach oben ziehen. Oberhalb davon erreichen wir wieder einen moderaten Weg. Neben einem weiteren Steinmännchen mit Wandermarkierung setzen wir uns und verschlingen den Schokoriegel. Ich betrachte die Routenbeschreibung im Rother-Wanderführer. Der Schwierigkeitsgrad wird als “moderat“ und als „...geeignet für Familien mit Kindern” beschrieben.
Der Weg bleibt nun eben und fest. Wir passieren ein einsames Steinhäuschen, das geschlossen ist. Ich linse durch eine Spalte, kann aber nicht viel sehen. Als Wanderunterkunft ist es zu massiv. Vermutlich wird das Gebäude als Jagdhaus benutzt. Allerdings habe ich heute nur Kühe gesehen. Und Ziegen.
Der Rest der Wanderung ist ein Spaziergang. Die Wiesen sind so grün und gestutzt, dass man meinen könnte, hier würden regelmäßig Golfturniere stattfinden. Und dann sehen wir die ersten Befestigungen der Skilifte am Ende einer Steigung. Wir sind wieder am Ausgangspunkt einer eindrucksvollen Rundwanderung über die Hochtäler des korsischen Innenlandes. Inzwischen hat sich unser Auto mit ein paar Schweinen angefreundet, die es sich im Schatten des Wagens bequem gemacht haben. Wir müssen sie leider der Freude berauben, sich an den Vorderrädern zu schubbern. Ohne Hast trotten sie zum nächsten Schattenplatz am Fuße der Snack-Bar.